WEG-Verwaltung: Streitpunkt Instandhaltung von Balkonen
Im Vordergrund des vorliegenden Sachverhalts steht die Konfliktlinie zwischen einer Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) und den Sondereigentümern eines Mehrparteienhauses. Zentrale Frage ist die Klärung, wer für die Instandhaltung und Instandsetzung der Balkone zuständig ist, die sowohl Elemente des Sondereigentums als auch des Gemeinschaftseigentums enthalten. Die Eigentümergemeinschaft beschloss in ihrer Versammlung, die Maßnahmen zu übernehmen, was die Sondereigentümer anfechten.
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Übersicht
Das strittige Gutachten
Die Kläger behaupten, ein Sachverständigengutachten aus Dezember 2022, welches diese Thematik behandelt, wurde nicht an alle Eigentümer weitergeleitet. Aufgrund dessen sehen die Kläger die Beschlusskompetenz der WEG bezüglich der Instandhaltung und Instandsetzung der Balkone als nicht gegeben. Ihrer Meinung nach liegt die Verantwortung für diese Maßnahmen aufgrund der Teilungserklärung beim jeweiligen Sondereigentümer, auch wenn Teile der Balkone Gemeinschaftseigentum sind.
Die Perspektive der Beklagten
Die Beklagte hält dagegen, dass die WEG aufgrund bauordnungsrechtlicher Regelungen und der Verkehrssicherungspflicht Beschlusskompetenz habe, da wesentliche Teile der Balkone zwangsläufig im Gemeinschaftseigentum stünden. Sie argumentiert, dass die WEG die anfänglichen Baumängel beheben und einen ordnungsgemäßen Zustand herstellen müsse. Auch das einheitliche Erscheinungsbild der Gebäude, das in der Teilungserklärung festgelegt ist, könne nur gewährleistet werden, wenn die WEG die Beschlusskompetenz hätte.
Urteil des AG Oldenburg
Das Amtsgericht Oldenburg gab den Klägern Recht. Es stellte fest, dass die WEG die Beschlusskompetenz für die Instandhaltung und Instandsetzung der Balkone nicht habe. Diese sei durch die Teilungserklärung wirksam auf den jeweiligen Sondereigentümer übertragen worden. Dabei sei die Regelung so zu interpretieren, dass sie sich auch auf die Teile des Balkons beziehe, die zum Gemeinschaftseigentum zählen.
Schlussbetrachtung und Auswirkungen
Das Urteil hebt die Bedeutung der Teilungserklärung als regulatives Element in der Verwaltung von Wohnungseigentümergemeinschaften hervor. Bei Unklarheiten über Zuständigkeiten innerhalb der Gemeinschaft bietet die Teilungserklärung einen rechtlichen Rahmen für die Klärung. Im konkreten Fall bedeutet dies, dass die Sondereigentümer für die Instandhaltung und Instandsetzung ihrer Balkone verantwortlich sind, unabhängig davon, ob Teile davon als Gemeinschaftseigentum klassifiziert sind. Damit werden die Sondereigentümer in die Pflicht genommen, sich um die Instandhaltung und Instandsetzung ihrer Balkone zu kümmern und die Kosten dafür zu tragen.
Das vorliegende Urteil
AG Oldenburg – 16 C 22/22 – Urteil vom 16.01.2023
Die in der Eigentümerversammlung am 02.07.2022 unter den Tagesordnungspunkt 5.1 a), 5.1 e) und 5.2 a) gefassten Beschlüsse werden für ungültig erklärt.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Der Streitwert auf 370.000 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Gültigkeit von Wohnungseigentümerbeschlüssen zur Sanierung der Balkone.
Die Kläger sind Eigentümer von 2 Wohnungen in der beklagten Wohnungseigentümergemeinschaft. Das Gebäude ist abgebildet auf den Fotos der Anlage K 6.
Die Rechtsverhältnisse Eigentümer untereinander sind geregelt in der Teilungserklärung (Anlage K3 – Blatt 59 fortfolgende der Akte).
Nach § 2 der Teilungserklärung sind Gegenstand des Sondereigentums die sich innerhalb und außerhalb der in § 1 bezeichneten Räume befindlichen Einrichtungen und Anlagen, soweit sie nicht dem gemeinschaftlichen Gebrauch, sondern nur dem Sondereigentum zu dienen bestimmt sind.
Nach § 5 Nummer 2 der Teilungserklärung sind Einrichtungen, Anlagen und Gebäudeteile, die nach der Beschaffenheit oder dem Zweck des Bauwerkes oder gemäß dieser Teilungserklärung zum ausschließlichen Gebrauch durch einen Wohnungseigentümer bestimmt sind (zum Beispiel Balkone, Terrassen, Veranden) von ihm auf seine Kosten instandzuhalten und instandzusetzen.
Nach dem Gutachten des Sachverständigen aus 21.05.2019 (Anlage B 4 zum Schriftsatz vom 27.12.2022) und Dezember 2022 (Anlage B1 – Blatt 149 fortfolgende der Akte) sind viele der Balkone des Gebäudes schadhaft. Es drohe die Ablösung und der Absturz von Betonteilen. Der Sachverständige sieht die Standsicherheit als gefährdet an. Die Verkehrssicherheit sei nicht mehr gegeben. Die Schädigung ist nach Erstellung des Sachverständigen nicht bei allen Balkonen gleich schwerwiegend. Einige Balkone zeigten bisher keine Schäden. Auch bei ihnen sei aber zu erwarten, dass die gleichen Schäden in den nächsten Jahren auftreten.
Die Kläger beanstanden, dass das Gutachten des Sachverständigen aus Dezember 2022 nicht an alle Eigentümer weitergeleitet wurde. Mit Schreiben vom 14.05.2021 (Anlage B2 – Blatt 207 fortfolgende der Akte) wurden die Wohnungseigentümer über die Situation und die Feststellungen des Sachverständigen hierüber informiert.
Bereits auf der Wohnungseigentümerversammlung vom 08.06.2019 und erneut auf der Wohnungseigentümerversammlung vom 17.07.2021 erläuterte der Sachverständige die Situation. Auf das Versammlungsprotokoll der Eigentümerversammlung vom 08.06.2019 (Anlage B 5 zum Schriftsatz vom 27.12.2022) und vom 17.07.2021 (Anlage B3 – Blatt 211 fortfolgende der Akte) Bezug genommen.
Ein erläuterndes Schreiben des Sachverständigen vom 03.06.2022 wurde der Einladung zur streitgegenständlichen Eigentümerversammlung beigefügt. Am 02.07.2022 fand die streitgegenständliche Wohnungseigentümerversammlung der Beklagten WEG statt. Der Sachverständige war auf der Versammlung anwesend und erläuterte die Beschlussvorlage.
Unter Tagesordnungspunkt 5.1 a) beschlossen die Eigentümer mit 70 Ja-Stimmen bei 21 Nein-Stimmen und 2 Enthaltungen:
Die Gemeinschaft entscheidet sich dem Grunde nach für eine Ausführung, und zwar für die Erneuerung der Brüstungen der Balkone, die vom SV (vom 03.06.22 und mit der Ladung versendete Anlage 3) erarbeitete Variante B.
Die Fassaden und Betonsanierung soll in der Variante B ausgeführt werden. Somit wird auch nur die Variante B ausgeschrieben (Glasbrüstung mit 3-teiligen Holm als Geländer).
Der Beschluss wurde als angenommen verkündet.
Unter Tagesordnungspunkt 5.1 e) beschlossen die Eigentümer mit 68 Ja-Stimmen bei 15 Nein-Stimmen und 10 Enthaltungen:
Die Verwaltung schlägt vor, das Angebot von Herrn Dipl. Ing. ### vom 03.06.2022 (Anlage 3) in Zusammenarbeit mit der Ingenieurberatung zu einem Pauschalfestpreis in Höhe von 178.500 Euro brutto für die Phase 8 der HOAI sowie 142.800 Euro brutto für die Phasen 3-7 der HOAI zu beauftragen.
Für den Fall, dass die WEG die Umsetzung ebenfalls positiv beschließt, reduziert sich das Honorar für die Planung um 59.500 Euro auf 83.300 Euro (Phase 3-7).
Die Hausverwaltung mit ermächtigt und angewiesen, den Auftrag für die Planung (Phase 3-7) die Bauüberwachung (Phase 8) in Form eines Ingenieurvertrags laut Angebot zu beauftragen.
Die Finanzierung der Maßnahme erfolgt mit separater Beschlussfassung unter TOP 5.2
Der Beschluss wurde als angenommen verkündet.
Unter Tagesordnungspunkt 5.2 a) beschlossen die Wohnungseigentümer mit 56 Ja-Stimmen bei 31 Nein-Stimmen und 6 Enthaltungen:
Die Eigentümerversammlung beschließt, die Bildung einer separaten Rücklage beginnend ab 2022 mit einer jährlichen Zuführung von 500.000 Euro. Die Hausverwaltung wird angewiesen, die Rücklage separat buchhalterischer zu führen unter der Rubrik „Betonsanierung“.
Der Beschluss wurde als angenommen verkündet.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Versammlungsprotokoll (Anlage K1 – bei 50 fortfolgende der Akte) Bezug genommen.
Die Kläger sind der Meinung, der Wohnungseigentümergemeinschaft fehle die Beschlusskompetenz für die streitgegenständlichen Beschlüsse.
Auch wenn Teile der Balkone im Gemeinschaftseigentum stehen, sei durch die Teilungserklärung in wirksamer Weise die Instandhaltungsplicht auf den jeweiligen Sondereigentümer übertragen. Der WEG fehle daher die Verwaltungszuständigkeit. Sie könne die Kompetenz auch nicht durch Beschluss „an sich ziehen“.
Zu dieser Fragestellung lag der Verwaltung bereits ein Rechtsgutachten (Anlage K4 – Blatt 100 fortfolgende der Akte) vor.
Nach Auffassung der Kläger widersprächen die Beschlüsse auch ordnungsgemäßer Verwaltung.
Die Eigentümer wurden nach Auffassung der Kläger im Vorfeld nicht ausreichend informiert. Das Gutachten des Sachverständigen vom 29.05.2019 sowie ein weiteres Schreiben vom 15.03.2021 (Anlage K5 – Blatt 114 Akte) sei nicht allen Eigentümern zur Verfügung gestellt worden.
Es sei vielen Eigentümern auch unklar, welche Kostenlast auf sie zukäme. Der gefasste Beschluss zur Finanzierung deckt die Gesamtkosten noch nicht einmal zur Hälfte ab.
Den Interessen derjenigen Eigentümer, deren Balkone keine sichtbaren Schäden aufweisen, sei damit nicht ausreichend Rechnung getragen.
Die Kläger rügen, dass im Zeitpunkt der Beschlussfassung keine Angebote von ausführenden Handwerkerfirmen vorlagen.
Durch die beschlossene Maßnahme würde auch die Optik des Gebäudes gravierend verändert werden. Die beschlossene Maßnahme sei daher eine bauliche Veränderung. Im Hinblick auf § 21 Abs. 2 und 3 WEG hätten zustimmenden Eigentümer namentlich erfasst werden müssen.
Die Kläger bestreiten das Vorliegen von sicherheitsrelevanten Schäden, die sofortiges Handeln erfordern. Nach Einschätzung der Firma ### (Anlage K7) seien lediglich lokale Fehlstellen zu einem erheblich geringeren Kostenvolumen zu sanieren.
Die Kläger beantragen, die Eigentümerversammlung am 02.07.2022 unter den Tagesordnungspunkt 5.1 a), 5.1 e) und 5.2 a) gefassten Beschlüsse für ungültig zu erklären.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Meinung, der WEG stehe eine Beschlusskompetenz zu, da wesentliche Teile der Balkone zwingend im Gemeinschaftseigentum stehen und die WEG im Außenverhältnis zur Einhaltung bauordnungsrechtlichen Regelungen sowie zur Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht verpflichtet ist. Die WEG sei befugt, die anfänglichen Baumängel beheben und erstmalig einen ordnungsgemäßen Zustand herzustellen.
Die WEG habe auch dann die Erhaltungsbefugnis bzw. -pflicht, wenn einzelne Wohnungseigentümer ihre Erhaltungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt haben oder die Koordinierung zwingend erforderlich ist, da eine Koordinierung von einzelnen Wohnungseigentümer nicht gewährleistet werden kann. Im Zweifel sei daher von einer Zuständigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft auszugehen.
In der Teilungserklärung sei auch dem Verwalter die Befugnis erteilt, dringende Reparaturen am Gemeinschafts- und Sondereigentum auszuführen und über die Dringlichkeit selbst zu entscheiden. Auch dies spreche für eine Beschlusskompetenz der Gemeinschaft. Auch das in der Teilungserklärung vorgesehene einheitliche Erscheinungsbild der Gebäude könne nur gewährleistet werden, wenn der Wohnungseigentümergemeinschaft die Beschlusskompetenz zustehe.
Die WEG habe sich auf die Empfehlungen des Sachverständigen verlassen dürfen und die nach Auffassung des Sachverständigen dringend erforderlichen Maßnahmen beschließen dürfen.
Die Wohnungseigentümer seien ausreichend informiert worden. Die Maßnahme entspreche ordnungsgemäßer Verwaltung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Rechtsvortrages der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze mit Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlungen ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Die Beschlüsse der Eigentümerversammlung am 02.07.2022 unter den Tagesordnungspunkt 5.1 a), 5.1 e) und 5.2 a) sind für ungültig zu erklären.
Der Wohnungseigentümergemeinschaft fehlt die erforderliche Beschlusskompetenz.
Nach der Teilungserklärung ist die Pflicht zur Instandhaltung und Instandsetzung der Balkone auf den jeweiligen Sondereigentümer übertragen.
Die Regelung ist dahingehend auszulegen, dass sich die Instandhaltungs- und Instandsetzungspflicht der Sondereigentümer auch auf die Teile des Balkons bezieht, die im Gemeinschaftseigentum stehen. Die Regelung ist zulässig und wirksam.
Angesichts des klaren Wortlautes der Regelung kann sie auch nicht angesichts der übrigen Regelungen der Teilungserklärung anders ausgelegt werden. Die Kompetenz des Verwalters, dringende Reparaturen auch am Sondereigentum ausführen zu dürfen, konkretisiert lediglich die gesetzlich vorgesehene Notgeschäftsführungskompetenz. Eine Beschlusskompetenz der Gemeinschaft kann daraus nicht hergeleitet werden.
Die Wohnungseigentümergemeinschaft ist auch nicht berechtigt, die diesbezügliche Verwaltungskompetenz durch Mehrheitsbeschluss „an sich zu ziehen“ (so auch LG Itzehoe – Entscheidung vom 19.01.2016 – AZ 11 S 29/15).
Somit war die Wohnungseigentümergemeinschaft nicht berechtigt, Sanierungsmaßnahmen an den Balkonen zu beschließen. Auch die Beschlüsse zur Planung und Finanzierung der Maßnahme sind daher für ungültig zu erklären.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.