Verwertungskündigung: Grenze der Gewinnmaximierung durch Abriss und Neubau
Das Gericht wies die Klage der Vermieterin auf Räumung und Herausgabe einer Wohnung ab, da die Voraussetzungen des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB nicht erfüllt waren. Die Kündigung zur Gewinnoptimierung durch Abriss und Neubau stellte keinen erheblichen Nachteil dar, der die Kündigung rechtfertigen würde. Das Gericht betonte die Sozialpflichtigkeit des Eigentums und das Interesse des Mieters am Erhalt seiner Wohnung als Lebensmittelpunkt.
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✔ Das Wichtigste in Kürze
Die zentralen Punkte aus dem Urteil:
- Klage der Vermieterin auf Räumung und Herausgabe wurde abgewiesen.
- Voraussetzungen des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB sind nicht erfüllt.
- Kein erheblicher Nachteil für die Vermieterin durch Fortbestand des Mietverhältnisses.
- Sozialpflichtigkeit des Eigentums und das Bestandsinteresse des Mieters sind zu berücksichtigen.
- Kein Anspruch der Vermieterin auf Gewinnoptimierung durch Verwertungskündigung.
- Abwägung zwischen den Interessen des Mieters und dem Verwertungsinteresse der Eigentümerin.
- Möglichkeiten zur wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks wurden nicht vollständig betrachtet.
- Das Interesse des Mieters am Erhalt der Wohnung überwiegt.
Übersicht
Verwertungskündigung: Grenzen des Gewinnstrebens
Die Verwertungskündigung ist ein Instrument des Mietrechts, mit dem Vermieter ein Mietverhältnis beenden können, um das Grundstück wirtschaftlich besser zu verwerten. Dabei stellt sich jedoch die Frage, ob Vermieter einen Anspruch auf Gewinnoptimierung durch eine solche Kündigung haben. Die Rechtsprechung hat hierzu klare Grenzen gesetzt und betont, dass das Eigentum keinen Anspruch auf die Nutzungsmöglichkeiten gewährt, die den größtmöglichen wirtschaftlichen Vorteil versprechen. Das Interesse der Mieter am Erhalt ihrer Wohnung als Lebensmittelpunkt und die Sozialpflichtigkeit des Eigentums sind zu berücksichtigen. Eine Verwertungskündigung ist daher nur zulässig, wenn dem Eigentümer durch den Fortbestand des Mietverhältnisses ein erheblicher Nachteil entsteht.
Der Streit um Verwertungskündigung und Gewinnoptimierung
Im Mittelpunkt des Falles steht eine Verwertungskündigung, die von der Eigentümerin einer Immobilie in Berlin ausgegangen ist. Die Klägerin hatte das Gebäude im Jahr 2018 erworben und plante, es abzureißen, um auf dem Grundstück neue Wohnungen zu errichten und diese anschließend zu verkaufen. Dies, argumentierte sie, sei die einzige wirtschaftlich vertretbare Möglichkeit, das Grundstück zu verwerten. Als Grundlage für ihr Vorhaben diente ein Gutachten, das verschiedene Szenarien der Verwertung untersuchte, einschließlich des Abrisses und Neubaus. Die zuständige Behörde erteilte sogar eine Abrissgenehmigung. Doch als die Vermieterin das Mietverhältnis zum Zweck der Umsetzung dieser Pläne kündigte, stieß sie auf Widerstand des Mieters, der sich weigerte auszuziehen und der Kündigung widersprach.
Rechtliche Rahmenbedingungen und Herausforderungen
Die rechtliche Auseinandersetzung drehte sich um die Frage, ob eine Verwertungskündigung unter den gegebenen Umständen gerechtfertigt ist. Nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB kann eine Kündigung erfolgen, wenn der Vermieter durch den Fortbestand des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert wird und ihm dadurch erhebliche Nachteile entstehen. Die Klägerin behauptete, genau in einer solchen Situation zu sein, da der geplante Abriss und Neubau durch das bestehende Mietverhältnis blockiert werde. Der Mieter hingegen sah keinen erheblichen Nachteil auf Seiten der Vermieterin, der eine Kündigung rechtfertigen würde, insbesondere da kein Anspruch auf maximale Gewinnoptimierung bestehe.
Das Urteil des AG Berlin-Mitte
Das Amtsgericht Berlin-Mitte wies die Klage der Vermieterin ab. Es fand, dass die Voraussetzungen für eine Verwertungskündigung nicht erfüllt waren. Im Urteil wurde betont, dass die Sozialpflichtigkeit des Eigentums sowie das grundsätzliche Bestandsinteresse des Mieters, in seiner Wohnung zu bleiben, wichtige Faktoren sind, die in solchen Fällen berücksichtigt werden müssen. Das Gericht stellte klar, dass das Eigentum der Vermieterin keinen Anspruch auf die Nutzungsmöglichkeiten gewährt, die den größtmöglichen wirtschaftlichen Vorteil versprechen. Es wurde argumentiert, dass die von der Klägerin vorgebrachten wirtschaftlichen Nachteile, die durch den Fortbestand des Mietverhältnisses entstünden, nicht die Kündigung rechtfertigen könnten.
Gründe für die Entscheidung
Das Gericht begründete seine Entscheidung mit der fehlenden Berücksichtigung alternativer Verwertungsmöglichkeiten durch die Klägerin. Es wurde hervorgehoben, dass die Klägerin die Möglichkeit eines Verkaufs des Grundstücks im Ist-Zustand oder nach Durchführung bestimmter baulicher Maßnahmen nicht ausreichend in Erwägung gezogen hatte. Zudem wurde kritisiert, dass die Kündigungsbegründung wesentliche Aspekte unvollständig darstellte und somit die Klägerin nicht überzeugend darlegen konnte, warum der Abriss und Neubau die einzig sinnvolle Option sei. Die Entscheidung machte deutlich, dass eine Abwägung der Interessen des Mieters und der Vermieterin erfolgen muss, wobei das Interesse des Mieters am Erhalt seiner Wohnung besonderes Gewicht hat.
Das Gericht bestätigte die Rechte des Mieters auf seinen Wohnraum und setzte der Gewinnoptimierung durch Verwertungskündigung klare Grenzen.
✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt
Was versteht man unter einer Verwertungskündigung im Mietrecht?
Unter einer Verwertungskündigung im Mietrecht versteht man die Kündigung eines Mietverhältnisses durch den Vermieter, die darauf abzielt, die Immobilie wirtschaftlich anderweitig zu nutzen, weil die Fortsetzung des Mietverhältnisses eine angemessene wirtschaftliche Verwertung verhindert. Die rechtliche Grundlage hierfür findet sich in § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB. Eine solche Kündigung ist an strenge Voraussetzungen gebunden, um Mieter vor ungerechtfertigten Kündigungen zu schützen.
Die Voraussetzungen für eine wirksame Verwertungskündigung sind:
- Der Vermieter muss die Absicht haben, die Immobilie anderweitig zu verwerten. Dies kann beispielsweise der Verkauf des Objektes, eine grundlegende Modernisierung oder Sanierung, die Zusammenlegung oder Aufteilung von Wohnungen oder der Abriss des Gebäudes mit anschließendem Neubau sein.
- Die beabsichtigte Verwertung muss angemessen sein. Das bedeutet, sie muss von vernünftigen und nachvollziehbaren Erwägungen getragen sein, wie etwa die Tilgung von Schulden durch den Verkaufserlös oder die Schaffung von neuem Wohnraum.
- Das bestehende Mietverhältnis muss der Verwertung im Wege stehen, und durch diese Hinderung müssen dem Vermieter wirtschaftliche Nachteile entstehen. Eine bloße Erschwerung der Verwertung reicht nicht aus.
- Der Vermieter muss die Kündigung ausführlich begründen, und die Begründung muss den Zweck einer wirtschaftlichen Verwertung erfüllen.
Mieter, die eine Verwertungskündigung erhalten, sollten diese auf ihre Wirksamkeit hin überprüfen und gegebenenfalls mit Hilfe eines Rechtsbeistandes anfechten. Eine reine Erhöhung der Mieteinnahmen durch Neuvermietung fällt nicht unter die Verwertungskündigung.
Wie wirkt sich die Sozialpflichtigkeit des Eigentums auf Verwertungskündigungen aus?
Die Sozialpflichtigkeit des Eigentums, wie sie in Artikel 14 Absatz 2 des Grundgesetzes (GG) festgelegt ist, hat erhebliche Auswirkungen auf Verwertungskündigungen. Sie stellt sicher, dass das Interesse des Mieters, in seiner bisherigen Wohnung als seinem Lebensmittelpunkt zu verbleiben, berücksichtigt wird.
In diesem Kontext bedeutet die Sozialpflichtigkeit des Eigentums, dass das Eigentum des Vermieters keinen Anspruch auf Gewinnoptimierung oder auf die Realisierung des größtmöglichen wirtschaftlichen Vorteils gewährt. Dies bedeutet, dass eine Verwertungskündigung nicht einfach auf der Grundlage der Gewinnmaximierung ausgesprochen werden kann.
Die Frage, ob dem Eigentümer durch den Fortbestand eines Mietvertrags ein erheblicher Nachteil entsteht, muss vor dem Hintergrund der Sozialpflichtigkeit des Eigentums beurteilt werden. Dies erfordert eine Abwägung zwischen dem Bestandsinteresse des Mieters und dem Verwertungsinteresse des Vermieters.
Es ist auch wichtig zu beachten, dass die geplante wirtschaftliche Verwertung angemessen sein muss, was bedeutet, dass sie von vernünftigen, nachvollziehbaren Erwägungen getragen werden muss. Reine Luxusmodernisierungen, die keine allgemein üblichen Wohnverhältnisse schaffen, werden beispielsweise in der Regel als nicht angemessen betrachtet.
Darüber hinaus kann es entscheidend sein, ob die Verwertungsmöglichkeit von der Beendigung des Mietverhältnisses abhängt. Der Vermieter muss die ernsthafte Absicht haben, die angekündigte Verwertung umzusetzen, und diese Absicht muss eindeutig sein und darf nicht offensichtlich vorgetäuscht sein.
Insgesamt muss bei einer Verwertungskündigung eine Interessenabwägung zwischen den Rechten des Mieters und des Vermieters stattfinden, wobei die Sozialpflichtigkeit des Eigentums eine zentrale Rolle spielt.
Welche Rolle spielt das Bestandsinteresse des Mieters bei der Prüfung einer Verwertungskündigung?
Das Bestandsinteresse des Mieters spielt bei der Prüfung einer Verwertungskündigung eine zentrale Rolle. Es bezieht sich auf das Interesse des Mieters, in seiner bisherigen Wohnung, die als sein Lebensmittelpunkt gilt, verbleiben zu können. Bei der Beurteilung einer Verwertungskündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB muss eine Abwägung zwischen dem Bestandsinteresse des Mieters und dem Verwertungsinteresse des Vermieters erfolgen.
Diese Abwägung ist vor dem Hintergrund der Sozialpflichtigkeit des Eigentums vorzunehmen, die in Artikel 14 Absatz 2 des Grundgesetzes verankert ist. Das bedeutet, dass das Eigentum des Vermieters nicht uneingeschränkt zur Gewinnoptimierung oder zur Realisierung des größtmöglichen wirtschaftlichen Vorteils genutzt werden kann, wenn dies das Bestandsinteresse des Mieters beeinträchtigt.
Der Bundesgerichtshof hat klargestellt, dass nicht jeder Nachteil, der dem Vermieter aus dem Fortbestand des Mietverhältnisses entsteht, eine Verwertungskündigung rechtfertigt. Vielmehr müssen die Nachteile des Vermieters erheblich sein und dürfen nicht die Nachteile, die dem Mieter bei einer Räumung der Wohnung entstehen würden, weit übersteigen.
Die Abwägung zwischen Bestands- und Verwertungsinteresse lässt sich nur im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Falls vornehmen. Dabei sind auch die konkreten Interessen des Mieters zu berücksichtigen, wie etwa die Folgen eines Umzugs für den jeweiligen Mieter. Eine pauschale Beurteilung ist nicht möglich, und die Gerichte müssen eine sorgfältige Prüfung und Bewertung der individuellen Situation vornehmen.
Das vorliegende Urteil
AG Berlin-Mitte – Az.: 25 C 80/23 – Urteil vom 17.08.2023
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn ich der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 1.457,52 Euro festgesetzt.
Tatbestand:
Die Klägerin ist seit 2018 Eigentümerin und Vermieterin der Wohnung … Berlin gelegenen und vom Beklagten als Mieter bewohnten Wohnung.
Der Wohngebäudekomplex … wurde im Jahr 1984 errichtet. In den Jahren 2006/2007 wurden am Gebäude Baumaßnahmen durchgeführt. So wurde das Flachdach durch ein Folien/Bitumendach erneuert und eine Photovoltaik-Anlage installiert. Die Außenwände wurden mit einem Wärmeverbundsystem (WDVA) verkleidet, die Fenster gegen Kunstoff-Isolierglasfenster ausgetauscht sowie die Keller- und die Dachgeschossdecke gedämmt.
Im Jahr 2018 erwarb die Klägerin den Gebäudekomplex. Im Zeitraum August 2017 bis Juni 2018 ließ die Klägerin ein Gutachten über den Bestand der Gebäudeeinheiten … sowie zur Ermittlung des Sanierungsbedarfs erstellen. Das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr.Ing. … vom 14. Juni 2018, auf das für die weiteren Einzelheiten verwiesen wird (Anlage Kl, Bl. 11 ff. d. A.), untersuchte vier Verwertungsszenarien, wovon drei Szenarien jeweils Sanierungsmaßnahmen am Gebäude und in den Wohnungen unterschiedlichen Ausmaßes und ein Szenario den vollständigen Abriss nebst Errichtung eines Neubaus beinhalteten.
Das Bezirksamt Mitte erteilte der Klägerin mit Bescheid vom 27. Februar 2022 die Abrissgenehmigung für die Wohngebäude …
Mit Schreiben vom 1. August 2022, auf das für die Einzelheiten verwiesen wird (Anlage K6, Bl. 110 ff. d. A.), kündigte die Klägerin das Mietverhältnis ordentlich zum 30. April 2023. Zur Begründung der Kündigung führte die Klägerin unter Verweis auf das Gutachten vom 14. Juni 2018, einer Kostenanpassung vom 23. März 2022, einer wohnungsbezogenen Renditeberechnung sowie einer Angebotskalkulation auf, das Mietverhältnis stehe dem Abriss und Neubau nebst anschließendem Verkauf als einzig wirtschaftlich vertretbaren Möglichkeit der Verwertung des Grundstücks entgegen. Mit Schreiben vom 21. Februar 2023 widersprach der Beklagte der Kündigung. Ein Auszug des Beklagten erfolgte nicht.
Die Klägerin ist der Auffassung, die Kündigung vom 1.8.2022 sei wirksam, insbesondere entstünde der Klägerin durch den Fortbestand des Mietverhältnisses ein erheblicher Nachteil im Sinne von § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB.
Sie beantragt, den Beklagten zu verurteilen, die mit Nr. … bezeichnete Wohnung, … Berlin, zu räumen und an die Klägerin geräumt herauszugeben.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, der Klägerin entstünde kein erheblicher Nachteil durch den Fortbestand des Mietverhältnisses, denn ihr stünde kein Anspruch auf die maximal mögliche Rendite zu.
Für das weitere Vorbringen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
I.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Klägerin steht gegenüber dem Beklagten der geltend gemachte Anspruch auf Räumung und Herausgabe der von ihm innegehaltenen Wohnung gemäß §§ 985, 546 Abs. 1 BGB nicht zu, da die Kündigung vom 1. August 2022 das Mietverhältnis nicht beendet hat.
Die Voraussetzungen des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB sind nicht erfüllt. Danach hat die Vermieterin ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses, wenn sie durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert ist und dadurch erhebliche Nachteile erleiden würde.
Hieran fehlt es.
Die Beurteilung der Frage, ob der Eigentümerin durch den Fortbestand eines Mietvertrags ein erheblicher Nachteil entsteht, ist vor dem Hintergrund der Sozialpflichtigkeit des Eigentums und damit des grundsätzlichen Bestandsinteresses des Mieters, in der bisherigen Wohnung als seinem Lebensmittelpunkt zu verbleiben, vorzunehmen. Die erforderliche Abwägung zwischen dem Bestandsinteresse des Mieters und dem Verwertungsinteresse der Eigentümerin entzieht sich einer generalisierenden Betrachtung; sie lässt sich nur im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und der konkreten Situation der Vermieterin treffen (vgl. BGH, Urteil vom 9. Februar 2011 – VIII ZR 155/10 -; NJW 2011, 1135). Dabei gewährt das Eigentum der Vermieterin keinen Anspruch auf Gewinnoptimierung oder auf Einräumung gerade der Nutzungsmöglichkeiten, die den größtmöglichen wirtschaftlichen Vorteil versprechen (BGH, Urteil vom 27. September 2017 – VIII ZR 243/16 -; NZM 2017, 756 m. w. NW.). So wenig die Eigentümerin als Vermieterin einen Anspruch darauf hat, aus der Mietwohnung die höchstmögliche Rendite zu erzielen, so wenig hat sie bei jedwedem wirtschaftlichen Nachteil einen Anspruch auf Räumung (BVerfG, Beschluss vom 9. Oktober 1991 – 1 BvR 227/91, BVerfGE 84, 382 Rn. 12 m.w.N.).
Dabei ist zu beachten, dass sowohl die Rechtsposition der Vermieterin, als auch das abgeleitete Besitzrecht des Mieters von der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt sind (BVerfG, Beschluss vom 26. Mai 1993 – 1 BvR 208/93 -, BVerfGE 89, 1-14; BGH, Urteil vom 10. Mai 2017 – VIII ZR 292/15 -, NJW-RR 2017, 976). Die Wohnung ist für den einzelnen Menschen Mittelpunkt der privaten Existenz und er ist auf ihren Gebrauch zur Befriedigung elementarer Lebensbedürfnisse sowie zur Freiheitssicherung und Entfaltung seiner Persönlichkeit angewiesen (BVerfG, Beschluss vom 26. Mai 1993 – 1 BvR 208/93 -, BVerfGE 89, 1-14, Rn. 21).
Im Hinblick auf die vom Gesetzgeber eigens geschaffene Härteregelung des § 574 BGB sind auf Seiten des Mieters allerdings (nur) die unabhängig von seiner konkreten Situation bestehenden Belange in die Abwägung einzustellen, also das generell bestehende Interesse, die Wohnung und damit den Lebensmittelpunkt nicht zu verlieren und nicht mit den unbeträchtlichen Kosten und anderen erheblichen Unzuträglichkeiten belastet zu werden, die ein Wohnungswechsel in der Regel mit sich bringt (vgl. BGH, Urteil vom 10. Mai 2017 – VIII ZR 292/15). Deswegen ist im Rahmen der Abwägung auch unerheblich, ob der Beklagte aufgrund seiner Einkommensverhältnisse und seines Berufs konkret von Obdachlosigkeit bedroht ist, oder – wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung dargelegt hat – nicht.
Die der Vermieterin entstehenden Nachteile dürfen andererseits keinen Umfang annehmen, der die Nachteile weit übersteigt, die vorliegend dem Mieter im Falle des Verlustes der Wohnung erwachsen. Die im Rahmen des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB erforderliche Abwägung zwischen dem grundsätzlichen Bestandsinteresse des Mieters und dem Verwertungsinteresse der Eigentümerin entzieht sich einer generalisierenden Betrachtung; sie lässt sich nur unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und der konkreten Situation der Vermieterin treffen (St. Rspr., BGH, Urteil vom 27. September 2017 – VIII ZR 243/16 -, Rn. 22, 23).
Gemessen an diesen Grundsätzen entsteht der Klägerin aufgrund der von ihr im Kündigungsschreiben vom 1. August 2022 sowie den dort in Bezug genommenen Unterlagen behaupteten Tatsachen durch den Fortbestand des Mietverhältnisses mit dem Beklagten kein erheblicher Nachteil i.S.d. § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB:
Die Klägerin beabsichtigt ausweislich ihrer Kündigungsbegründung, das Grundstück nach Abriss von insgesamt über hundert Wohnungen unter Einschluss der von dem Beklagten innegehaltenen Räume neu zu bebauen, den neu geschaffenen Wohnraum zu veräußern und einen Gewinn von insgesamt 13.706.830,00 Euro zu erzielen. Bei Erhalt der bisherigen Bausubstanz und Fortbestand auch des streitgegenständlichen Mietverhältnisses wäre die Klägerin ausweislich ihres Vortrags gezwungen, das Gesamtobjekt mit einer Unterdeckung zu bewirtschaften, deren Höhe davon abhängt, in welchem Ausmaß Kosten für bauliche Maßnahmen aufgewendet werden.
Das Vorbringen überzeugt insoweit schon im Ansatz nicht, denn es setzt sich mit der naheliegenden Möglichkeit eines Weiterverkaufs des Grundstücks im Ist-Zustand oder nach Durchführung baulicher Maßnahmen sowie gegebenenfalls Umwandlung unter Erhalt des Gebäudes und der Mietverhältnisse nicht auseinander, sondern setzt lediglich die eigene Weiterbewirtschaftung mit dem Verkauf nach Abriss und Neubau in Relation. Die klägerische Kalkulation und damit auch die Kündigungsbegründung sind damit in einem maßgeblichen Punkt unvollständig, wenn nicht sogar bewusst lückenhaft: Die Grundstückspreise steigen in Berlin seit Jahren erheblich. Konkret hinsichtlich des hier streitgegenständlichen Grundstücks betrug der Bodenrichtwert – wie aus allgemein zugänglichen Quellen (https://fbinter.stadt-berlin.de/boris/) ersichtlich und damit gerichtsbekannt – am 1. Januar 2018 noch 4.000,00 Euro. Dieser Wert stieg nach dem Eigentumserwerb der Klägerin zum 1. Januar 2023 auf 6.000,00 Euro und damit um 50%. Zwischenzeitlich, zum 1. Januar 2022, dem Jahr der Kündigung, war sogar eine Steigerung um 75% zu verzeichnen. Es ist deswegen schon nicht ersichtlich, dass sämtliche Alternativen, die der Klägerin zur ihrem Geschäftsmodell entsprechenden Verwertung zur Verfügung stehen, für sie im Vergleich zum Abriss und Neubau wirtschaftlich nachteilig sind. Soweit in der mündlichen Verhandlung hierzu pauschal vorgetragen wurde, einen Investor zu finden, sei angesichts der Mietverhältnisse schwierig bzw. unmöglich, überzeugt das nicht. Denn die Klägerin selbst hat ja in der gleichen Situation als Investorin gekauft. Das Vorbringen ist zudem aber auch nicht Teil der Kündigungsbegründung und deswegen nicht beachtlich, § 573 Abs. 3 S. 1 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 27. September 2017 – VIII ZR 243/16).
Selbst die Alternative der Veräußerung bei Erhalt des Gebäudes außer Acht lassend, liegt ein erheblicher Nachteil unter Berücksichtigung der angeblich nur defizitär möglichen Bewirtschaftung im Vergleich zum avisierten Veräußerungsgewinn von 13.706.830,00 Euro nicht vor:
Bei der vorzunehmenden Abwägung der unterschiedlichen Interessen beider Vertragsparteien ist neben den übrigen Umständen des Einzelfalls zunächst zu berücksichtigen, dass die Klägerin das Objekt in Kenntnis des Beklagten und des Mietvertrages und damit in Kenntnis der eingeschränkten Möglichkeiten zur Änderung oder gar Beendigung der bestehenden Mietverhältnisse erworben hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. November 2003 – 1 BvR 1424/02, NJW-RR 2004, 371 Rn. 16; LG Berlin, Urteil vom 25. September 2014 – 67 S 207/14; Blank/Börstinghaus/Siegmund/Siegmund, 7. Aufl. 2023, BGB § 573 Rn. 83). Die geplante Verwertung mit dem Ziel der Rendite war unter den gegebenen Voraussetzungen von vorneherein ein hoch riskantes, im Rahmen der Abwägung aus diesem Grund weniger schutzwürdiges Geschäft. Gleiches gilt für den baulichen Zustand des Gebäudes, von dem sich die Klägerin ja vor dem Kauf hätte überzeugen können. Es war die Sache der Klägerin angesichts der baulichen Verhältnisse und der die Mietparteien schützenden Vorschriften vor dem Kauf mit der nicht fernliegenden Möglichkeit des Fortbestands der Mietverhältnisse wirtschaftlich sinnvoll zu kalkulieren.
Zwar ist der Klägerin zuzugeben und im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, dass sie sich – wie in der mündlichen Verhandlung von ihr herausgestellt – verpflichtet hat, für die Mietverhältnisse im Rahmen des Neubauprojekts Ersatz zu schaffen. Ein konkretes Angebot einer Ersatzwohnung an den Beklagten zu einer bestimmten Miete ist indes gar nicht dargetan. Vielmehr beabsichtigt die Klägerin – ausweislich des Vorbringens ihres Geschäftsführers in der mündlichen Verhandlung – an den Beklagten allenfalls zu einer Miete in Höhe von 30% seines von ihm noch nachzuweisenden Einkommens zu vermieten. Vergleichsgespräche drehten sich bislang um den Auszug des Beklagten gegen eine Abfindung.
Schließlich ist zu berücksichtigen, dass auch nach dem in der Kündigungserklärung in Bezug genommenen Gutachten ein Zustand der Wohnung, der – worauf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ja maßgeblich abstellt – einer angemessenen Wohnraumversorgung entspricht (vgl. BGH, Urteil vom 9. Februar 2011 – VIII ZR 155/10), unter Erhalt der Bausubstanz sehr wohl mit vertretbarem Aufwand erreicht werden kann. Eine angemessene Wohnraumversorgung ist nämlich, anders als die Klägerin offenbar meint, nicht gleichzusetzen mit heutigem Komfort und Stand der (Neubau-)Technik. Vielmehr meint der Begriff die Versorgung mit nach Größe, Ausstattung und Miete für breiten Schichten der Bevölkerung geeigneten Wohnraum (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Januar 1990 – 8 C 67/87). Ausreichend ist also ein mangelfreier Durchschnittszustand. Eine den Abriss fordernde oder diesen auch nur nahe legende Mangelhaftigkeit des Gebäudes und der streitgegenständlichen Wohnung ist aber nicht ansatzweise dargetan. Ein konkreter Erneuerungsbedarf im Falle der Weiternutzung wird in dem in Bezug genommenen Gutachten überhaupt nur hinsichtlich des Flachdachs (dort der Abdichtungen, vgl. S. 21 d. Gutachtens, Bl. 31 d. A.), des Estrichs, der Türen, der Rohrleitungen und der Elektroanlage festgestellt (S. 52 d. Gutachtens, Bl. 62 d. A.). Nur insoweit kann deswegen auch von einem Instandsetzungsbedarf ausgegangen werden. Die Durchführung aller erforderlichen Maßnahmen wird im Gutachten ja ausdrücklich unter dem Stichwort „Szenario II“ (S. 62 des Gutachtens, Bl. 72 d. A.) bewertet. Hinzukommt, dass das Gebäude bereits in weiten Teilen energetisch saniert ist: So wurde eine Photovoltaik-Anlage installiert, die Außenwände wurden mit einem Wärmeverbundsystem (WDVA) verkleidet, die Fenster gegen Kunstoffisolierglasfenster ausgetauscht sowie die Keller- und die Dachgeschossdecke gedämmt. Die aufgeführten Vorteile eines Abrisses sind demgegenüber aus wohnungswirtschaftlicher Sicht wenig bedeutsam: So sollen verzichtbare Komfortzuwächse durch Balkone, vergrößerte Verkehrsflächen, verstärkten Schallschutz, vermietbare Nutzflächen, hochwertige Keller und Stellplätze geschaffen werden (vgl. S. 67 d. Gutachtens, Bl. 77 d. A.). Auch dem kommt in der Abwägung nur ein geringes Gewicht zu.
Das generell bestehende Interesse des Beklagten, das Mietverhältnis zu erhalten, die Wohnung und damit den Lebensmittelpunkt nicht zu verlieren und nicht mit den unbeträchtlichen Kosten eines Umzugs und anderen erheblichen Unzuträglichkeiten belastet zu werden, überwiegt demgegenüber als höchstpersönliche, grundsätzlich existenzsichernde und damit besonders gewichtige Rechtsposition deutlich.
Die Klage ist damit vollständig abzuweisen.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.