Spannungen in der WG: Streit um Mietvertragskündigung
In einer Wohngemeinschaft (WG) können Spannungen zum täglichen Brot gehören, doch in diesem speziellen Fall eskalierte die Situation so sehr, dass ein Gericht involviert wurde. Hier handelt es sich um die Klärung der Frage, ob in einer privaten WG ein Bewohner berechtigt ist, die Kündigung eines gemeinsam abgeschlossenen Mietvertrages ohne Zustimmung der anderen Mitbewohner zu vollziehen.
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Übersicht
Ausgangspunkt: Unstimmigkeiten in einer Privat-WG
Zwei Parteien bewohnten eine Wohnung in einer privaten WG und unterzeichneten gemeinsam den entsprechenden Mietvertrag. Nun verlangt eine der Parteien die Zustimmung zur Kündigung dieses Mietvertrages von der anderen Partei.
Besonderheiten im Mietrecht
Im Zentrum des Streits steht die Annahme, dass einer der Bewohner das Recht hat, die Zustimmung zur Kündigung des gemeinsam abgeschlossenen Mietvertrages zu verlangen, unabhängig von weiteren Bedingungen. Dieser Standpunkt überzeugt jedoch nicht vollständig. In einer privaten WG handelt es sich bei mehreren Mitmietern eher um eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts.
Interessenkonflikte in der WG
Die Situation wird noch komplexer, da es offenbar einen Konflikt zwischen den Interessen der WG-Bewohner gibt. Auf der einen Seite steht der Wunsch eines Bewohners, die WG zu verlassen und den Mietvertrag zu kündigen. Auf der anderen Seite steht der Wunsch des anderen Bewohners, am Mietvertrag festzuhalten. Hier ist ein Ausgleich dieser widerstreitenden Interessen notwendig.
Bedeutung der Treuepflicht
Die Lösung für diesen Interessenkonflikt könnte in der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht liegen, die für die Mieter als Mitglieder einer „Innen-GbR“ gilt. Hierbei handelt es sich um die Verpflichtung, die Interessen der anderen Gesellschafter zu berücksichtigen und nicht zu schädigen.
Abschließende Betrachtungen
Es scheint, dass die Klägerin aufgrund ihrer eigenen Angaben keinen überzeugenden Grund für die Notwendigkeit der Zustimmung zur Kündigung des Mietvertrages durch die Beklagte vorbringen konnte. Deshalb scheint es unwahrscheinlich, dass sie in diesem Fall Erfolg haben wird. Das Urteil hat daher weitreichende Auswirkungen auf ähnliche Situationen in Wohngemeinschaften und setzt einen Präzedenzfall für zukünftige Rechtsstreitigkeiten.
[…]
Das vorliegende Urteil
LG Frankfurt – Az.: 2/11 T 117/20 – Beschluss vom 07.12.2020
Auf die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin vom 18.11.2020 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 12.10.2020 (Az.: 32 C 2172/20 (86)) wird der angegriffene Beschluss aufgehoben und der Beschwerdeführerin Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug gewährt. Herr Rechtsanwalt XXX wird der Beschwerdeführerin als Prozessbevollmächtigter beigeordnet.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Beschwerdegegnerin zu tragen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Beschwerdegegnerin verlangt in dem noch anhängigen erstinstanzlichen Hauptsacheverfahren von der Beschwerdeführerin die Kündigung des mit der Beschwerdeführerin gemeinsam abgeschlossenen Mietvertrages über die streitgegenständliche Wohnung in XXX zuzustimmen.
Die Parteien schlossen gemeinsam als Mieter am 31.01.2017 den streitgegenständlichen Mietvertrag ab und bewohnten die Wohnung seither gemeinsam. Am 08.03.2020 und 11.03.2020 teilte die Beschwerdegegnerin der Beschwerdeführerin mit, dass sie aus der Wohnung ausziehen und mit ihrem Freund zusammenziehen wolle, woraufhin die Beschwerdeführerin den Wunsch äußerte, die Wohnung künftig als alleinige Mieterin zu bewohnen. Auf Anlagen K 3 und K 4 wird Bezug genommen. Anfang April 2020 ließen die Parteien der Hausverwaltung einen Übernahmevertrag zukommen, wonach die Beschwerdegegnerin aus dem Mietverhältnis ausscheiden und das Mietverhältnis mit der Beschwerdeführerin alleine fortgesetzt werden sollte. Hausverwaltung und Vermieter waren zu einer solchen Vertragsübernahme unter der Bedingung bereit, dass auch das Mietverhältnis mit der Beschwerdeführerin zum 31.10.2020 enden würde.
Parallel zu den vorstehend geschilderten Vorgängen erklärte die Beschwerdegegnerin zweimal die außerordentliche Kündigung gegenüber der Hausverwaltung (s. Anlage K 5 und K 7), im Schreiben vom 14.04.2020 (Anlage K 7) dabei hilfsweise die ordentliche Kündigung. Offenbar ausgehend von einem Fortbestand des Mietverhältnisses bis zum 31.10.2020 erklärte sich die Beschwerdeführerin bereit, die Miete ab Juli 2020 alleine zu zahlen (s. Bl. 59 d. A.).
Eine weitere Zustimmung zu einer Kündigung des Mietverhältnisses erklärte die Beschwerdeführerin trotz Aufforderung von Seiten der Beschwerdegegnerin (s. Anlage K 9) nicht. Vertreten durch den Mieterberatung … e. V. erwiderte die Beschwerdeführerin mit E-Mail vom 27.04.2020, eine fristgerechte Kündigung sei ohnehin nur zum 31.07.2020 möglich; auf Grund der Schwierigkeiten eine neue Wohnung zu finden, sei sie bereit, sich auf eine Beendigung des Mietverhältnisses zum 31.12.2020 einzulassen, bei hälftiger Beteiligung der Beschwerdegegnerin an den Mietkosten bis 31.07.2020.
Mit Schriftsatz vom 01.10.2020 hat die Beschwerdeführerin die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt.
Das Amtsgericht hat diesen Antrag mit Beschluss vom 12.10.2020 zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, die Beschwerdegegnerin hätte einen Anspruch auf Zustimmung zur Kündigung aus § 749 Abs. 1 BGB. Danach habe jeder Teilhaber das Recht, jederzeit die Auseinandersetzung der Gemeinschaft zu verlangen. Ein Ausschluss wegen besonderer Härte könne nicht gesehen werden.
Gegen diesen – dem Prozessvertreter der Beschwerdeführerin am 20.10.2020 zugestellten – Beschluss hat die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 18.11.2020 – bei Gereicht eingegangen am 20.11.2020 – sofortige Beschwerde eingelegt. Auf den Schriftsatz vom 18.11.2020 wird Bezug genommen. Das Amtsgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 26.11.2020 nicht abgeholfen.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet. Das Amtsgericht hat der Beschwerdeführerin zu Unrecht die Gewährung von Prozesskostenhilfe versagt.
Gem. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Die Verteidigung der Beschwerdeführerin gegen die Klage der Beschwerdegegnerin bietet hinreichend Aussicht auf Erfolg und erscheint auch nicht mutwillig. Die Erfolgsaussichten der Rechtsverteidigung sind ausgehend von einer summarischen Prüfung des Rechtsstreits zu beurteilen. Dabei ist im gegenwärtigen Verfahrensstand nicht zu erkennen, dass die Klage mit überwiegender Wahrscheinlichkeit begründet sein wird. Ausgehend von dem bisherigen Sachvortrag der Parteien, ist für das Gericht nicht ersichtlich, dass der Beschwerdegegnerin jedenfalls und unabhängig von weiterer Tatsachenaufklärung ein Anspruch auf Zustimmung zur Kündigung des streitgegenständlichen Mietverhältnisses gegen die Beschwerdeführerin zusteht.
Die Annahme des Amtsgerichts, der Beschwerdegegnerin stünde ein Anspruch aus § 749 Abs. 1 BGB gegen die Beschwerdeführerin zu, gleichsam jederzeit und ohne weitere Voraussetzungen die Zustimmung zu einer Kündigung des gemeinsam abgeschlossenen Mietvertrages zu verlangen, überzeugt nicht. Bei einer privaten Wohngemeinschaft, d. h. einem von mehreren Personen als gemeinsame Mieter begründeten Mietverhältnis, handelt es sich nach Auffassung des Beschwerdegerichts nicht um eine Bruchteilsgemeinschaft nach §§ 741 ff. BGB. Soweit diese Einordnung in der Literatur teilweise vertreten wird (vgl. etwa Karsten Schmidt in Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, § 741 Rn. 18) vermag das Beschwerdegericht dem nicht zu folgen. Wie das Landgericht Berlin entschieden und überzeugend begründet hat, werden die Regeln über die Bruchteilsgemeinschaft dem Innenverhältnis zwischen mehreren Mitbewohnern nicht gerecht; vielmehr handelt es sich bei mehreren Mitmietern um eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (LG Berlin, Urteil vom 16. 10. 1998 – 64 S 81–98, m. w. N.). Wie die Klägerin selbst zum Ausdruck gebracht hat, hatten sich die Parteien ursprünglich zu einem gemeinsam verfolgten Zweck – das Bewohnen der streitgegenständlichen Wohnung – zusammengeschlossen.
Dieses Ergebnis steht im Einklang mit einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 10.09.1997 (Az.: VIII ARZ 1/97), wonach die Mitglieder einer Wohngemeinschaft, die gemeinsam eine Wohnung angemietet haben, eine „Innen-GbR“ bilden, soweit nichts anderes vereinbart wurde.
Etwas anderes folgt auch nicht aus der Entscheidung des OLG Hamburg vom 01.06. 2001 (Az.: 11 U 47/01), wonach einer von mehreren Vermietern von seinem Mitvermieter ggf. einen Anspruch auf Mitwirkung an einer Kündigung nach § 749 Abs. 1 BGB haben kann. Das OLG Hamburg hat dort argumentiert, mehrere Wohnungseigentümer seien Vermieterparteien des einheitlichen Mietvertrags mit der Gesamtheit der Mieter in der rechtlichen Gestalt einer Gemeinschaft i.S. d. §§ 741ff. BGB, wobei ein Anspruch auf Mitwirkung an der Vermieterkündigung vor dem Hintergrund des Art. 14 GG anerkannt wurde. Die Mietergesamtheit wurde hingegen auch im Urteil des OLG Hamburg als Gesellschaft bürgerlichen Rechts dargestellt.
Die Möglichkeit eines Mieters, von seinem Mitmieter und -bewohner jederzeit ohne weitere Voraussetzung und nur unter dem Vorbehalt unbilliger Härte die Kündigung zu verlangen, würde auch der Interessenlage einer Wohngemeinschaft regelmäßig nicht gerecht. Dadurch würde für einen Mitbewohner die Möglichkeit geschaffen, ausgehend von dem einseitigen Wunsch, auszuziehen, die Auflösung des Mietverhältnisses betreffend die gesamte Wohngemeinschaft und damit unter Umständen den Auszug aller Mitbewohner zu erzwingen. Auf der anderen Seite verkennt das Beschwerdegericht nicht, dass auch der Wunsch eines Mitbewohners, an dem Mietvertrag festzuhalten, dem Auszugswunsch des anderen nicht absolut und einschränkungslos entgegengehalten werden kann. Ein Ausgleich zwischen solchermaßen widerstreitenden Interessen ist im Innenverhältnis zwischen den Mietern über die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht, die die Mieter als Mitglieder einer „Innen-GbR“ tritt, herzustellen. Im Ergebnis wird danach ein Anspruch auf Zustimmung zur Kündigung bestehen, wenn sich das Festhalten am Mietvertrag durch einen der Mieter im Einzelfall als treuwidrig darstellt. Dies dürfte insbesondere dann anzunehmen sein, wenn sich ein Mitbewohner dauerhaft einer einvernehmlichen Lösung verweigert und die Kündigung auch für die Zukunft kategorisch ausschließt.
Unter Berücksichtigung des Vorstehenden stellt sich das Verhalten der Beschwerdeführerin nach gegenwärtigen Sachstand nicht als treuwidrig dar. Schon der Klageschrift selbst ist zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin zunächst mit einer Beendigung des Mietvertrages zum 31.10.2020, später dann zumindest zum 31.12.2020 einverstanden war. Weiter hat die Beschwerdeführerin in den E-Mails vom 17.04.2020 und 27.04.2020 zum Ausdruck gebracht, die Mietkosten in voller Höhe ab Juli bzw. August alleine zu tragen. Diese Reaktionen auf die von der Beschwerdegegnerin vorgetragenen Kündigungen, stellen sich schon deshalb nicht als treuwidrig dar, weil die von der Beschwerdeführerin vorgeschlagene Lösung der vollständigen Kostentragung für die Beschwerdegegnerin der von ihr zum damaligen Zeitpunkt über die jeweilige ordentliche Kündigung begehrten „Entlassung“ aus dem Mietverhältnis wirtschaftlich entsprochen hätte und die mietvertragliche Mithaftung gegenüber der Vermieterseite nur einen überschaubaren Restzeitraum bestanden hätte. Die jeweilige Frist der Kündigungen Ende März bzw. Mitte April wäre schließlich am 30.06.2020 bzw. 31.07.2020 abgelaufen.
Weshalb das vorangegangene Verhalten der Beschwerdeführerin eine Beendigung des Mietverhältnisses zum 31.10.2020 und eine Fortführung des Mietvertrages bis dahin mit der Beschwerdeführerin als alleinige Mieterin verhindert haben soll, ist ausgehend von dem klägerischen Vortrag nicht nachvollziehbar. Die Beschwerdegegnerin hat selbst vorgetragen, die entsprechende Übernahmevereinbarung sei von der Hausverwaltung abgelehnt worden. Dass eine Zustimmung der Beschwerdeführerin zur Kündigung des Mietvertrages, zusätzlich zum Abschluss der Übernahmevereinbarung erforderlich gewesen wäre, erschließt sich angesichts der gegenteiligen Regelung in den vorgelegten Fassungen der Übernahmevereinbarung (Anlage K 6 bzw. Bl. 48 d. A.) nicht. In § 2 heißt es jeweils, dass die Beschwerdegegnerin ausscheide, ohne dass es einer Beendigungskündigung bedürfe.
Ob die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht einen Mieter dazu verpflichtet, im Einzelfall einer berechtigten außerordentlichen Kündigung seines Mitmieters zuzustimmen, muss im Rahmen vorliegender Prüfung nicht entschieden werden. Eine Entscheidung über das Recht der Beschwerdegegnerin, den Mietvertrag im März bzw. April 2020 außerordentlich zu kündigen, wäre erst nach weiterem Tatsachenvortrag und entsprechender Beweisangebote durch die Beschwerdegegnerin möglich.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 127 Abs. 4 ZPO.
Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert, § 574 Abs. 2, 3 Satz 1 ZPO.