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Eigenbedarfskündigung bei Mischnutzung

Kollision von Wohn- und Gewerbenutzung: Berlins LG entscheidet im Falle einer Eigenbedarfskündigung

Eine auf den ersten Blick scheinbar einfache Eigenbedarfskündigung mutiert zu einem komplexen Rechtsfall, der die Grenzen zwischen Wohn- und Gewerbenutzung auslotet. Im Kern des Falles steht ein Anwalt, der Berufung gegen ein Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg eingelegt hat. Dieser verfolgt das Ziel, seine Klienten aus einer Wohnung zu entfernen, um sowohl Wohn- als auch Büroräume zu schaffen. Er argumentiert, dass er zwei der drei Zimmer als Büros für sich und zwei Kollegen nutzen möchte, und dass mehr als die Hälfte der Wohnung seiner Meinung nach immer noch für Wohnzwecke genutzt würde. Hinzu kommt, dass er aus gesundheitlichen Gründen – er leidet an einer chronischen Niereninsuffizienz – die Nähe zu einem nahegelegenen Nierenzentrum benötigt.

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Die feine Linie zwischen Wohn- und Geschäftsraum

Der Anwalt betonte, dass seine beruflichen Anforderungen und gesundheitlichen Bedürfnisse sein Interesse an der Wohnung überwiegen würden. Er plante, die Bürogemeinschaft mit seinen ehemaligen Kollegen in der besagten Wohnung fortzusetzen. Darüber hinaus generierte er im Jahr 2020 fast 75% seines Einkommens aus der Untervermietung an diese Kollegen. Zudem, so argumentierte er, würde die Nähe des Nierenzentrums, das nur neun Gehminuten entfernt ist, eine enorme Erleichterung für seine dreimal wöchentlichen Dialysesitzungen bieten, die vier bis fünf Stunden dauern.

Auf dem Prüfstand: Zweckentfremdungsgenehmigung

Der Anwalt wies darauf hin, dass er eine Zweckentfremdungsgenehmigung beantragt und erhalten hatte. Dabei berief er sich auf § 2 Abs. 2 Ziff. 5 des Berliner Zweckentfremdungsverbotsgesetzes, welches besagt, dass keine Zweckentfremdung vorliegt, wenn mehr als 50% der Fläche für Wohnzwecke genutzt werden. Er behauptete, das Amtsgericht hätte fälschlicherweise angenommen, dass die Wohnnutzung überwiegen würde.

Die Position der Gegenseite

Auf der anderen Seite des Streits standen die Beklagten, die Mieter der Wohnung, die sich gegen die Eigenbedarfskündigung wehrten. Sie beantragten die Zurückweisung der Berufung des Klägers.

Entscheidung des Landgerichts

Das Landgericht Berlin entschied schließlich, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg zurückzuweisen. Der Kläger wurde zudem mit den Kosten des Berufungsverfahrens belastet. Es wurde jedoch zugelassen, dass der Kläger Revision einlegt, was eine weitere Runde in dieser Rechtssache bedeuten könnte.


Das vorliegende Urteil

LG Berlin – Az.: 64 S 333/21 – Urteil vom 23.11.2022

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg vom 15.12.2021, Az. 224 C 318/21, wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision des Klägers wird zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf bis 6.000,00 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf das angefochtene Urteil mit nachfolgenden Ergänzungen Bezug genommen:

Der Kläger ist der Ansicht, das Amtsgericht habe zu Unrecht ein Überwiegen der Wohnnutzung angenommen. Es sei zu berücksichtigen, dass zwei der drei Zimmer durch den Kläger als Anwalt, zwei Berufskollegen und eine Mitarbeiterin genutzt werden sollten. Gegen die Ansicht des Amtsgerichts spreche auch, dass der Kläger eine Zweckentfremdungsgenehmigung habe beantragen müssen und, dass diese auch erteilt worden sei. Aus § 2 Abs. 2 Ziff. 5 des Berliner Zweckentfremdungsverbotsgesetzes ergebe sich nämlich, dass keine Zweckentfremdung vorliege, wenn die Wohnnutzung von der Fläche her mehr als 50% betrage. Dies habe das Amtsgericht fälschlicherweise unterstellt. Der Kläger meint, sein Erlangungsinteresse überwiege das Bestandsinteresse der Beklagten aufgrund von beruflichen sowie gesundheitlichen Gründen. Der Kläger behauptet, seine beiden Kollegen seiner ehemaligen Bürogemeinschaft beabsichtigten die Bürogemeinschaft mit ihm in der streitgegenständlichen Wohnung fortzuführen. Weiter sei zu berücksichtigen, dass im Jahre 2020 ziemlich genau ¾ seines Einkommens allein aus der Untervermietung an die beiden Kollegen gestammt habe. Auch werde für ihn die räumliche Nähe zum Nierenzentrum – welches nur neun Gehminuten von der streitgegenständlichen Wohnung entfernt liege – besonders wichtig, weil er in absehbarer Zeit aufgrund einer chronischen Niereninsuffizienz dreimal pro Woche etwa vier bis fünf Stunden zur Dialyse werde gehen müssen.

Er beantragt sinngemäß, das am 14.12.2021 verkündete und am 15.12.2021 dem Kläger zugestellte Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg – 224 C 318/21 – abzuändern und die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, die Wohnung in der — straße …, 1 — Berlin, … EG links, nebst Kellerraum geräumt an den Kläger herauszugeben.

Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagten verteidigen das amtsgerichtliche Urteil. Sie meinen, das Mietverhältnis sei weder aufgrund der Beendigung des Hauswart-Dienstvertrages mit der Beklagten zu 2), noch durch die Kündigung des Klägers vom 24.01.2021 beendet worden. Das Amtsgericht habe zutreffend angenommen, dass der Kündigung die Sperrfrist gemäß § 577a BGB entgegenstehe. Der Kläger beabsichtige, die Wohnung neben seinem behaupteten Betriebsbedarf als Hauptwohnung und Lebensmittelpunkt zu nutzen. Anders, als der Kläger meine, lasse sich dem Schreiben des Bezirksamts vom 26.08.2021 keine Genehmigung zur Zweckentfremdung entnehmen. Vielmehr habe das Bezirksamt für eine Genehmigung einer Zweckentfremdung ausdrücklich zur Bedingung gemacht, dass es sich bei der Wohnung um die Hauptwohnung des Klägers handele. Der Vortrag aus der Berufungsbegründung lasse eine Nutzung als Hauptwohnung jedoch nicht mehr erkennen. Denn danach sollten seine zwei Kollegen, seine Mitarbeiterin und der Kläger selbst die Wohnung als Rechtsanwaltskanzlei nutzen. Eine Coronabedingte Abwechslung der Nutzung der Räume solle – anders als erstinstanzlich noch vorgetragen – nicht „immer so“ fortgeführt werden. Es sei nicht ersichtlich, in welchem Bereich der Wohnung der Kläger tatsächlich noch wohne, geschweige denn sei ersichtlich, dass die Wohnung Lebensmittelpunkt des Klägers sein solle und von ihm als solchen genutzt werde. Auf der Grundlage der klägerischen Darstellung werde eine Zweckentfremdung nicht genehmigt werden. Eine solche verbotene Zweckentfremdung stelle kein berechtigtes Interesse des Klägers nach § 573 Abs. 1 BGB dar.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 12.10.2022 Bezug genommen.

II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist unbegründet.

1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung nach §§ 546 Abs. 1, 985 BGB. Das mit den Beklagten bestehende Mietverhältnis wurde weder durch die Beendigung des Hauswart-Dienstvertrags noch durch die ausgesprochenen Kündigungen beendet. Mit dem Amtsgericht ist davon auszugehen, dass das Mietverhältnis nicht aufgrund von § 20 des Mietvertrags mit Beendigung des Hauswart-Dienstvertrags beendet wurde. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des Amtsgerichts verwiesen.

Die mit Schreiben vom 24.01.2021 und erneut mit der Klageschrift ausgesprochenen Kündigungen sind unwirksam, weil ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB oder nach § 573 Abs. 1 S. 1 BGB nicht besteht. Dabei ist – entgegen der Ansicht des Amtsgerichts – zunächst davon auszugehen, dass der Kündigungstatbestand des Eigenbedarfs (§ 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB) vorliegend nicht einschlägig ist, die Kündigungen also nicht schon gemäß § 577a Abs. 1 BGB unbeachtlich sind. Nach dem Vortrag des Klägers ist davon auszugehen, dass er eine sogenannte Mischnutzung beabsichtige, da er die Wohnung sowohl zu gewerblichen Zwecken als auch zu Wohnzwecken nutzen wolle. Sofern das Amtsgericht ausgeführt hat, dass nicht von einem Überwiegen der beruflichen Nutzung auszugehen sei, da anzunehmen sei, dass die übrigen Räume der Wohnung, insbesondere Küche, Bad und Abstellraum, bei einer Nutzung der Wohnung durch den Kläger als Hauptwohnsitz in erster Linie Wohnzwecken dienen würden, kann dem nicht gefolgt werden. Der Kläger hat dargetan, dass er zwei der drei Zimmer (vgl. Grundriss Bd. I/Bl. 64 d.A.) für berufliche Zwecke nutzen wolle. Wie der Kläger zu Recht in seiner Berufungsbegründung vorträgt, spricht § 2 Abs. 2 ZwVbG dafür, dass die Küche und das Bad dann ebenfalls hälftig der gewerblichen Nutzung unterfallen, sodass – auch unter Berücksichtigung der vom Amtsgericht herangezogenen Gesamtfläche – von einem Überwiegen der gewerblichen Nutzung auszugehen ist.

Die Kündigung ist auch nicht nach § 573 Abs. 1 S. 1 BGB gerechtfertigt. Für das Vorliegen eines berechtigten Interesses nach § 573 Abs. 1 S. 1 BGB kommt es darauf an, ob das geltend gemachte Interesse ebenso schwer wiegt wie die in § 573 Abs. 2 BGB beispielhaft aufgeführten Kündigungsgründe (vgl. BGH, NJW 2017, 2018 Rn. 24, beck-online; vgl. BGH, NJW 2012, 2342). Die Auslegung und die Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs „berechtigtes Interesse“ erfordern damit eine an den Umständen des Einzelfalls ausgerichtete Abwägung der beiderseits grundrechtlich geschützten Interessen. Dabei ist zu beachten, dass sowohl die Rechtsposition des Vermieters als auch das vom Vermieter abgeleitete Besitzrecht des Mieters von der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG geschützt sind (NJW 2017, 2018 Rn. 25, beck-online, m.w.N.). Dabei geben die typisierten Regeltatbestände des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB (Eigenbedarf) und Nr. 3 BGB (wirtschaftliche Verwertung) einen ersten Anhalt für eine Interessenbewertung und -abwägung. Will der Vermieter die Wohnung (aus nachvollziehbaren und vernünftigen Gründen) selbst zu Wohnzwecken nutzen oder sie hierfür dem im Gesetz genannten Kreis von Angehörigen zur Verfügung stellen (§ 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB), reicht bereits ein ernsthafter Nutzungsentschluss für ein vorrangiges Erlangungsinteresse des Vermieters aus (BGH, NJW 2017, 2018 Rn. 38, 39, beck-online, m.w.N.). In Anbetracht dessen, dass der Vermieter die vermieteten Räume nicht auf ihre wirtschaftliche Ertragskraft (Realisierung des ihnen innewohnenden Werts) reduzieren, sondern sie zur Eigennutzung verwenden will, ist in solchen Fällen ein etwas größerer personaler Bezug als bei der Verwertungskündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB gegeben. Der persönliche Bezug bleibt aber, da die Wohnräume nicht (überwiegend) zu Wohnzwecken, sondern für eine gewerbliche oder (frei-)berufliche Tätigkeit genutzt werden sollen, hinter dem personalen Bezug des Kündigungstatbestands des Eigenbedarfs (§ 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB) zurück. Daraus lässt sich ableiten, dass einerseits dem ernsthaften, von nachvollziehbaren und vernünftigen Gründen getragenen Nutzungswunsch des Vermieters – anders als bei der Kündigung wegen Eigenbedarfs – nicht schon von vornherein der Vorzug zu geben ist, dass aber andererseits für eine berechtigte Kündigung des Vermieters wegen einer geplanten (frei-)beruflichen oder gewerblichen Eigennutzung keine höheren, vielmehr sogar eher etwas geringere Anforderungen als bei einer Verwertungskündigung zu stellen sind (BGH, NJW 2017, 2018 Rn. 42, beck-online, m.w.N.). So weist etwa der ernsthafte, auf nachvollziehbare und vernünftige Gründe gestützte Entschluss des Vermieters, die Mietwohnung nicht nur zu Wohnzwecken zu beziehen, sondern dort zugleich überwiegend (im Fall einer untergeordneten geschäftlichen Mitnutzung dürfte bereits der Tatbestand des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB greifen) einer (frei-)beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit nachzugehen, eine größere Nähe zum Tatbestand des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB als zum Tatbestand der Verwertungskündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB auf. Denn in solchen Fallgestaltungen macht der Vermieter nicht nur von seiner durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG ebenfalls geschützten Rechtsposition Gebrauch, sein Wohnungseigentum zu eigenen geschäftlichen Zwecken zu nutzen, sondern er will in der Mietwohnung auch einen persönlichen Lebensmittelpunkt begründen (vgl. BGH, NJW 2017, 2018 Rn. 44, beck-online, m.w.N.). Da allerdings ein Tatbestandsmerkmal des typisierten Regeltatbestands des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB fehlt, nämlich eine alleinige oder zumindest überwiegende Nutzung zu Wohnzwecken, ist zusätzlich zu den für eine Eigenbedarfskündigung genügenden Voraussetzungen ein weiterer Gesichtspunkt zu fordern, der für das Erlangungsinteresse des Vermieters spricht. Im Hinblick auf die bei der beschriebenen Fallgestaltung gegebene deutliche Nähe zum Tatbestand des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB ist es jedoch nicht erforderlich, dass die Vorenthaltung der Mieträume für den Vermieter einen gewichtigen Nachteil begründet; vielmehr genügt bereits ein beachtenswerter Nachteil. Daher ist dem Erlangungsinteresse des Vermieters in solchen Fällen regelmäßig der Vorzug vor dem Bestandsinteresse des Mieters zu geben, wenn der ernsthaft verfolgte Nutzungswunsch von vernünftigen und nachvollziehbaren Gründen getragen ist und dem Vermieter bei einem ihm verwehrten Bezug der Mieträume ein nach den Umständen des Falls anerkennenswerter Nachteil entstünde, was bei einer auf nachvollziehbaren und vernünftigen Erwägungen beruhenden Lebens- und Berufsplanung des Vermieters aufgrund lebensnaher Betrachtung häufig der Fall sein dürfte. Höhere Anforderungen werden allerdings dann zu stellen sein, wenn die Nutzung zu Wohnzwecken einen völlig untergeordneten Raum einnimmt, was wiederum von den Umständen des Einzelfalls abhängt (vgl. BGH, NJW 2017, 2018 Rn. 45, beck-online, m.w.N.).

Wie ausgeführt, ist nach der Rechtsprechung des BGH davon auszugehen, dass die Anforderungen an die Darlegung des Nutzungswunsches in solchen Fällen nicht überspannt werden dürfen, jedoch im Falle, dass die Nutzung zu Wohnzwecken einen völlig untergeordneten Raum einnehme, höhere Anforderungen zu stellen sein dürften. Da letzteres hier nicht erkennbar ist – zumal der Kläger seinen Lebensmittelpunkt in die streitgegenständliche Wohnung verlegen möchte – ist die Kündigung im Ergebnis an einem ähnlichen Maßstab zu messen, wie eine Eigenbedarfskündigung, bei deren Vorliegen die 10-jährige Sperrfrist des § 577a BGB Anwendung fände. Für eine Berücksichtigung der Wertungen des § 577a BGB im Rahmen des berechtigten Interesses spricht, dass es andernfalls zu Wertungswidersprüchen kommen könnte, weil – wie wohl auch der Kläger in seinem Schriftsatz vom 14.07.2022 zum Ausdruck bringt – die einzelnen Tatbestände mitunter sehr dicht beieinander liegen. Dann wäre im Rahmen der Interessenabwägung zu Lasten des Vermieters zu berücksichtigen, dass dieser die Mietsache in Kenntnis des bestehenden Mietverhältnisses relativ zeitnah (hier etwa 3 Jahre) vor Ausspruch der Kündigung erworben hat. Dies hätte mithin zur Folge, dass ein bis zu zehn Jahre zurückliegender Erwerb der Mietwohnung nach Umwandlung in Wohnungseigentum durch den kündigenden Vermieter im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung gem. § 573 Abs. 1 BGB regelmäßig gegen ein überwiegendes Erlangungsinteresse des Vermieters sprechen könnte (vgl. Häublein, WuM 2010, 391, 404). Gleichzeitig aber können sich trotz dieser Ausstrahlung des § 577a BGB auf § 573 Abs. 1 S. 1 BGB im Einzelfall die Belange des Vermieters als gewichtiger erweisen als die geschützten Mieterinteressen (vgl. Häublein, WuM 2010, 391, 404 mit dem Beispiel, dass die Wohnung zum Zeitpunkt der Kündigung nicht mehr der Lebensmittelpunkt der Mieterinnen war). Letzteres steht auch im Einklang mit der stets erforderlichen Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls (vgl. BGH, NJW 2017, 2018 Rn. 43, beck-online). Danach erscheint es gerechtfertigt, die Wertungen des § 577a BGB hier dergestalt in die Interessenabwägung einfließen zu lassen, dass es für die Wirksamkeit der Kündigung nicht lediglich eines beachtenswerten Nachteils, sondern vielmehr eines gewichtigen Nachteils bedarf. Denn, wenn selbst der gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB gesetzlich privilegierte „pure“ Eigenbedarf zu Wohnzwecken vorliegend gemäß § 577a Abs. 1 BGB eine Beendigung des Mietverhältnisses nicht rechtfertigen kann, sondern unbeachtlich wäre, erscheint es nicht angemessen, eine beabsichtigte Mischnutzung deswegen als besonders schützenswert und gewichtig einzuordnen, weil sie einem Eigenbedarf besonders nahe kommt. Darin liegt keine analoge Anwendung des § 577a BGB auf Kündigungen nach § 573 Abs. 1 S. 1 BGB, die der BGH kategorisch ausgeschlossen hat (vgl. BGH – VIII ZR 127/08 -, Urt. v. 11.02.2009, GE 2009, 651 f.), sondern eine Berücksichtigung der Wertentscheidungen des Gesetzgebers im Rahmen der Abwägung der gegenseitigen Interessen von Vermieter und Mieter auf Grundlage der Generalklausel des § 573 Abs. 1 BGB. Dass ein Eigenbedarf im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB gemäß § 577a Abs. 1 und Abs. 2 BGB für den Kläger ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses nicht begründen könnte, weil die in Berlin geltende zehnjährige Sperrfrist erst zum Jahre 2028 ablaufen wird, hat das Amtsgericht zutreffend festgestellt.

Unter Berücksichtigung der Einzelfallumstände war ein solcher gewichtiger Nachteil hier nicht anzunehmen. Auch nach dem ergänzenden Vortrag des Klägers mit Schriftsatz vom 04.11.2022 war vorliegend kein Überwiegen des Erlangungsinteresses des Klägers anzunehmen. Sofern der Kläger vorträgt, seine beiden Kollegen seiner ehemaligen Bürogemeinschaft beabsichtigten die Bürogemeinschaft mit ihm in der streitgegenständlichen Wohnung fortzuführen, und, dass im Jahre 2020 ziemlich genau ¾ des Einkommens allein aus der Untervermietung an die beiden Kollegen stammten, vermag dies der Berufung nicht zum Erfolg zu verhelfen. In wirtschaftlicher Hinsicht könnte sich der Verlust möglicher Untermieteinnahmen als Nachteil darstellen. Der Kläger beziffert solche möglichen Erträge mit 1.500 € monatlich, während die Einnahmen aus der Vermietung an die Beklagten nicht einmal ein Drittel dieses Betrages erreichen. Der Kläger könnte nach seinem Vortrag, bei Erfolg der Klage, also die Einnahmen aus einer (anteiligen) Vermietung der Wohnung in etwa verdreifachen und gleichzeitig die Wohnung sowohl für seine Rechtsanwaltskanzlei als auch zum Wohnen nutzen.

Die bloße Erhöhung des Mietertrags kann jedoch gemäß § 573 Abs. 1 S. 2 BGB ein schutzwürdiges Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses nicht begründen, und der Kläger ist zur Umsetzung seines Nutzungskonzepts – wie der frühere Kanzleibetrieb des Klägers im Zeitraum bis Oktober 2021 zeigt – nicht zwingend auf die streitbefangene Wohnung angewiesen. Vielmehr konnte er jedenfalls bis einschließlich 2020 in der angemieteten Wohnung eine Kanzlei mit zwei untervermieteten Arbeitsplätzen betreiben und dort wohnen, wobei er nach Abzug der auf die Kanzleinutzung entfallenden Miete einen Jahresgewinn von … € angibt und davon letztlich den reinen Wohnanteil der Gesamtmiete bestreiten musste; dieser betrug ausweislich des als Anlage K7 eingeführten Mietvertrags anfangs 400,00 € je Monat oder 1/5 der Gesamtmiete. Ein vergleichbares Nutzungsmodell könnte der Kläger vermutlich auch in einer anderen ausreichend großen anzumietenden Wohnung umsetzen; wenn er in dieser seinen Hauptwohnsitz nähme, so könnte ihm – wie für die vorliegende Wohnung – insbesondere wohl auch eine entsprechende Zweckentfremdungsgenehmigung erteilt werden. Jedenfalls greift die Darstellung im Kündigungsschreiben vom 24.01.2021 (vgl. Anlage K6), der Kläger sehe sich wegen der pandemiebedingt wirtschaftlich schwierige Situation nicht in der Lage, andere Räumlichkeiten anzumieten, ganz offensichtlich zu kurz und hat der Kläger auch im Verlaufe des Rechtsstreits nicht plausibel dargetan, dass er zur Fortführung seines Wohn- und Kanzlei-Konzepts zwingend auf die streitbefangene Wohnung angewiesen wäre. Könnte er aber weiterhin auf eine extern anzumietende Wohnung zu vergleichbaren Konditionen ausweichen, so läge der wirtschaftliche Effekt der Nutzung der Streitwohnung bloß im Wegfall des monatlich zu tragenden Mietanteils für die externe Wohnungsnutzung bei gleichzeitigem Wegfall der Einnahmen aus dem streitigen Mietverhältnis. Ob dies tatsächlich wirtschaftlich vorteilhaft wäre, erscheint offen; es ist jedenfalls nicht feststellbar, dass der Wegfall dieser Option und die Fortführung des Mietverhältnisses einen gewichtigen Nachteil für den Kläger bedeutet.

Sofern der Kläger mit Schriftsatz vom 28.09.2022 vorträgt, die räumliche Nähe zum Nierenzentrum – welches nur neun Gehminuten von der streitgegenständlichen Wohnung entfernt liege – werde für ihn besonders wichtig, weil er in absehbarer Zeit aufgrund einer chronischen Niereninsuffizienz dreimal pro Woche etwa vier bis fünf Stunden zur Dialyse gehen werde müssen, vermag dies eine andere Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Zwar ist der Wunsch nach kurzen Wegen zur medizinischen Behandlung nachvollziehbar. Dass dem Kläger eine Erreichbarkeit des Nierenzentrums – wie derzeit von der …straße … – mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht zumutbar wäre, ist jedoch nicht erkennbar. Auch ist nicht ersichtlich, dass eine entsprechende Behandlung in einem anderen Nierenzentrum nicht möglich wäre.

Die Beklagten sind auch nicht weniger schutzbedürftig, weil sie nach dem Vortrag des Klägers über einen weiteren Wohnsitz verfügten. Vorliegend hat der Kläger vorgetragen, die Beklagten hätten zum Zeitpunkt des Eigentumserwerbs ihren Hauptwohnsitz in Vierlinden gehabt und sie würden mindestens über eine weitere Wohnung verfügen. Dem sind die Beklagten entgegengetreten und haben vorgetragen, dass es sich bei der Wohnung in … lediglich um eine 42,34 qm große Wohnung gehandelt habe, die der Beklagte zu 1) bis Ende Februar 2020 als Zweitwohnung genutzt habe, da sich in … die Betriebsstätte des Beklagten zu 1) befunden habe. Weiterer Vortrag des Klägers, der dafür sprechen könnte, dass die Interessen der Beklagten wegen eines weiteren Wohnsitzes weniger schutzwürdig seien, ist nicht erfolgt. Sofern der Kläger mit Schriftsatz vom 04.11.2022 vorträgt, die Beklagten verfügten weiterhin unstreitig über die 1-Zimmer-Wohnung, kann dies nicht nachvollzogen werden. Die Beklagten haben mit Schriftsatz vom 08.11.2021 vorgetragen, dass die Wohnung in … zu Ende Februar 2020 gekündigt worden sei, und auch der Kläger legt dies mit Schriftsatz vom 14.07.2022 zu Grunde. Zu einem vermeintlichen „Drittwohnsitz“ der Beklagten trägt der Kläger nicht konkret unter Beweisantritt vor.

Mithin überwiegt vorliegend das Bestandsinteresse der Beklagten.

2. Auf den Schriftsatz des Klägers vom 04.11.2022 bedurfte es keiner Gelegenheit zur Stellungnahme für die Beklagten, da der Schriftsatz keinen entscheidungserheblichen Vortrag zu ihren Lasten enthält. Einer Stellungnahme des Klägers zu dem Schriftsatz vom 28.10.2022 bedurfte es nicht, da es auf den dortigen Vortrag zu den Härtegründen nach den obigen Ausführungen nicht mehr ankommt. Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ist nicht veranlasst, § 156 ZPO.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 1, 2 ZPO zuzulassen, da die Frage, welcher Maßstab bei einer Mischnutzung an einen dem Vermieter entstehenden Nachteil anzusetzen ist, wenn die Wertungen des § 577a BGB im Rahmen der Interessenabwägung gemäß § 573 Abs. 1 BGB berücksichtigt werden, bisher nicht höchstrichterlich entschieden ist.

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