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Eigenbedarfskündigung – Wohnungsmangel keine unzumutbare Härte

Streit um Eigenbedarfskündigung: Beklagte wollen nicht ausziehen.

Die Klägerin, Vermieterin einer Wohnung in der F. Allee, will die Beklagten aufgrund von Eigenbedarf zur Räumung und Herausgabe der Wohnung zwingen. Die Klägerin übertrug das Eigentum an der Wohnung auf ihren Sohn, der nun mit seiner Ehefrau in die Wohnung einziehen möchte. Die Beklagten widersprechen der Kündigung und verlangen die Fortsetzung des Mietverhältnisses für ein bis zwei Jahre. Sie argumentieren, dass die Klägerin als Nießbraucherin gemäß § 1030 BGB nicht zur Kündigung berechtigt sei. Sie hätten trotz intensiver Bemühungen keinen angemessenen Ersatzwohnraum finden können und hätten über 100 Bewerbungen geschrieben. Die Eltern des Beklagten zu 1 benötigten regelmäßig Betreuung und wohnten in der Nähe. Zudem sei die Beklagte zu 2 auf ein Arbeitszimmer angewiesen. Die Klägerin bestreitet ausreichende, ernsthafte Bemühungen der Beklagten um alternative Wohnräume und fordert die Räumung und Herausgabe der Wohnung. Das Gericht hat Beweis erhoben und wird nun ein Urteil fällen.

AG Schöneberg – Az.: 105 C 191/22 – Urteil vom 17.10.2022


1. Die Beklagten werden verurteilt, die Wohnung F. Allee,…B geräumt an die Klägerin herauszugeben.

2. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 8.533,00 Euro abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

4. Den Beklagten wird eine Räumungsfrist bis zum 31.08.2023 gewährt.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 6.968,88 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Räumung und Herausgabe von Wohnraum aus Anlass einer Eigenbedarfskündigung.

Die Parteien sind über einen am 07.10.2010 geschlossenen Mietvertrag über eine Wohnung in der F. Allee,…B., Quergebäude II, Geschoss rechts, verbunden. Die Nettokaltmiete beträgt derzeit 500,96 Euro, die Gesamtmiete beträgt 778,24 Euro. Die Klägerin ist Vermieterin und die Beklagten Mieter der Wohnung. Zum 15.11.2016 übertrug die Klägerin ihr Eigentum an der Wohnung auf ihren Sohn, den Zeugen A. E. u. R. v. D.. Im Grundbuch wurde zugleich ein unbefristeter Nießbrauch an der streitgegenständlichen Wohnung für die Klägerin eingetragen, die die Verwaltung der Wohnung übernahm.

Die Klägerin macht Eigenbedarf an der Wohnung in der Person ihres Sohnes, den Zeugen A. E. u. R. v. D., geltend. Mit zwei gleichlautenden Schreiben vom 18.11.2021 kündigte die Klägerin das bestehende Mietverhältnis jeweils ordentlich wegen Eigenbedarfs zum 31.08.2022, hilfsweise zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Diese Schreiben wurden den Beklagten am 02.12.2021 zugestellt. Die Klägerin begründete die Kündigung im Wesentlichen mit der Behauptung, dass ihr 45-jähriger Sohn, der in einer WG in einem Zimmer lebe, in die Wohnung der Beklagten einziehen möchte. Die Klägerin habe keinen alternativen Wohnraum. Hinsichtlich der Einzelheiten dieser Schreiben wird auf die Anlagen K 3 und K 4 (Bl. 14-17 d.A.) Bezug genommen.

Die Beklagten widersprachen der Kündigung mit Schriftsatz vom 08.08.2022 und räumten die streitgegenständliche Wohnung nicht. Sie verlangen die Fortsetzung des Mietverhältnisses für ein bis zwei Jahre.

Mit ihrer am 16.06.2022 erhobenen und am 16.07.2022 zugestellten Klage begehrt die Klägerin die Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung und kündigte vorsorglich das streitgegenständliche Mietverhältnis erneut wegen Eigenbedarfs in der Person des Zeugen A. E. u. R. v. D., wegen dessen Begründung die Klägerin auf ihren Sachvortrag Bezug nimmt.

Sie behauptet, ihr nunmehr 46 Jahre alter Sohn lebe gegenwärtig in einer Wohngemeinschaft in einem Zimmer. Er habe am 23.07.2022 seine Lebensgefährtin geheiratet und möchte mit dieser in eine eigene Wohnung ziehen. Die Klägerin verfüge über keinen anderen Wohnraum, den sie ihrem Sohn zur Verfügung stellen könne.

Die Klägerin beantragt, die Beklagten zu verurteilen, die Wohnung F. Allee,…B., Quergebäude, II. Geschoss rechts, bestehend aus 3 Zimmern, nebst Küche, Balkon und Kellerraum (5. Kellerabteil im Gemeinschaftskeller, rechts vom Hauseingang F. Allee) geräumt an die Klägerin herauszugeben, nicht jedoch vor dem 31.08.2022.

Die Beklagten beantragen,

1. Die Klage abzuweisen.

2. Hilfsweise eine Räumungsfrist von zwei Jahren zu gewähren.

Sie sind der Auffassung, dass die Klägerin als Nießbraucherin gemäß § 1030 BGB nicht zur Kündigung des Mietverhältnisses berechtigt sei.

Sie behaupten, sie hätten trotz intensiver Bemühungen keinen angemessenen Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen finden können. Nach Erhalt der Kündigung im Dezember 2021 hätten sie sich intensiv bei mehreren Hausverwaltungen per E-Mail beworben, auch hätten sie verschiedene Onlineportale (…) genutzt, um eine freie Wohnung zu finden. Bei dem Anbieter I. hätten sie zudem die Plus Mitgliedschaft abgeschlossen, um die Erfolgswahrscheinlichkeit ihrer Bemühungen zu erhöhen. Sie hätten zudem ihre Wohnungssuche auch über B. hinaus ausgeweitet (P., BB. und B. a. d. H.), ihren Schwerpunkt aber nach der Erreichbarkeit der unterstützungsbedürftigen Eltern des Beklagten zu 1 und der Arbeitsstelle der Beklagten zu 2 in F. ausgerichtet. Im Januar 2022 hätten sie zudem Aufrufe auch über Freunde und Bekannte, eine F. Gruppe sowie durch einen Aushang in der Grundschule, in der die Beklagte zu 2 arbeitet, gestartet. Sie hätten sich zudem bei zwei genossenschaftlichen Wohnprojekten beworben. Sie hätten im Zeitpunkt der Klageerwiderung schon insgesamt über 100 Bewerbungen geschrieben. Die Eltern des Beklagten zu 1 würden derzeit in der Nähe wohnten, sie seien 72 und 80 Jahre alt und seien regelmäßig zu betreuen. Auch im laufenden Verfahren hätten sich die Beklagten fortwährend um alternativen Wohnraum bemüht. Sie hätten auch im Urlaub und als es in der Familie zwei Todesfälle gab, nach weiteren Wohnungen gesucht. Sie benötigten mindestens eine 2,5-3 Zimmerwohnung, da die Beklagte zu 2 auf ein Arbeitszimmer angewiesen sei, da ihre Schule in Corona-Zeiten keinen Arbeitsplatz zur Verfügung stelle. Sie seien im Mai 2022 in eine Baugenossenschaft aufgenommen worden. Die Fertigstellung der Wohnung, in welche die Beklagten einziehen können, ist für den 31.08.2024 geplant. Hinsichtlich der Miethöhe hätten die Beklagten auch höherpreisige Wohnungen gesucht, lediglich die Beklagte zu 2 verfüge als Lehrerin über ein festes Einkommen. Der Beklagte zu 1 habe als freiberuflicher Journalist ein wechselndes Einkommen. Die Beauftragung eines Maklers wäre nicht zielführend gewesen, da ihre eigene Suche schon weit über das hinausginge, was ein Makler leisten könne. Zudem würde nur ein sehr geringer Anteil von Wohnungen – auch wegen der Maklerkosten – über solche vermittelt.

Hinsichtlich der Einzelheiten der Wohnungsbemühungen der Beklagten wird auf die Aufstellung aus dem Schriftsatz vom 21.09.2022 (Bl. 111- 116 d.A.) und die vorgelegten exemplarischen Bewerbungen (Bl. 83-87 d.A.) Bezug genommen.

Die Klägerin tritt diesem Vortrag insoweit entgegen, dass ausreichende, ernsthafte Versuche alternativ Wohnraum zu finden nicht hinreichend dargelegt worden sein. Die Beklagten hätten nicht vorgetragen, um welche Wohnungen es sich handele, zu welchem Mietzins diese angeboten wurden und warum Absagen erfolgt sein. Die Bemühungen hätten erst Ende März 2022 begonnen und seien zudem auf die Gegenden S., W., Z. beschränkt, wo der Wohnungsmarkt besonders angespannt sei. Es fehlten Suchbemühungen in M., H. und L.. Die Beklagten hätten zudem einen Makler mit der Wohnungssuche beauftragen müssen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen A. E. u. R. v. D. und durch stichprobenartige Inaugenscheinnahme der Bewerbungsunterlagen der Beklagten. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 26.09.2022.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet, da die Kündigung vom 18.11.2021 das zwischen den Parteien bestehende Mietverhältnis gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB beendet hat. Die Klägerin hat daher einen Herausgabeanspruch gegen die Beklagten aus § 546 Abs. 1 BGB.

Demnach liegt ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses insbesondere vor, wenn der Vermieter die Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt.

Die Gerichte dürfen den Eigennutzungswunsch des Vermieters daraufhin nachprüfen, ob dieser Wunsch ernsthaft verfolgt wird, ob er von vernünftigen und nachvollziehbaren Gründen getragen ist (BGHZ 103, 91 [100] = NJW 1988, 904; BVerfG, WuM 2002, 21 = BeckRS 2001, 30421906 mwN) oder ob er missbräuchlich ist, etwa weil der geltend gemachte Wohnbedarf weit überhöht ist, die Wohnung die Nutzungswünsche des Vermieters überhaupt nicht erfüllen kann oder der Wohnbedarf in einer anderen (frei gewordenen) Wohnung des Vermieters ohne wesentliche Abstriche befriedigt werden kann (BVerfG, NJW 1994, 309 [310]; NJW 1993, 1637 [1638]; NJW 1994, 994; NJW 1995, 1480 [1481]).

Der Bundesgerichtshof setzt eine umfassende Abwägung aller Umstände voraus und verlangt vom Tatrichter, etwaige Widersprüche und Zweifel an dem tatsächlichen Vorliegen eines Eigenbedarfs zu prüfen. Maßgeblich ist eine Beurteilung der Glaubhaftigkeit der klägerischen Schilderungen sowie die Glaubhaftigkeit eines tatsächlich bestehenden und konkreten Umzugswillens (BGH NZM 2015, 812, 814).

Das Gericht hat im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 286 Abs. 1 ZPO unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme zu entscheiden, ob der geltend gemachte Eigennutzungswunsch tatsächlich besteht oder nicht. Das Gericht muss sich mit einer persönlichen Gewissheit begnügen, die den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGHZ 53, 245 = NJW 1970, 946). Es ist hierbei lediglich an Denk-, Natur- oder Erfahrungssätze gebunden und darf ansonsten die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse grundsätzlich ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln nach seiner individuellen Einschätzung bewerten (Zöller/Greger, ZPO, 30. Aufl., § 286 Rn. 13). Kann sich das Gericht nach durchgeführter Beweiserhebung nicht von der Richtigkeit des geltend gemachten Eigenbedarfs überzeugen, hat es die Klage abzuweisen (LG Berlin, NZM 2016, 46).

I.

Die ordentliche Kündigung vom 18.11.2021 ist wirksam. Die Klägerin war als dingliche Nießbraucherin der streitgegenständlichen Wohnung auch zum Ausspruch der Kündigung berechtigt. Diese ist gemäß § 567 BGB mit Eintragung des Nießbrauchs in alle Rechte und Pflichten des Mietverhältnisses eingetreten. Es kommt daher nicht darauf an, dass die Klägerin ihr Eigentum zuvor an den Zeugen übertragen hat (MüKoBGB/Häublein BGB § 567 Rn. 6-7).

II.

Es liegt der Kündigungsgrund des berechtigten Eigenbedarfs an der streitgegenständlichen Wohnung i.S.d. § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB vor. Als Sohn der Klägerin fällt der Zeuge A. E. u. R. v. D. in den privilegierten Personenkreis der Vorschrift.

Das Gericht hat keine durchgreifenden Zweifel an dem Eigennutzungswunsch des Zeugen an der streitgegenständlichen Wohnung. So schilderte dieser zunächst, dass er sich in der Wohngemeinschaft, in der er zurzeit in F. lebt, nicht mehr wohlfühlt. Eine Wohngemeinschaft sei in seinem Alter nicht mehr zeitgemäß. Er fühle sich auch deshalb nicht wohl, weil dort sehr viel gefeiert wird, es laut sei und sich teilweise Leute in seinen Eingang erbrechen würden. Glaubhaft hierbei ist insbesondere seine Gefühlsschilderung, dass es sich gar nicht so anfühlen würde, dass er verheiratet sei, weil er nicht mit seiner Ehefrau zusammen wohnt. Der Anlass des Eigennutzungswunsches ist zudem glaubhaft, da der Zeuge erst kürzlich geheiratet hat. Daher erscheint es nachvollziehbar, nunmehr einen eigenen Hausstand gründen zu wollen. Seine Angabe, dass er im letzten Jahr die Idee gehabt hat, in die streitgegenständliche Wohnung einzuziehen, korrespondiert mit dem Datum des Ausspruchs der Eigenbedarfskündigung. Hierbei ist es ebenfalls glaubhaft, dass der Kläger einen solchen Hausstand nicht in seiner Wohngemeinschaft gründen kann. Auch gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass der Zeuge in die Wohnung seiner Ehefrau einziehen will, zumal dieser angibt, dass die Wohnung ebenfalls klein sei und sie dort auch nicht zusammen wohnen können. Der Zeuge gibt zu dem glaubhaft und aus eigenem Vortrag an, dass er sich auch schon überlegt habe, ob ein anderes Zimmer in der Wohngemeinschaft anmietbar wäre, hierbei schildert er doch, dass dies vermieterseits nicht erlaubt ist. Hieraus wird deutlich, dass sich der Zeuge auch um alternative Lösungsmöglichkeiten Gedanken gemacht hat, sich dann jedoch entschlossen hat, in die Wohnung der Beklagten einzuziehen.

Anhaltspunkte, die an der Glaubwürdigkeit des Zeugen zweifeln lassen, sind nicht erkennbar.

Dass der Zeuge teilweise keine klaren bzw. wenig überzeugende Angaben über die Eigentumsverhältnisse seiner Mutter und seines eigenen Teileigentums an einer Wohnung zusammen mit seiner Schwester machen konnte, steht nicht unmittelbar mit dem Wunsch des Zeugen, in die Wohnung der Beklagten einzuziehen, im Zusammenhang.

Der Eigennutzungswunsch hat sich auch auf die streitgegenständlichen Wohnung konkretisiert. Der Zeuge konnte die Adresse der Wohnung benennen und diese räumlich anschaulich verorten. So schilderte er den Straßenverlauf, gab an, dass sich direkt gegenüber der Wohnung das Hotel M. befindet. Das Gericht geht daher davon aus, dass sich der Zeuge über die Wohnung und die Umgebung Gedanken gemacht hat. Er hat zudem die Anzahl der Zimmer korrekt angegeben.

Unschädlich ist, dass der Zeuge mit seiner Mutter noch nicht über eine etwaige Finanzierung der Wohnung gesprochen hat. Zwar kann dieses im Grundsatz ein Indiz sein, dass sich der Eigennutzungswunsch noch nicht hinreichend konkretisiert hat. Dieses ist allein jedoch nicht geeignet, um durchgreifende Zweifel an dem Eigennutzungswunsch zu begründen. Da der Zeuge nach eigenen Angaben zurzeit Arbeitslosengeld 1 bezieht, ist für die Klägerin auch keine substantielle Mietzahlung zu erwarten, weshalb diese Frage nicht zwingend zu klären wäre. Der Zeuge befindet sich auf Grund dieses Umstands zudem in einer schlechten Konkurrenzsituation auf dem B. Wohnungsmarkt. Hieraus lässt sich der Schluss ableiten, dass der Zeuge nur schlecht alternativen Wohnraum finden kann. Da es keinen vernünftigen Zweifel daran gibt, dass der Zeuge zusammen seiner Ehefrau einen eigenen Hausstand gründen möchte, kann der Zeuge sein Eigennutzungswunsch faktisch gegenwärtig nur in der streitgegenständlichen Wohnung mittels einer Eigenbedarfskündigung realisieren.

Sofern der Zeuge tatsächlich Teileigentum an einer anderen Wohnung hat, und auch deshalb Vermieter dieser Wohnung sein könnte, wäre dieser nicht gehalten gewesen das dortige Mietverhältnis zu kündigen. Das Gericht ist nicht befugt, in die Lebensplanung der Klägerin und des Zeugen insoweit Einfluss zu nehmen.

III.

Der Widerspruch der Beklagten aus der Klageerwiderung vom 08.08.2022 gegen die Kündigung führt nicht zu einer Fortsetzung des Mietverhältnisses, da jedenfalls keine hinreichenden Härtegründe im Sinne des § 574 BGB dargetan sind.

Der Widerspruch ist zu berücksichtigen, weil die Klägerin keine Einrede i.S.d. § 574b Abs. 2 Satz 1 BGB erhoben hat.

Unter einer „Härte“ i.S.d. § 574 BGB sind alle Nachteile wirtschaftlicher, finanzieller, gesundheitlicher, familiärer oder persönlicher Art zu verstehen, die infolge der Vertragsbeendigung auftreten können (Schmidt-Futterer/Blank, BGB, § 574, Rn. 20, beckonline).

Eine Härte gemäß § 574 Abs. 2 BGB wegen fehlender Möglichkeit zur Beschaffung von angemessenen Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen liegt nicht bereits dann vor, wenn eine allgemeine Wohnungsmangellage besteht. Erforderlich ist vielmehr, dass der konkrete Mieter außerstande ist, sich bis zum Ablauf der Kündigungsfrist eine Ersatzwohnung zu beschaffen. Dem Mieter obliegt es dabei, alle erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen zur Erlangung einer Ersatzwohnung zu ergreifen, wobei im Rahmen der Angemessenheit individuelle Bedürfnisse zu berücksichtigen sein können. Die Nachteile für den Mieter sind im Hinblick auf eine nicht zu rechtfertigenden Härte im Zusammenhang mit einem Vergleich der wechselseitigen Interessen zu sehen. Erforderlich ist eine auf den Einzelfall bezogene Interessenbewertung, die unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse der Vertragsparteien vorzunehmen ist (LG Berlin Urt. v. 9.3.2018 – 63 S 67/16, BeckRS 2018, 20083 Rn. 40-42, beck-online).

Bei der Bewertung und Gewichtung der widerstreitenden Interessen beider Parteien im Rahmen der nach § 574 I BGB vorzunehmenden Interessenabwägung ist den Wertentscheidungen Rechnung zu tragen, die in den für sie streitenden Grundrechten zum Ausdruck kommen. Dabei haben die Gerichte zu berücksichtigen, dass bezüglich der Anwendung und Auslegung des Kündigungstatbestands des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB einerseits und der Sozialklausel des § 574 BGB andererseits dieselben verfassungsrechtlichen Maßstäbe gelten (im Anschluss an BVerfG, NJW-RR 1999, 1097; NJW-RR 1993, 1358), so dass auch im Rahmen der Vorschrift des § 574 BGB die vom Vermieter beabsichtigte Lebensplanung grundsätzlich zu respektieren und der Rechtsfindung zugrunde zu legen ist (im Anschluss an BVerfGE 68, 361 [373 f.] = NJW 1985, 2633; BVerfGE 79, 292 [304 f.] = NJW 1989, 970; BVerfG, NJW 1994, 309 [310]; NJW 1995, 1480 [1481]). Im Rahmen der Interessenabwägung haben die Gerichte nicht nur die Lebensplanung des Vermieters zu respektieren, sondern dürfen auch bezüglich der Interessen des Mieters ihre Vorstellungen über den einzuschlagenden Weg nicht an dessen Stelle setzen (im Anschluss an BVerfG, Beschluss vom 27.1.1994 – 1 BvR 2067/93, BeckRS 1994, 12854). Dabei kommt weder den Belangen des Vermieters noch den Interessen des Mieters von vornherein ein größeres Gewicht zu als denen der Gegenseite (BGH NJW 2019, 2765, beck-online).

Entsprechend dieser Maßstäbe sind die vorgetragenen Bemühungen der Beklagten zwar sehr umfassend, in Abwägung mit den Interessen der Klägerin jedoch nicht ausreichend. Dies beruht auf den folgenden Erwägungen:

1. Das Gericht konnte sich zunächst die gemäß § 286 ZPO erforderliche Überzeugung davon bilden, dass die Beklagten die mit Schriftsatz vom 21.09.2022 (Bl. 111-115 d.A) vorgetragenen Bemühungen zur Wohnungssuche vorgenommen haben. Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung vom 26.09.2022 stichprobenartig die dort ausgewiesenen Daten abgefragt (etwa 10 Einträge). Die Beklagte zu 2 konnte sodann auf ihrem Mobiltelefon bzw. ihrem Laptop den entsprechenden Eintrag präsentieren, das Gericht nahm unmittelbar Einsicht in die Dateien und bediente das Mobiltelefon der Beklagten zu 2 auch selbst. Das Gericht überprüfte zudem, ob in der I. – App sich die vorgetragenen Einträge in der Bewerbungsübersicht der App wiederfinden lassen. Die jeweiligen Daten konnten dort bestätigt werden. Dies gilt sowohl für die Lage, aber auch die Größe der Wohnung und die ausgewiesene Miethöhe. Auch konnte die Beklagte zu 2 auf Anforderung des Gerichts eine dort ausgewiesene Einladung zur Wohnungsbesichtigung als E-Mail vorweisen und die korrespondierende Absage per E-Mail dem Gericht ebenfalls zeigen. Da der jeweilige Nachweis stets gelang und demnach keine falsche Angabe entdeckt werden konnte, sah das Gericht davon ab, weitere Stichproben zu nehmen und insbesondere sämtliche Einträge der Tabelle jeweils nachweisen zu lassen. Die Beklagten schilderten in ihrer persönlichen Anhörung zudem stets nachdrücklich, dass sie die entsprechenden Bemühungen vorgenommen haben. Das Gericht hat demnach keine vernünftigen Zweifel daran, dass die Beklagten tatsächlich die vorgetragenen Bemühungen aufgenommen haben.

2. Die Bemühungen der Beklagten waren zwar umfassend, erreichen in der Abwägung mit den Belangen der Klägerin und des sich auf den Eigenbedarf berufenden Zeugen nicht das Gewicht, um einen Härtefall i.S.d. § 574 Abs. 2 BGB zu begründen. Die den Mietern zuzumutenden Bemühungen steigen, je angespannter der Wohnungsmarkt ist. Es ist gerichtsbekannt, dass der B. Wohnungsmarkt außerordentlich angespannt ist und eine substantielle Wohnungsmangellage aufweist. Dies kann jedoch nicht dazu führen, dass über § 574 Abs. 2 BGB eine generelle Kündigungssperre angenommen werden kann. Mietern ist entsprechend hinsichtlich verfügbaren alternativen Wohnraums eine gewisse Kompromissbereitschaft abzuverlangen, die sich auf die Lage, Ausstattung und den Mietpreis freier Wohnungen bezieht.

Ausweislich der vorliegenden Tabelle haben die Beklagten am 05.12.2021 mit der Wohnungssuche begonnen. Dies ist nur drei Tage nach Zustellung der Eigenbedarfskündigung gewesen und damit rechtzeitig. Sie haben dann eine Wohnung auf e. angeschrieben und sich mit sieben Hausverwaltungen in Verbindung gesetzt. Diese Bemühungen waren zunächst ausreichend, da die ordentliche Kündigung erst zum Ablauf des 31.08.2022 wirksam wurde und freie Wohnungen in B. tendenziell kurzfristig vermietet werden. Im Januar 2022 erfolgten zwei F.-Aufrufe und die Anfrage bei Wohnungsgenossenschaften. Bei letzteren kam zunächst eine positive Rückmeldung bzgl. eines Kennenlernens.

Im Februar 2022 erfolgen lediglich zwei Bemühungen, wobei eine Wohnungsbesichtigung erfolgte. Die Wohnung wurde entsprechend der Angaben in der Tabelle nicht genommen, da diese über einen schlechten Schnitt verfügte und über ein offenes Badezimmer im Schlafzimmer. Hierzu ist festzustellen, dass zwei Wohnungsbemühungen pro Monat nicht ausreichend sind. Zudem haben die Beklagten die Wohnung offenbar wegen persönlicher Vorstellungen hinsichtlich des Zuschnitts der Wohnung nicht genommen.

Ähnlich verhält es sich hinsichtlich einer Bewerbung vom 22.03.2022. Die Wohnung wurde zwar besichtigt, sie sei jedoch zu klein und sehr renovierungsbedürftig. Mietern ist grundsätzlich zuzumuten, sich im Rahmen ihrer Bemühungen zur Auffindung alternativen Wohnraums auch räumlich und hinsichtlich der Qualität der Wohnung einzuschränken. Maßstab ist hier ein zeitgemäßer Mindeststandard, die Wohnung muss hingegen nicht gleichwertig sein (BeckOK MietR/Siegmund, 29. Ed. 1.8.2022, BGB § 574 Rn. 12). Die Beklagten vergrößerten die Bemühungen quantitativ hingegen auf 34 Anfragen im März 2022 und auf 22 Anfragen im April 2022. Es erfolgten 45 Anfragen im Mai 2022 und elf im Juni 2022. Die Wohnung hinsichtlich einer Anfrage vom 23.05.2022 scheiterte, weil das Mietverhältnis dort nur auf ein Jahr befristet gewesen wäre. Eine Wohnung in B. war zu klein, weil der Weg zur Regionalbahn zu weit war. Eine Wohnung in F. wäre nur bis zum 31.03.2023 befristet gewesen (Eintrag 26.06.2022). Hinsichtlich eines Eintrags am 05.07.2022 wurde eine Wohnung wiederum wegen schlechten Schnitts nicht genommen, im Übrigen erfolgten im Juli 2022 26 Anfragen.

Das Gericht hat nach vorgenannter Rechtsprechung die berechtigten Belange beider Parteien abzuwägen. So plant der Zeuge mit seiner Ehefrau erstmals einen gemeinsamen Hausstand zu gründen und sich mit dieser ein eigenes Leben aufzubauen. Da der Zeuge zur Zeit über kein eigenes Einkommen verfügt, ist er auf den Eigenbedarf angewiesen. Seine Belange sind daher als gewichtig zu bewerten. Den Beklagten wäre es nach vorgenannten Ausführungen zuzumuten gewesen, eine Wohnung auch mit einem aus ihrer Sicht schlechten Schnitt zu nehmen oder zunächst eine befristete Wohnung zu beziehen, was sie ausweislich der vorliegenden Tabelle ablehnten. Problematisch ist auch die Fixierung der Wohnungssuche auf die Erreichbarkeit der Eltern, die – so tragen sie vor – unterstützungsbedürftig seien. Selbst wenn unterstellt wird, dass die Eltern des Beklagten zu 1 Unterstützung von diesem benötigen, ist festzustellen, dass die etwa im August 2024 bezugsfertige Wohnung, die die Beklagten im Rahmen ihrer Genossenschaftsbeteiligung beziehen werden können, in B. B. liegt und damit weit entfernt. Hierdurch wird deutlich, dass den Beklagten scheinbar doch zuzumuten ist, auch eine gewisse Distanz zu den Eltern und der Schule der Beklagten zu 2 aufzunehmen. Trotz der mitunter schwierigen Anbindung innerhalb B. wäre es den Beklagten daher auch zuzumuten, innerhalb B., z.B. auch in M., H. und L. Wohnungsbemühungen anzustellen.

Des Weiteren wären die Beklagten gehalten gewesen, einen Makler mit der Wohnungssuche zu betrauen. Es ist gerichtsbekannt nicht so, dass der Wohnungsmarkt sich ausschließlich über bekannte Online-Portale erstreckt. Wegen der allgemein bekannten Anfrageflut auf entsprechenden Plattformen können erfolgsversprechende Bemühungen auch über Makler erfolgen, die Zugriff auf Wohnungen bekommen, die nicht in den Portalen inseriert werden. Ausweislich der vorgetragenen Einkommenssituation wäre es den Beklagten auch finanziell zuzumuten gewesen, einen Makler zu beauftragen.

Obwohl das Gericht nicht gehalten ist, den Beklagten vorzuschreiben, welche Wohnung sie hätten mieten können oder müssen, so wird deutlich, dass die Beklagten spezifische Vorstellungen und Anforderungen an einen alternativen Wohnraum stellen, der in Abwägung mit den Belangen des Zeugen und der Klägerin nicht geeignet ist, einen Härtefallgrund anzunehmen.

IV.

Den Beklagten war auf ihren Antrag eine angemessene Räumungsfrist zu gewähren. Gesetzlich ist diese gemäß § 721 Abs. 5 Satz 1 ZPO auf ein Jahr beschränkt. Das Gericht hat nach pflichtgemäßen Ermessen darüber zu entscheiden, ob den Beklagten trotz bestehender Räumungspflicht zur Vermeidung von Obdachlosigkeit eine Räumungsfrist zuzusprechen ist.

Die Beklagten können ein schutzwürdiges Interesse geltend machen. Ein schutzwürdiges Interesse des Schuldners besteht nur, soweit er seiner Obliegenheit, sich in jeder ihm zumutbaren Weise um eine Ersatzwohnung zu bemühen (BayObLG ZMR 1975, 219 (220); KG ZMR 2009, 200; LG Berlin BeckRS 2021, 23946 Rn. 4; BeckRS 2019, 54333 Rn. 10, IBRRS 2019, 1885; v. 17.7.2017 – 65 S 149/17, LSK 2017, 123200; LG Tübingen BeckRS 2015, 15633), entsprochen hat und gleichwohl noch keine seinen Bedürfnissen entsprechende Ersatzwohnung finden konnte (BeckOK ZPO/Ulrici, 46. Ed. 1.7.2022, ZPO § 721 Rn. 6).

Nach den vorgenannten Ausführungen haben sich die Beklagten intensiv und nachhaltig um Ersatzwohnraum bemüht, in Abwägung der Interessen der Parteien konnte der Härteeinwand des § 574 Abs. 2 BGB jedoch nicht anerkannt werden. In diesem Fall ist wenigstens die zeitlich befristete Gewährung einer Räumungsfrist nach § 721 ZPO möglich (AG Hamburg BeckRS 2007, 31397).

Die Beklagten können voraussichtlich zum 31.08.2024 in die Wohnung der Genossenschaft einziehen. Die ordentliche Kündigung ist zum 31.08.2022 wirksam geworden. Das Gericht übt sein Ermessen auch vor dem Hintergrund des zeitnahen Verfahrensabschlusses dahingehend aus, dass die Interessen der Beklagten und der Klägerin gleichsam noch gewahrt sind, wenn den Beklagten eine Räumungsfrist bis zum 31.08.2023 gewährt wird. Dies ermöglicht den Beklagten ihre Wohnungssuchbemühungen auf weitere Bereiche auszudehnen und ggf. einen Makler mit der Wohnungsvermittlung zu beauftragen. Die dann noch verbleibende Zeit ist zudem für ein befristetes Mietverhältnis geeignet. Dem Zeugen ist, da er zur Zeit über Wohnraum verfügt, wegen der angespannten Wohnungslage zuzumuten die Begründung des von ihm geplanten Hausstands noch bis zum 31.08.2023 aufzuschieben.

V.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 7, 711 ZPO.

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