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Eigenbedarfskündigung wegen Au-pair?

LG Berlin – Az.: 67 S 11/21 – Beschluss vom 23.03.2021

Die Kammer beabsichtigt, die Berufung als offensichtlich unbegründet im Beschlusswege zurückzuweisen.

Gründe

I.

Die Berufung ist gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen, da sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat und auch die sonstigen Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO vorliegen.

Die Klägerin kann von dem Beklagten nicht gemäß §§ 985, 546 Abs. 1 BGB die Räumung und Herausgabe verlangen, da die streitgegenständlichen Kündigungen das Mietverhältnis nicht beendet haben. Dagegen vermag die Berufung nichts zu erinnern.

Die Kündigung vom 1. Oktober 2019 ist unwirksam. Die Klägerin kann die Kündigung mit Erfolg weder auf § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB noch auf § 573 Abs. 1 BGB stützen.

Ein Kündigungsgrund nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB ist nicht gegeben.

Es kann dahinstehen, ob es sich bei dem in der Kündigung vom 1. Oktober 2019 namentlich benannten Au-pair-Mädchen um eine Angehörige des Haushalts der Klägerin handelte oder der lediglich vorübergehende Charakter ihres kurzzeitigen Haushaltsaufenthaltes einer Anwendung des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB entgegenstand (vgl. dazu Blank, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 14. Aufl. 2019, § 573 Rz. 51 m.w.N.). Jedenfalls war es der Klägerin gemäß § 242 BGB verwehrt, sich auf Eigenbedarf an der von dem Beklagten innegehalten Wohnung für die genannte Person zu berufen, da deren Au-pair-Beschäftigungsverhältnis ausweislich der nicht mit einem Berichtigungsantrag angefochtenen und die Kammer deshalb gemäß § 314 ZPO bindenden tatbestandlichen Feststellungen des Amtsgerichts bereits vor Ablauf der am 30. Juni 2020 endenden Kündigungsfrist ausgelaufen ist. Fällt der Kündigungsgrund aber wie hier vor Ablauf der Kündigungsfrist weg, kann sich der Vermieter darauf mangels schutzwürdigen Eigeninteresses nicht mehr mit Erfolg berufen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 22. Mai 2019 – VIII ZR 167/17, NJW-RR 2019, 972, beckonline Tz. 28 m.w.N.). Das nimmt die Berufung im Ergebnis unangefochten als zutreffend hin.

Der Tatbestand des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB ist ebenfalls nicht eröffnet, soweit die Klägerin die Kündigung für zukünftig „in unserem Haushalt notwendigerweise beschäftigte „Au-pairs“ ausgesprochen hat. Denn bei diesen handelte es sich weder im Moment des Kündigungsausspruchs noch bei Ablauf der Kündigungsfrist um „Angehörige des Haushalts“ (vgl. BGH, Urt. v. 11. März 2009 – VIII ZR 127/08, NJW 2009, 1808, beckonline Tz. 18).

Auch auf die Generalklausel des § 573 Abs. 1 BGB kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg berufen. Gemäß § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Vermieter nur kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Kündigung hat. Dass es an einem solchen fehlt, hat das Amtsgericht zutreffend erkannt.

Soweit die Kündigung auf die Nutzung der streitgegenständlichen Wohnung durch das namentlich benannte Au-pair-Mädchen gestützt ist, steht ihrer erfolgreichen Geltendmachung aus den dargetanen Gründen der Wegfall des Kündigungsgrundes noch vor Ablauf der Kündigungsfrist entgegen.

Eine der Klägerin günstigere Beurteilung ist nicht dadurch gerechtfertigt, dass sie die von dem Beklagten seit dem Jahre 2009 innegehaltene Wohnung ausweislich der Kündigungserklärung zudem als Schlafstatt für künftig von ihr „notwendigerweise beschäftigte Au-pairs“ zu nutzen beabsichtigt. Das von der Klägerin zur Begründung ihres Kündigungsinteresses herangezogene Urteil des VIII. Zivilsenates des BGH vom 11. März 2009 (VIII ZR 127/08, NJW 2009, 1808, beckonline Tz. 18) verhilft ihrer Berufung nicht zum Erfolg. Zwar hat der VIII. Zivilsenat des BGH darin ein Kündigungsinteresse nach § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB für die Unterbringung einer Betreuungskraft für die Kinder des Vermieters und deren pflegebedürftige Schwiegermutter bejaht. Die Entscheidung indes betrifft nicht nur einen nicht verallgemeinerungsfähigen Einzelfall. Sie entspricht auch nicht mehr der inzwischen geänderten – und von der Kammer im Wesentlichen geteilten – Rechtsprechung des VIII. Zivilsenates des BGH zu den Anforderungen an eine auf die Generalklausel des § 573 Abs. 1 BGB gestützte Kündigung. Auch das hat das Amtsgericht zutreffend erkannt.

Eigenbedarfskündigung wegen Au-pair?
(Symbolfoto: Von stockfour/Shutterstock.com)

Die Generalklausel des § 573 Absatz 1 Satz 1 BGB umfasst eine Vielzahl möglicher Kündigungstatbestände. Die Beurteilung, unter welchen Voraussetzungen ein in diesem Sinn berechtigtes Interesse des Vermieters gegeben ist, entzieht sich auch im Hinblick auf die Vielgestaltigkeit der Geschehensabläufe und der auf beiden Seiten zu berücksichtigenden Belange einer verallgemeinerungsfähigen Betrachtung (vgl. BGH, Urt. v. 16. Dezember 2020 – VIII ZR 70/19, NJW-RR 2021, 204, beckonline Tz. 20). Die in der Vergangenheit vorgenommene – und mangels hinreichender Trennschärfe nicht praxistaugliche – Unterscheidung wesensverwandter Kündigungsszenarien nach einem für den Vermieter „beachtenswerten Nachteil“ und einem solchen „von einigem Gewicht“ (vgl. nur BGH, Urt. v. 10. Mai 2017 – VIII ZR 292/15, NJW-RR 2017, 976, beckonline Tz. 48, 59) findet sich in der jüngeren Rechtsprechung des VIII. Zivilsenates des BGH nicht mehr (vgl. BGH, Urt. v. 16. Dezember 2020 – VIII ZR 70/19, NJW-RR 2021, 204, beckonline Tz. 16 ff.). Denn es kommt zutreffender Weise allein darauf an, ob das geltend gemachte Interesse des Vermieters nach einer an den Umständen des Einzelfalls ausgerichteten Abwägung der beiderseits grundrechtlich geschützten Interessen ebenso schwer wiegt wie die in § 573 Abs. 2 BGB beispielhaft aufgeführten Kündigungsgründe (vgl. BGH, a.a.O., Tz. 16 f.). Dabei dürfen die dem Vermieter entstehenden Nachteile allerdings keinen Umfang annehmen, welcher die Nachteile weit übersteigt, die dem Mieter im Fall des Verlusts der Wohnung erwachsen (vgl. BGH, a.a.O., Tz. 17 m.w.N.).

Gemessen an diesen Grundsätzen hat das Amtsgericht ein berechtigtes Interesse der Klägerin zutreffend verneint. Die Komfortnachteile, die ihr durch eine Aufnahme zukünftiger Au-pair-Kräfte in die von ihr und ihrer Familie bewohnte Wohnung entstünden sind ebenso vergleichsweise geringfügig wie die wirtschaftlichen Nachteile, die für sie mit der alternativen Anmietung einer auswärtigen Unterkunft für ihre Bediensteten verbunden wären. Ihr darauf beruhendes Kündigungsinteresse bleibt damit nicht nur hinter den in § 573 Abs. 2 BGB beispielhaft aufgeführten Kündigungsgründen zurück. Die ihr durch den Fortbestand des Mietverhältnisses entstehenden Nachteile nehmen erst Recht keinen Umfang ein, der die auf Seiten des Beklagten aufgrund des Verlustes der Wohnung eintretenden Nachteile bei Weitem übersteigt.

Davon ausgehend besteht das Mietverhältnis zwischen den Parteien bereits mangels wirksamer Kündigung vom 1. Oktober 2019 ungekündigt fort. Allerdings wäre das Amtsgericht auch andernfalls nicht befugt gewesen, den Beklagten auf Grundlage der Kündigung vom 1. Oktober 2019 ohne eine Beweiserhebung über den von ihm geltend gemachten – und von der Klägerin in Abrede gestellten – Härtegrund fehlenden Ersatzwohnraums gemäß § 574 Abs. 2 BGB zur Räumung zu verurteilen. Es kann dahinstehen, ob und inwieweit dem Beklagten mit Blick auf die Existenz der Berliner Mietenbegrenzungsverordnung Beweiserleichterungen zu Gute gekommen wären (vgl. dazu BGH, Urt. v. 3. Februar 2021 – VIII ZR 68/19, BeckRS 2021, 4710, beckonline Tz. 45). Denn von Fragen der Beweisführung und Beweislast zu trennen ist die der Darlegungslast, die im Rahmen des § 574 Abs. 2 BGB ebenfalls dem Mieter obliegt (vgl. Emanuel, in: BeckOGK, Stand: 1. Januar 2021, § 574 Rz. 66 m.w.N.). Die Partei eines Zivilprozesses genügt ihrer Darlegungslast aber bereits dann, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht oder die beanspruchte Rechtsposition zu begründen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschl. v. 1. Dezember 2020 – X ZR 110/19, GRUR-RS 2020, 36830, beckonline Tz. 16). Diesen Anforderungen ist der Beklagte gerecht geworden, indem er – zusätzlich gestützt auf die mit einer besonderen Gefährdung der Wohnraumversorgung begründete Mietenbegrenzungsverordnung für das Land Berlin – behauptet hat, die erfolgreiche Anmietung von Ersatzwohnraum sei für ihn als Grundsicherungsempfänger in Berlin aufgrund seiner stark eingeschränkten wirtschaftlichen Möglichkeiten ausgeschlossen. Die demnach erforderliche Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens würde der Klageabweisung nur dann nicht entgegen stehen, wenn dem Beklagten der Beweis der Unmöglichkeit der Ersatzwohnraumbeschaffung nicht gelingen würde. Andernfalls wäre das Mietverhältnis selbst im Falle der Wirksamkeit der Kündigung gemäß §§ 574, 574a BGB in Abwägung der widerstreitenden Parteiinteressen auf unbestimmte Zeit fortzusetzen. Denn die Nachteile, die der Klägerin durch die fehlende Möglichkeit zur Unterbringung zukünftiger Au-pair-Kräfte in der vom Beklagten innegehaltenen Wohnung und die stattdessen erforderliche Aufnahme in die von ihr und ihrer Familie selbst bewohnte Wohnung oder die Anmietung einer weiteren Unterkunft erwüchsen, führten allenfalls zu einer Beschränkung des eigenen Wohnkomforts oder einer nicht erheblich ins Gewicht fallenden wirtschaftlichen Mehrbelastung. Sie begründeten eine vergleichsweise geringfügige Dringlichkeit der zukünftigen Nutzung der streitgegenständlichen Wohnung (vgl. BGH, Urt. v. 3. Februar 2021 – VIII ZR 68/19, BeckRS 2021, 4710, beckonline Tz. 41). Damit indes bliebe das darauf beruhende Erlangungsinteresse weit hinter den persönlichen, sozialen und wirtschaftlichen Nachteilen zurück, die der Beklagte ohne die Möglichkeit zur Beschaffung angemessen Ersatzwohnraums mit dem Verlust seines bisherigen Lebensmittelpunktes zu gegenwärtigen hätte.

Die erstmals im zweiten Rechtszug ausgesprochene weitere Kündigung führt zu keinem der Klägerin günstigeren Ergebnis. Denn in einem Fall wie dem vorliegenden, in welchem das Berufungsgericht beabsichtigt, die den erstinstanzlichen Streitgegenstand betreffende Berufung durch einen einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, verliert die zweitinstanzliche Klageerweiterung entsprechend § 524 Abs. 4 ZPO ihre Wirkung, wenn die Berufung durch Beschluss zurückgewiesen wird (vgl. BGH, Urt. v. 3. November 2016 – III ZR 84/15, NJW-RR 2017, 56, juris Tz. 14; Kammer, Beschl. v. 26. September 2017 – 67 S 166/17, ZMR 2018, 44, beckonline Tz. 12). So liegt der Fall hier.

II.

Die Klägerin erhält Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 2 Wochen, auch zur Frage, ob die Berufung vor dem Hintergrund des erteilten Hinweises zurückgenommen wird. Auf die damit verbundene Kostenreduzierung gemäß Nr. 1222 KV weist die Kammer vorsorglich hin.

 

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