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Verwertungskündigung bei jahrelanger Vernachlässigung einer Immobilie

LG Osnabrück – Az.: 1 S 117/19 – Urteil vom 29.01.2020

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Meppen vom 27.03.2019, Az.: 3 C 167/17, abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

5. Der Streitwert wird festgesetzt auf bis zu 480 €.

Gründe

A.

Die Parteien streiten über die Räumung zweier nebeneinanderliegender Dachgeschosswohnungen in einer Immobilie mit insgesamt vier Wohnungen.

Der Vater des Beklagten mietete die rechte Dachgeschosswohnung im Jahre 1953 an. Der Beklagte lebt dort seit dem Tod seiner Eltern alleine und zahlt eine monatliche Miete von 40 €. Ferner nutzt er auch Teile der linken Dachgeschosswohnung, die ebenso wie die beiden Untergeschosswohnungen nicht anderweitig vermietet ist.

Die Klägerin kündigte das Mietverhältnis durch Schreiben vom 21.10.2016. Zur Begründung wurde ausgeführt, durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses sei eine angemessene wirtschaftliche Verwertung des Grundstücks nicht möglich und die Klägerin würde hierdurch erhebliche Nachteile erleiden.

Die Klägerin behauptet, die unteren Wohnungen seien wegen Baumängeln unbewohnbar. Der Allgemeinzustand des Hauses sei sehr schlecht. Die erforderliche Sanierung stünde in keinem Verhältnis zum Wert der Immobilie. Die Klägerin habe versucht das Objekt zu einem Kaufpreis von mindestens 60.000 € zu verkaufen. Der einzige Interessent habe den Auszug des Beklagten zur Bedingung des Abschlusses des Kaufvertrages gemacht.

Renovierungsarbeiten seien in der Vergangenheit aufgrund des geringen Mietzinses unmöglich gewesen. Mängel seien durch den Beklagten nicht angezeigt worden, vielmehr habe dieser selber unfachmännisch Reparaturen vorgenommen.

Die Inanspruchnahme der linken Wohnung sei stillschweigend zur Kenntnis genommen worden.

Die Klägerin hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen, die Oberwohnung (Hofseite) in der Liegenschaft (Vierfamilienwohnhaus) H., bestehend aus 2 Schlafzimmern, einem Abstellraum, einem Kellerraum, einer Kellerhälfte sowie Toilette und Waschküche sowie einen Schweinestall im Nebengebäude, den Packraum zur gemeinsamen Benutzung mit der Unterwohnung sowie die „linke Wohnung“ Dachgeschoss zu räumen und mitsamt allen übergebenen Schlüsseln an die Klägerin herauszugeben.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat behauptet, die Klägerin habe gegen ihre Pflicht zur Erhaltung der Mietsache verstoßen. Reparatur- und Renovierungsmaßnahmen seien über Jahrzehnte nicht durchgeführt worden. Die Kündigung sei mangels hinreichender Begründung unwirksam. Eine Räumung wäre mit einer unzumutbaren Härte verbunden, da der Beklagte gesundheitlich stark eingeschränkt sei. Insbesondere leide er an einer Herzschwäche.

Die zweite Obergeschosswohnung sei ebenfalls angemietet, es sei extra 1977 ein Durchgang geschaffen worden.

Das Amtsgericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung des Zeugen E. und durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Ferner wurden die Parteien informatorisch angehört. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 06.09.2017, 01.11.2017 und vom 06.03.2019 sowie das Gutachten des Dipl. – Ing. und Architekten R. vom 03.11.2018.

Das Amtsgericht hat den Beklagten durch Urteil vom 27.03.2019 zur Räumung verurteilt. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, der Kündigungsgrund des § 573 Abs. 2 Ziffer 3 BGB läge vor und der Beklagte sei zur Herausgabe der rechten Oberwohnung gemäß § 546 BGB verpflichtet. Die geplante Veräußerung stelle eine angemessene Verwertung dar, da eine Sanierung nicht zuletzt wegen der zu erwartenden Sanierungskosten von 600.000 € bis 800.000 € und der geringen Miete von 40 €/mtl. unrentabel sei.

Die Abwägung des Bestandsinteresses des Beklagten gegenüber dem Verwertungsinteresse der Klägerin falle zu Gunsten der Klägerin aus. Nach der Beweisaufnahme stünde fest, dass das Objekt im vermieteten Zustand – auch zu einem Preis von lediglich 20.000 € – unverkäuflich sei. Die Kündigung sei nicht rechtsmissbräuchlich, da keine Anhaltspunkte für ein bewusstes Verfallenlassen der Immobilie vorhanden seien. Renovierungsmaßnahmen seien durch den Beklagten nicht verlangt worden und Mängel habe dieser ebenfalls nicht angezeigt.

Die Kündigungserklärung sei hinreichend begründet worden.

Schließlich käme auch keine Fortsetzung des Mietverhältnisses wegen einer besonderen Härte in Betracht. Die Unmöglichkeit eines Umzugs sei durch den Beklagten zu pauschal dargestellt.

Der Herausgabeanspruch hinsichtlich der linken Oberwohnung ergäbe sich aus § 985 BGB.

Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung vom 16.04.2019, die durch Schriftsatz vom 06.05.2019 begründet wurde.

Der Beklagte meint, die Klägerin habe – insbesondere auch unter Berücksichtigung der Angaben des Sachverständigen – nicht bewiesen, dass ihr ein Verkauf des Objekts im vermieteten Zustand für 20.000 € unmöglich sei. Stattdessen sei es in der Vergangenheit nur zu einem Kaufpreis von 60.000 € angeboten worden. Dieser Kaufpreis entspräche nicht dem Verkehrswert des Objektes.

Jetzt läge ein Angebot des Kaufinteressenten G. vom 31.03.2019 mit einem Kaufpreis von 22.000 € vor. Dieser habe seinen Kaufentschluss erst nach dem letzten Termin der mündlichen Verhandlung des Amtsgerichts Meppen gefasst. Wegen des Wegfalls des Kündigungsgrundes sei die Weiterverfolgung des Räumungsanspruchs rechtsmissbräuchlich.

Hinsichtlich des Grundstückswertes müsse berücksichtigt werden, dass 1.240 m² lediglich Ackerfläche seien, die mit lediglich 8 €/m² zu bewerten seien, so dass von einem Grundstücksgesamtwert in Höhe von höchstens 33.495 € auszugehen sei.

Der Berufungskläger beantragt, die Klage unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Meppen vom 27.03.2019 abzuweisen.

Die Berufungsbeklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin meint, dass sie nicht verpflichtet sei, das Objekt zu einem Kaufpreis von 22.000 € anzubieten, da die Klägerin hierdurch einen wirtschaftlichen Nachteil von 66 % erleiden würde. Betreffend das Kaufangebot sei die Ernsthaftigkeit und Solvenz des Interessenten unklar. Bei der Wahl des Vertragspartners sei die Klägerin überdies frei. Das Vorbringen sei überdies verspätet.

Der Sachverständige habe den Verkehrswert des Grundstücks im Termin lediglich geschätzt. Eine wissenschaftliche Bewertung habe der Sachverständige nicht vorgenommen. Tatsächlich ergäbe sich ein Grundstückswert von 54.575 € (Bodenrichtwert 25 €/ m² x 2.183 m²), von dem Abrisskosten in Höhe von 9.931,74 € abzuziehen seien, statt der 20.000 €, die der Sachverständige als Abrisskosten angegeben habe.

B.

Die Berufung ist zulässig und begründet.

I. Zulässigkeit

Die Berufung ist zulässig. Insbesondere ist der Beschwerdewert des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erreicht. Zu unterscheiden sind der Gebührenstreitwert im Sinne des § 41 Abs. 1 GKG und die Beschwer im Rahmen der Berufung. Die Rechtsmittelbeschwer richtet sich nach den §§ 8, 9 ZPO (BGH NJW – RR 2005, 867), so dass der dreieinhalbfache Jahresbetrag der Kaltmiete zugrunde zu legen ist (42 Monate à 40 € = 1.680 €).

II. Rechte Dachgeschosswohnung

Der Klägerin steht ein Anspruch auf Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung nach § 546 BGB nicht zu, da die Kündigung vom 21.10.2016 zur Verwertung des Grundstücks gem. § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB unwirksam ist.

Die Voraussetzungen für die Kündigung eines Mietverhältnisses gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB zur angemessenen wirtschaftlichen Verwertung und erheblicher Nachteile durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses liegen nicht vor.

Zwar hat vorliegend die Klägerin als Vermieterin die ernsthafte Absicht, die Mietsache anderweitig zu verwerten. Die Klägerin hat hierzu vorgetragen, dass sie die Immobilie zunächst dem Beklagten zum Kauf angeboten hat. Als dieser sich hierzu nicht entschließen konnte, hat sie das Objekt am schwarzen Brett (vgl. Angabe des Bürgermeisters im Protokoll, Bl. 111) ausgeschrieben mit einem Mindestkaufpreis von 60.000 €. Der Beklagte bestreitet letztlich nicht, dass die Klägerin die Immobilie verkaufen möchte.

Jedoch ist die geplante Art der Verwertung nach den Gesamtumständen nicht angemessen. Nach der Rechtsprechung des BGH ist eine Verwertung angemessen, wenn sie von vernünftigen, nachvollziehbaren Erwägungen getragen wird (BGH NJW 2011, 1135 = WuM 2011, 171 = NZM 2011, 239). Maßgeblich sind die Gesamtumstände der Verwertung. Dazu gehört die Wert/Preisrelation (im Falle des Verkaufs) ebenso wie alle sonstigen Umstände, etwa das Verwertungsmotiv, der Verwertungszweck oder die Gründe, die den Vermieter zu einem Verkauf im bezugsfreien Zustand bewogen haben.

Das Landgericht Frankfurt hat in einem Fall eine Kündigung für unwirksam gehalten, wenn der Vermieter seiner Erhaltungspflicht über Jahre nicht nachgekommen ist (LG Frankfurt, NJW-RR 1996, 266). Es besteht eine Vergleichbarkeit zum hiesigen Fall.

Die Klägerin hat ihre Verwertungsabsicht begründet mit dem Missverhältnis zwischen der geringen Miete von 40 € monatlich und den hohen Sanierungskosten im jedenfalls sechsstelligen Bereich. Dabei muss jedoch berücksichtigt werden, dass es der Klägerin unbenommen gewesen wäre, die Miete regelmäßig zu erhöhen. Die Miete war im Ausgangsmietvertrag vom 01.07.1953 auf 13,50 DM festgelegt worden. Aus der Anlage K1 ergibt sich, dass wohl im Jahr 1959 eine Anpassung auf einen Betrag von 27,50 DM vorgenommen worden ist. Zu weiteren Mieterhöhungen ist nicht vorgetragen worden. Die Gemeinde S. hat keinen Mietpreisspiegel. Laut Internet lässt sich ein durchschnittlicher Preis von 4,50 €/ m² erzielen. Der Beklagte selbst geht von mindestens 4 €/ m² aus. Die zu erzielende Miete dürfte sich demnach für das gesamte Obergeschoss (96,14 m²) fast auf das 10-fache des aktuellen Betrages belaufen.

Dies gilt insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass der Klägerin dem eigenen Vorbringen nach bekannt war, dass der Beklagte das gesamte Dachgeschoss nutzt, obwohl ihm seinerzeit nur die rechte Wohnung vermietet worden ist. Es hätte nahegelegen, entweder die Nutzung zu untersagen und die andere Wohnung anderweitig zu vermieten oder den Mietvertrag und insbesondere die Miethöhe anzupassen.

Auf der anderen Seite ergibt sich aus der informatorischen Anhörung des Beklagten durch das Amtsgericht, dass die Klägerin seit der Erbauung im Jahr 1952 wohl lediglich einen Schornsteinkopf erneuert hat. Die Klägerin hat hierzu nicht weiter ergänzend vorgetragen und dies auch nicht in Abrede gestellt. Aus dem Gutachten ergibt sich, dass sowohl die Sanitäranlagen, als auch die Elektroverteilung dem Stand der 50er Jahre entsprechen. Das Dach ist ungedämmt und von Käfern befallen, die Verblendmauersteine der Außenfassade zersetzen sich bereits. Tatsächlich steht damit zur Auffassung der Kammer fest, dass die Klägerin über Jahrzehnte keinerlei Renovierungs- oder Sanierungsmaßnahmen durchgeführt hat. Zum damaligen Zeitpunkt waren auch noch alle Wohnungen belegt (1977 wurden wohl die Obergeschosswohnungen durch einen Durchbruch zusammengelegt, die Wohnungen im EG stehen wohl seit rund 15 Jahren leer) und die monatliche Rendite war höher.

Das Amtsgericht hat zwar ausgeführt, der Beklagte habe nie Mängel angezeigt. Für ein bewusstes Verfallenlassen – mit dem Ziel einer späteren Kündigung – gäbe es keine Anhaltspunkte. Instandhaltungs- und Instandsetzungspflichten könnten die Klägerin nur in Bezug auf die streitgegenständliche Wohnung, nicht jedoch im Hinblick auf die anderen Wohnungen treffen.

Der Vermieter muss die Mietsache jedoch gem. § 535 Abs. 1 S. 2 BGB während der Mietzeit in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand erhalten. Hieraus folgt, dass er nach dem Mietvertrag zur Instandhaltung und Instandsetzung dieser verpflichtet ist. Hierfür muss der Vermieter die Wohnung, die zu ihrer Ausstattung gehörenden Bauteile und Einrichtungen, den Hausflur und andere gemeinschaftliche Hausteile sowie das Gebäude nebst Grundstück instand halten (BeckOK BGB: Zehelein, 50. Ed. 1.5.2019, § 535, Rn. 397). Die Instandhaltung ist unabhängig von der Frage der Mangelbeseitigung und Anzeige. Zumal die hohe Renovierungsbedürftigkeit sich aus Umständen ergeben, die für die Klägerin als Vermieter zu sehen sind, auch ohne dass sie die Mietwohnung des Beklagten betreten muss (Außenfassade, Dach, Elektroleitungen etc). Außerdem wurde sie bereits durch das Schreiben der Eltern des Beklagten vom 22.02.1999 auf den „systematischen Verfall des Gebäudes“ aufmerksam gemacht.

Es ist zwar richtig, dass keine konkreten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Klägerin schon länger beabsichtigt hat, die Verwertungskündigung zu erklären und sie deswegen keine Renovierungen mehr vorgenommen hat. Die Angemessenheit der Verwertung wird jedoch anhand verschiedener Kriterien (s.o.) beurteilt. Sie scheitert nicht allein, wenn dem Vermieter erst nachdem er über Jahrzehnte keine Renovierungen durchgeführt hat, auffällt, dass die Immobilie einen teuren Sanierungsstau aufweist und er sich daran anknüpfend zur Veräußerung entschließt.

Die Klägerin als Vermieterin hat zudem nicht nachgewiesen, dass sie im Falle des Fortbestands des Mietverhältnisses erhebliche, in erster Linie wirtschaftliche, Nachteile hat (Blank/Börstinghaus: Blank, 5. Aufl. 2017, BGB, § 573, Rn. 164). Vorgetragen hat die Klägerin diesbezüglich, dass ihr lediglich ein Kaufangebot vorliegen würde, welches aber unter der Bedingung stünde, dass der Beklagte auszöge.

Das BVerfG hat klargestellt, dass sich aus dem Grundgesetz kein Anspruch des Grundeigentümers auf die höchstmögliche Rendite ergibt (BVerfG NJW 1992, 361 unter Ziff II 1). Demgegenüber dürfen die Einbußen des Eigentümers aber „keinen Umfang annehmen, welcher die Nachteile weit übersteigt, die dem Mieter im Falle des Verlustes der Wohnung erwachsen“ (BVerfG NJW 1989, 972 unter Ziff I 1). Vielmehr ist insoweit auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen. Nach der Rechtsprechung des BGH ist über die Kündigung auf Grund einer „Abwägung zwischen dem Verwertungsinteresse des Eigentümers und dem Bestandsinteresse des Mieters“ zu entscheiden (BGH NJW 2011, 1135).

Der Umstand, dass für eine mietfreie Wohnung ein höherer Verkaufspreis erzielt werden kann als für ein vermietetes Objekt dürfte idR offenkundig sein; dieser Umstand kann für sich allein keine Kündigung rechtfertigen. Es gilt der Grundsatz, dass die reine Gewinnoptimierung hinter dem durch den Kündigungstatbestand bezweckten Schutz des Mieters am Erhalt der Wohnung nachrangig ist (LG Berlin WuM 2016, 178). Die jeweilige Erheblichkeitsgrenze ist im Einzelfall durch einen Vergleich des möglichen Verkaufserlöses im vermieteten und im freistehenden Zustand zu ermitteln (LG Stuttgart ZMR 1995, 259 = DWW 1995, 142; LG Freiburg WuM 1991, 592; LG Duisburg WuM 1991, 497).

Die Klägerin hat zur Auffassung der Kammer schon nicht bewiesen, dass diese bei dem Fortbestand des Mietverhältnisses einen erheblichen wirtschaftlichen Nachteil hat.

Die Klägerin hat hierzu in der ersten Instanz vorgetragen, dass ihr lediglich ein Kaufangebot vorgelegen habe. Dieser Interessent würde die Immobilie aber nur unvermietet erwerben. Das Amtsgericht hat diesen Kaufinteressenten als Zeugen vernommen und aus dessen Angaben und den Ausführungen des Sachverständigen geschlussfolgert, dass die Immobilie im vermieten Zustand nicht veräußerbar sei. Die Kammer teilt diese Schlussfolgerung nicht.

Denn die Klägerin hat lediglich versucht, die Immobilie durch einen Aushang am Schwarzen Brett der Gemeinde S. zu veräußern. Diesen nimmt nach allgemeiner Erfahrung kein großer Personenkreis war. Ein privater Verkäufer hätte vielleicht auch zunächst versucht das Objekt zur Vermeidung von Maklerkosten freihändig zu verkaufen. Hierfür stehen heutzutage aber diverse Möglichkeiten im Internet (immobilienscout, ebay Kleinanzeige etc.) kostengünstig zur Verfügung. Diese Möglichkeiten hat die Klägerin nicht ausgeschöpft und auch keinen Makler mit der Vermarktung betraut.

Die Kammer folgt auch nicht den Ausführungen des Sachverständigen, der ausgeführt hat, er ginge nicht davon, dass man die Immobilie mit einem Mieter verkaufen könne, der lediglich 40 € Miete zahlen würde. Denn zum einen bestehen Möglichkeiten, die Miete der Höhe nach anzupassen. Zum anderen ist gerichtsbekannt, dass Wohnraum und bebaubaren Flächen derzeit stark nachgefragt werden. Es erscheint denkbar, dass ein Investor auch darauf spekuliert, den Mieter – etwa durch Mieterhöhungen oder Herausgabeverlangens der linken Dachgeschosswohnung – zu einem Auszug zu bewegen und er die Immobilie auch in vermietetem Zustand erwirbt.

Soweit die Klägerin im Rahmen der Berufung die Feststellungen des Sachverständigen im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht, in dem er den Verkehrswert des Grundstücks auf lediglich 20.000 € geschätzt hat, in Zweifel gezogen hat, ist dieses Vorbringen gemäß § 531 Abs. 2 Nr. 2 ZPO als verspätet zurückzuweisen. Der Sachverständige wurde durch das Amtsgericht zum Termin zur mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme am 06.03.2019 zur Ergänzung seines schriftlichen Gutachtens geladen. Die Klägerin hätte die Ausführungen des Sachverständigen bereits in der Sitzung in Zweifel ziehen können oder alternativ eine Schriftsatzfrist zur Stellungnahme auf die Ausführungen beantragen können, was sie nicht gemacht hat.

Soweit der Beklagte mit der Berufungsbegründung ein Kaufangebot vom 31.03.2019 über einen Kaufpreis von 22.000 € im vermieteten Zustand zur Akte gereicht hat, handelt es sich um ein neues Verteidigungsmittel, welches jedoch gemäß § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO zuzulassen ist, da es nicht auf einer Nachlässigkeit des Beklagten beruht, dass dieses nicht vorher geltend gemacht wurde. Maßgeblicher Beurteilungszeitraum für das Amtsgericht war der Schluss der mündlichen Verhandlung, die am 06.03.2019 stattgefunden hat. Insofern wäre es dem Beklagten nicht möglich gewesen, das Kaufangebot vom 31.03.2019 zu einem früheren Zeitpunkt noch in den Prozess einzuführen.

Bei der Beurteilung der Frage, ob der Vermieter bei der Veräußerung im vermieteten Zustand einen erheblichen Nachteil erleidet, ist auf die persönlichen Verhältnisse des Vermieters abzustellen. Eine generelle Betrachtungsweise verbietet sich (Schmidt-Futterer: Blank, 14. Aufl. 2019, BGB § 573 Rn. 172). Hier besteht die Besonderheit, dass es sich bei dem Vermieter um die Gemeinde S. handelt. Eine Existenzbedrohung tritt daher bei einem Mindererlös nicht ein.

Der Vergleich zu dem Angebot im unvermieteten Zustand zeigt, dass das jetzige Angebot im vermieteten Zustand lediglich 1/3 davon beträgt. In der Rechtsprechung gibt es keinen festen Prozentsatz, ab dem von einer Erheblichkeit ausgegangen wird. Verneint wurde eine Erheblichkeit aber allenfalls bis zu einer Minderung des Kaufpreises von maximal 15 %. Darüber liegende Mindererlöse wurden als erheblich angesehen (vgl. Schmidt-Futterer: Blank, 14. Aufl. 2019, BGB § 573 Rn. 172).

Das nunmehr eingereichte Kaufangebot kann demnach zwar gemäß § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO Berücksichtigung finden. Inhaltlich kommt es hierauf jedoch nicht an, da die Klägerin den ihr obliegenden Beweis eines erheblichen wirtschaftlichen Nachteils schon nicht geführt hat.

III. Linke Dachgeschosswohnung

Der Klägerin steht gegen den Beklagten auch kein Anspruch auf Herausgabe der linken Dachgeschosswohnung gemäß § 985 BGB zu.

Zwar ist die Klägerin Eigentümerin dieser Wohnung und der Beklagte hat diese aktuell auch in Besitz. Ferner hat zur Auffassung der Kammer der Beklagte auch kein Recht zum Besitz im Sinne des § 986 BGB. Denn der Beklagte hat den ihm obliegenden Beweis, dass sich der ursprüngliche Mietvertrag auch auf die linke Dachgeschosswohnung bezieht, nicht geführt. Insbesondere wurde der Mietgegenstand im Mietvertrag nicht konkludent erweitert.

Im Ausgangsmietvertrag ist lediglich die rechte Dachgeschosswohnung ausdrücklich als Mietgegenstand erwähnt. Der Beklagte beruft sich darauf, dass die Klägerin durch Schreiben vom 08.02.1999 den ursprünglichen Mietern, den Eltern des Beklagten, mitgeteilt habe, die „baulichen Veränderungen“ würden einen „eklatanten Verstoß gegen den Mietvertrag“ darstellen. Hierauf hätten die Eltern des Beklagten durch Schreiben vom 22.02.1999 reagiert.

„Es würde uns interessieren, inwieweit durch unseren Sohn bauliche Veränderungen vorgenommen wurden“.

Da die Klägerin ihrerseits sich hiernach nicht mehr geäußert habe, sei von einem Mietvertrag auszugehen.

Unklar ist aufgrund des Schriftverkehrs schon, ob überhaupt der Durchbruch zwischen den beiden Wohnungen mit „baulichen Veränderungen“ gemeint ist. Denkbar ist auch, dass sich dieser Satz auf die Installation des Badezimmers bezieht, die den Ausführungen des Beklagten zufolge 1993/1994 erfolgt sein soll.

Gegen eine konkludente Erweiterung des Mietgegenstandes spricht auch die Tatsache, dass offenbar die Miete nicht angepasst wurde (also verdoppelt, da die beiden Dachgeschosswohnungen spiegelbildlich zueinander sind, Bl. 31 Bd. 2).

Letztlich kann die Entscheidung dahinstehen, da das Herausgabeverlangen lediglich auf die linke Dachgeschosswohnung bezogen nicht vollstreckbar ist. Wie sich aus den Lichtbildern des Sachverständigengutachtens ergibt (Bild 26), befindet sich zwischen den – ursprünglich zwei Wohnungen – nunmehr ein Durchbruch, der gänzlich unverschlossen ist. Der Gerichtsvollzieher könnte also im Rahmen der Vollstreckung den Beklagten in seinen Nutzungsrechten mangels einer Tür nicht ausschließen.

Überdies ist zur Auffassung der Kammer ein Herausgabeanspruch betreffend lediglich den linken Teil der Dachgeschosswohnung treuwidrig im Sinne des § 242 BGB. Denn die Klägerin begehrt – unter Hinweis auf das bedingte Kaufangebot – die Herausgabe des gesamten Obergeschosses. Sie hat ein Interesse an der Herausgabe nur eines Teils des Dachgeschosses nicht dargelegt.

Weiterhin ist das Herausgabeverlangen betreffend die linke Dachgeschosswohnung treuwidrig, da die Klägerin diesen Zustand seit dem Jahr 1977, in dem der Durchbruch vorgenommen wurde, hingenommen hat. Nach Ablauf von über 40 Jahren ist auf Seiten des Beklagten ein Vertrauenstatbestand dahingehend entstanden, dass dieser nicht mehr mit der Herausgabe eines Teils des Dachgeschosses rechnen musste. Dies gilt insbesondere in Anbetracht des Umstandes, dass seitens der Klägerin auf das Schreiben der Eltern der Beklagten vom 22.02.1999 nicht mehr reagiert wurde.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Ein Grund zur Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO bestand nicht, weil die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht vorlagen.

V.

Zur Begründung der Höhe des Streitwertes wird auf den gerichtlichen Hinweis der Kammer vom 18.06.2019 Bezug genommen.

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