AG Bad Urach, Az.: 1 C 229/16, Urteil vom 05.10.2016
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Beklagten Ziff. 3 und 4 tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst. Die übrigen Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des für die jeweils vollstreckende Partei vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die jeweils vollstreckende Partei vorher Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.
Streitwert: 2.000,- €
Tatbestand
Die Kläger sind Mieter einer Wohnung im 1. Stock des Mehrfamilienhauses….. Die Beklagten Ziff. 1 und 2 sind Mieter der Wohnung darunter, die Beklagten Ziff. 3 und 4 Mieter der Wohnung im Erdgeschoss des danebenliegenden Gebäudeteils. Alle Wohnungen haben zur Gartenseite hin Balkone bzw. Terrassen, auf denen die Beklagten regelmäßig rauchen, weil in den Wohnungen Rauchen untersagt ist. Teilweise rauchen die Beklagten auch vor dem Haus im Eingangsbereich, an den PKW-Stellplätze angrenzen. Darüber liegen Fenster der Wohnung der Kläger.
Die Kläger behaupten alle Beklagten seien starke Raucher. Deren Rauchen im Freien beeinträchtige sie erheblich, weil der Rauch nicht nur laufend zum Balkon der Kläger aufstellte, sondern von dort auch in die angrenzenden Räume dringe, beim Lüften auch in weitere Räume. Sie legen dazu eine selbst aufgestellte Liste vor, in denen die Uhrzeiten aufgelistet, zu denen die Beklagten geraucht haben sollen (Anl. K2). Die Kläger tragen vor, der eindringende Rauch sei nicht nur lästig und hindere sie, ihren Balkon zu benutzen, sondern stelle für sie auch eine Gesundheitsgefahr dar. Innerhalb der Hausgemeinschaft habe man sich nicht auf rauchfreie Zeiten verständigen können. Zwar hätten die Vermieter M. in einem Schreiben vom 14.06.2015 (Anl. K3, Bl. 11 d.A.) einseitig rauchfreie Zeiten festgelegt, nämlich montags bis freitags sieben Stunden verteilt rund um die Uhr und an Wochenenden und Feiertagen neun Stunden. Diese Zeiten stellten aber keine gerechte und angemessene Lösung dar und berücksichtige die Interessen der Kläger nicht ausreichend. Die Kläger behaupten zudem, die Beklagten hielten sich nicht an die vom Vermieter festgelegten Zeiten. Die Kläger verlangen daher mit der vorliegenden Klage, dass die Beklagten während 12 Stunden (rund um die Uhr verteilt) das Rauchen im Freien unterlassen.
Im gerichtlichen Ortstermin vom 21.09.2016 haben sich die Kläger mit den Beklagten Ziff. 3 und Ziff. 4 durch Teilvergleich daraufhin geeinigt, dass im Eingangsbereich und den angrenzenden Parkplätzen nicht geraucht wird und auf der Gartenseite bestimmte, nach Werktagen und Wochenendtagen differenzierte Zeiten rauchfrei bleiben, die über die vermieterseits festgelegten Zeiten hinausgehen (werktags neun Stunden über den Tag verteilt und an Wochenenden bzw. Feiertagen neuneinhalb Stunden).
Im Verhältnis zu den Beklagten Ziff. 1 und 2 beantragen die Kläger, die Beklagten (Ziff. 1 und 2) zu verurteilen, bei Meidung eines vom Gericht für den Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu folgenden Tageszeiten nicht auf dem Balkon/der Terrasse ihrer Wohnung sowie auf dem Grundstück im Eingangsbereich des Gebäudes.. zu rauchen und dafür Sorge zu tragen, dass auch niemand anderes auf dem Balkon/der Terrasse ihrer Wohnung raucht.
02:00 bis 5:00 Uhr, 06:00 bis 07:00 Uhr, 10:00 bis 12:00 Uhr, 14:00 bis 16:00 Uhr, 18:00 bis 20:00 Uhr, 22:00 bis 24:00 Uhr.
Die Beklagten Ziff. 1 und 2 beantragen, die Klage abzuweisen.
Sie stellen die Aktivlegitimation der Kläger in Frage, weil sich die Kläger während der regelmäßigen Arbeitszeiten nicht in der Wohnung aufhielten und der in D. tätige Kläger Ziff. 2 überhaupt nur äußerst selten in R. auftauche. Die Beklagten halten den Rauch für unwesentlich und wollen die Kläger darauf verweisen, die Wohnung von der Straßenseite aus zu lüften. Sie behaupten, bei Ost- oder Südwind oder im Winter bemerkten die Kläger den Rauch ohnehin nicht. Sie tragen weiter vor, bei einer Versammlung der Hausgemeinschaft sei eine feste Regelung über die rauchfreie Zeiten getroffen worden, die von der anwesenden Klägerin akzeptiert worden sei. Außerdem betonen die Beklagten, sie hielten sich an die rauchfreien Zeiten aus dem Vermieterschreiben vom 01.06.2015. Die von den Klägern verlangten rauchfreien Zeiten halten die Beklagten für willkürlich und einseitig.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Parteien und das Protokoll des gerichtlichen Ortstermins vom 21.09.2016 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Den Klägern steht kein Unterlassungsanspruch dahingehend zu, dass die Beklagten Ziff. 1 und 2 das Rauchen auf ihrem Balkon zu den von den Klägern verlangten Zeiten unterlassen oder andere Nutzer ihres Balkons während dieser Zeiten dazu anhalten.
1.
Ein Anspruch aus §§ 862 Abs. 1, 858 Abs. 1 BGB besteht nicht.
a) Zwar beeinträchtigt das Rauchen im Freien den Besitz der Kläger sowohl auf ihrem Balkon als auch in der Wohnung, soweit Rauch in nicht ganz unerheblichem Maß auf den Balkon oder durch geöffnete Fenster oder die Balkontür in die Wohnung dringt. Zigarettenrauch ist für viele Menschen unangenehm und nicht nur der Gesundheitsgefahren wegen mit gutem Grund inzwischen in öffentlichen Bereichen zunehmend ausgeschlossen oder reglementiert. Die Auffassung, Rauchen im Freien sei sozial üblich und die davon ausgehende Beeinträchtigung stets unerheblich, also von den Nachbarn hinzunehmen, ist überholt (BGH, U. v. 16.01.2015, Az. V ZR 110/14, NJW 2015, 2023, Tz. 13).
Allerdings reicht das Recht der Kläger, ihre Wohnung und Balkon nach Belieben zu nutzen, nicht weiter als das Recht der Beklagten, dasselbe mit ihrer Wohnung und ihrem Balkon zu tun. Es ist ebenso legitim, Wohnung und Balkon möglichst von Rauchgeruch freizuhalten, wie auf dem Balkon zu rauchen, insbesondere, wenn der Vermieter Rauchen innerhalb der Wohnung untersagt hat. Diese Freiheiten sind insbesondere bei Zusammenleben auf engem Raum nur miteinander in Einklang zu bringen, wenn alle Mieter auf die Bedürfnisse der anderen Rücksicht nehmen. Dieses Gebot der gegenseitige Rücksichtnahme schränkt demnach die Freiheit jedes Mieters so weit ein, als die Freiheit der Nachbarn es erfordert.
Wie weit der Mietgebrauch bzw. die Freiheit des einzelnen Mieters reicht, ergibt sich in erster Linie aus vertraglichen Vereinbarungen mit dem Vermieter, weil solche Vereinbarungen zugleich Duldungspflichten der übrigen Mieter begründen, in zweiter Linie aus der Hausordnung, die die Rücksichtnahmepflichten der Mieter konkretisiert, und, falls eine solche Regelung fehlt, aus einer im Einzelfall durch das Gericht vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Interessen (vgl. Schmidt-Futterer/Eisenschmid, 12. Aufl., § 535 BGB Rn. 375 ff.; BGH a.a.O. Tz. 8 u. 18).
b) Im vorliegenden Fall existiert bereits eine wirksame Regelung über das Rauchen im Freien. Eine darüber hinausgehende Regelung durch das Gericht kann daher nicht verlangt werden.
In den Mietverträgen der Parteien ist das Rauchen im Freien zwar nicht geregelt, auch nicht in dem darin enthaltenen Teil der Hausordnung (§ 22 des Mietvertrages, Anl. K 13, Bl. 57/50 d.A.). Die Frage, inwieweit im Freien auf dem Grundstück geraucht werden darf, ist im Haus K-Straße 5 in R. aber trotzdem bindend geordnet. Denn eine Hausordnung ist nicht statisch und kann bzw. muss bei Bedarf angepasst werden. Dies kann auch nachträglich geschehen, insbesondere dann, wenn die Hausordnung lediglich vertragliche und gesetzliche Pflichten – wie das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme – konkretisiert (Schmidt-Futterer/Eisenschmid a.a.O. Rn. 379). So kann der Vermieter bei Bedarf nicht nur die Kehrwoche im Treppenhaus einseitig regeln oder Regeln über die ordnungsgemäße Verwaltung und Bewirtschaftung aufstellen oder ändern (Schmidt-Futterer/Eisenschmid ebd.), sondern auch Regelungen zum Rauchen im und um das Haus aufstellen.
Von dieser Befugnis haben die Vermieter M. aus gegebenem Anlass, nämlich dem Streit der Parteien um das Rauchen im Freien, durch Schreiben vom 01.06.2015 (Anl. K3, Bl. 11 d.A.) in zulässiger Weise Gebrauch gemacht und rauchfreie Zeiten festgelegt. Folglich ist es nicht mehr nötig, dass das Gericht die Details des Zusammenlebens im Haus in Bezug auf das Rauchen festlegt. Ob die Klägerin zuvor einem Verhandlungsergebnis bei der Versammlung der Hausgemeinschaft zugestimmt hat, spielt keine Rolle mehr, denn diese Einigung ist überholt.
In die Hausordnung und die von Vermieterseite festgelegten rauchfreien Zeiten könnte das Gericht nur eingreifen, wenn die Festlegungen Vermieterseite ermessensfehlerhaft wären (§ 315 BGB; vgl. Schmidt-Futterer/Eisenschmid, a.a.O.). Das ist hier nicht der Fall. Es ist nicht ersichtlich, dass die im Schreiben vom 01.06.2015 festgelegten rauchfreien Zeiten willkürlich wären oder die Interessen der Kläger überhaupt nicht oder völlig unzureichend berücksichtigten.
Die Regelung des Vermieters aus dem Jahr 2015 ist ersichtlich darum bemüht, vor allem während der Freizeit der erwerbstätigen Bevölkerung jeder Mietpartei „ihren“ Zeitraum zu sichern, in denen ungestört geraucht oder vom Rauch ungestört im Freien gesessen werden kann. In die Abwägung ist einbezogen, dass mehr Nichtraucher als Raucher im Haus leben, wie die Begründung zeigt. Eine mathematische Gleichheit der rauchfreien Zeiten kann und muss es daher nicht geben, vor allem, weil die Kläger nicht in jeder Minute der „Raucherzeit“ (d.h. der zum Rauchen freigegebenen Zeit) mit erheblichem Rauch auf ihrem Balkon rechnen müssen. Das zeigt sich an der selbst vorgelegten Liste (Anl. K 2), wenn man deren Richtigkeit einmal unterstellt. Denn danach haben es auch alle Beklagten gemeinsam an den Tagen mit dem häufigsten Rauchgeruch (z.B. 06.06. und 07.06.2016) nach Behauptung der Kläger nicht geschafft, mehr als 20 mal am Tag zu rauchen. Bei ca. 5 Minuten je Zigarette wären danach gut 1,5 Stunden von insgesamt 16 wachen Stunden eines Tages „belastet“ gewesen, der Rest aber nicht. Insofern genügt es, wenn weniger als die Hälfte der Stunden des Tages von dem Rauchverbot erfasst sind.
Hinzu kommt, dass es von subjektiven Einschätzungen und der jeweiligen Situation im Haus abhängt, wieviel Zeit welcher Interessengruppe zuzugestehen ist. Es gibt kein objektives „richtig“ oder „falsch“ bzw. „ausreichend“ oder „ungenügend“. Es kommt daher auch nicht darauf an, ob das Gericht dieselben Zeiträume gewählt hätte oder etwas großzügigere rauchfreie Zeiten als angemessen angesehen hätte. Dem Vermieter steht ein nicht zu enger Beurteilungsspielraum zu. Auch wenn die Vermieterregelung so ausgefallen wäre, dass nur an sieben bzw. neun Stunden pro Tag das Rauchen im Freien erlaubt (statt verboten) wäre, so wäre sie nicht zu beanstanden.
Dass es zunächst dem Vermieter vorbehalten bleiben muss, das Zusammenleben im Haus zu regeln, ehe die Gerichte bemüht werden, ergibt sich auch daraus, dass die Hausordnung flexibel bleiben und auf geänderte Zusammensetzungen und Bedürfnisse der Hausgemeinschaft reagieren können muss. Das zeigt der vorliegende Sachverhalt. Der Vermieter muss prüfen und abwägen können, ob neue Regelungen nötig sind, ob sich einmal getroffene Regelungen bewähren oder ob sie angepasst werden müssen, um den Hausfrieden zu wahren. So wäre es keineswegs ausgeschlossen, dass die Vermieter M. den vorliegenden Streit zum Anlass nehmen, ihre Regelung aus dem Jahr 2015 noch einmal zu ändern und z.B. die Vergleichsregelung zwischen den Klägern und den Beklagten Ziff. 3 und 4 für alle Mieter zu übernehmen, weil diese – wie sich gezeigt hat – unter mehreren Beteiligten einigungsfähig ist und daher möglicherweise besser für Ruhe im Haus sorgt als die bisherige. Dies einzuschätzen ist aber – wie bereits ausgeführt – nicht Sache des Gerichts, sondern der Vermieter innerhalb von deren pflichtgemäßem Ermessen.
c) Ein Unterlassungsanspruch gegenüber den Beklagten Ziff. 1 und 2 ergibt sich auch nicht daraus, dass die Beklagten sich nicht an die Vermieterregelung von 2015 gehalten haben. Die Kläger behaupten Verstöße und listen das in Anl. K 2 auch teilweise auf. Die Beklagten bestreiten es aber. Den nötigen sog. Vollbeweis konnten die Kläger nicht führen. Denn die Angaben der Klägerin im Rahmen der persönlichen Anhörung im Ortstermin dazu, wie die Liste zustande gekommen ist, und die Liste selbst reichen nicht aus, um das Gericht vollständig davon zu überzeugen, dass nur die klägerische Darstellung richtig ist. Das Gericht ist nicht überzeugt, dass zu jedem der aufgelisteten Zeitpunkte in nennenswertem Umfang wahrnehmbarer Rauchgeruch auf den Balkon oder in die Wohnung der Klägerin gelangt ist, der für einen Unterlassungsanspruch ausreichen würde. Unerhebliche Mengen an Rauch bleiben dabei nämlich außer Betracht, denn die Rauchzeiten-Regelung dient keinem Selbstzweck. Eine Auflistung, wann jemand geraucht hat, ist daher nur von eingeschränkter Aussagekraft. Nur wenn die Kläger innerhalb der von Vermieterseite festgelegten rauchfreien Zeiten konkret beeinträchtigt und von Rauch belästigt worden wären, wäre die Hausordnung verletzt und Anlass, die Beklagten gerichtlich zur Unterlassung anzuhalten.
2. Ein Unterlassungsanspruch ergibt sich auch nicht aus §§ 1004 analog, 823 Abs. 1 BGB wegen drohender gesundheitlicher Beeinträchtigungen der Kläger. Dass Passivrauchen potentiell gesundheitsschädlich ist, reicht nicht aus. Der Bundesgerichtshof stützt auf die Nichtrauchergesetze des Bundes und der Länder, die das Rauchen in Gebäuden und umschlossenen Räumen regeln, den Erfahrungssatz, dass Rauchen im Freien im Grundsatz zunächst einmal andere Personen nicht schädigt. Ein Unterlassungsanspruch kommt nur in Frage, wenn der Betroffene dieses Indiz durch nachgewiesene Umstände erschüttern kann (BGH a.a.O., Tz. 25 ff.). Dazu muss aufgrund der besonderen Verhältnisse vor Ort im konkreten Fall der fundierte Verdacht bestehen, dass Feinstaubpartikel die Gesundheit der Nachbarn gefährden. Dazu sind in der Regel Feinstaubmessungen notwendig, mit denen festgestellt worden ist, welche Mengen an toxischen Partikel auf den Balkon bzw. in die Wohnung gelangen. Solche Messergebnisse können die Kläger nicht vorlegen. Sie beschränken sich darauf, auf allgemeine Untersuchungen zum Passivrauchen hinzuweisen. Ein solcher allgemeiner Verdacht reicht aber nicht aus, um das genannte Indiz zu erschüttern. Bei dieser Sachlage ein Sachverständigengutachten einzuholen hieße, von Amts wegen nach einer Gesundheitsgefahr zu forschen. Das verbietet sich im Zivilprozess von selbst.
3. Fehlt es bereits aus vorgenannten Gründen an Unterlassungsansprüchen, braucht nicht aufgeklärt zu werden, inwieweit der Kläger Ziff. 2 vom Rauch der Beklagten überhaupt selbst betroffen ist. Ebenso kann offen bleiben, wie viele Zigaretten die Beklagten Ziff. 1 und 2 täglich auf dem Grundstück rauchen und wie viel Rauch konkret auf den Balkon und in die Wohnung der Kläger gelangt.
4. Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 708 Nr. 11, 711 S. 1 ZPO. Im Rahmen der Kostenentscheidung hat das Gericht die Kostenregelung im Vergleich zwischen den Klägern und den Beklagten Ziff. 3 und 4 analog § 91a ZPO berücksichtigt.