LG Flensburg – Az.: 1 S 88/17 – Urteil vom 20.02.2018
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Schleswig vom 06.10.2017, Az. 21 C 87/17, wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die gegen ihn gerichtete Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 3.626,28 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Parteien streiten um Ansprüche auf Räumung und Herausgabe einer Mietwohnung.
Mit Vertrag vom 17.08.2015 mietete die Beklagte zum 01.10.2015 die streitgegenständliche Wohnung von der Rechtsvorgängerin des Klägers. Der Kläger trat auf Grund Eigentumserwerbs zum 01.03.2016 als Vermieter in das bestehende Mietverhältnis ein.
Im Mai oder Juni 2016 kam es zu einem Wasserschaden. Wasser lief aus der darüber befindlichen Wohnung herunter und führte zu Schäden in der streitgegenständlichen Wohnung. In der Küche fielen Tapeten großflächig von der Wand ab und es bildete sich Schimmel. Die Bodenleiste der Einbauküche wurde durch das eindringende Wasser ebenso beschädigt wie der PVC-Fußbodenbelag, der sich ablöste. Im Badezimmer der Wohnung fiel Putz ab und es bildete sich ebenfalls Schimmel.
Die Mieten für die Monate Januar und Februar 2017 zahlte die Beklagte nicht. Mit Schreiben vom 06.02.2017 erklärte der Kläger die außerordentliche Kündigung des Mietverhältnisses und forderte die Beklagte zur Räumung und Herausgabe der Mietwohnung auf. Mit Schreiben vom 16.02.2017 wies die Beklagte den Kläger auf die genannten Feuchtigkeitsprobleme hin. Ob sie eine entsprechende Mängelanzeige bereits im zeitlichen Zusammenhang mit dem Auftreten der Feuchtigkeitserscheinungen an die für den Kläger tätige Hausverwaltung gerichtet hatte, ist zwischen den Parteien streitig.
Wegen der übrigen Einzelheiten zu den tatsächlichen Feststellungen wird auf das amtsgerichtliche Urteil vom 06.10.2017 (Bl. 83ff. d.A.) Bezug genommen.
Das Amtsgericht hat die Klage per Versäumnisurteil vom 11.07.2017 abgewiesen und jenes durch Urteil vom 06.10.2017 aufrechterhalten. Der Kläger könne Räumung und Herausgabe nicht verlangen, da kein Kündigungsrecht nach § 543 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 BGB bestanden habe. Zwar habe die Beklagte die Mieten von jeweils 489,19 € brutto für die Monate Januar und Februar 2017 nicht gezahlt. Hinsichtlich der in der Bruttomiete jeweils enthaltenen Heiz- und Betriebskostenvorauszahlungen (187,00 €) sei die Beklagte zur Zurückbehaltung berechtigt gewesen, da ihr für das Abrechnungsjahr 2015 bis zum 31.12.2016 keine Abrechnung erteilt worden sei. In solchen Fällen sei der Mieter durch Zurückbehaltung der Vorauszahlungen gehalten, seinen Anspruch auf Abrechnung durchzusetzen. Hinsichtlich der weiteren Beträge in Höhe von zwei Nettokaltmieten sei die Beklagte gemäß § 320 Abs. 1 BGB zur Zurückbehaltung der Miete gerechtfertigt gewesen. Unerheblich sei dabei, dass ein Minderungsrecht ggf. gemäß § 536c Abs. 2 Nr. 1 BGB ausgeschlossen gewesen sei, da die Beklagte die Mängel womöglich verspätet, mit Schreiben vom 16.02.2017, angezeigt habe. Das berühre nicht die Verpflichtung des Vermieters auf Zurverfügungstellung der Mietsache in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand. Werde dieser Pflicht nicht nachgekommen, könne der Mieter die Einrede des nicht erfüllten Vertrags gemäß § 320 Abs. 1 BGB erheben. Dauer und Höhe richteten sich nach den Umständen des Einzelfalls in Verbindung mit § 242 BGB. Maßgebende Umstände zur Begrenzung der Dauer und der Höhe nach seien die Bedeutung des Mangels, der Beseitigungsaufwand und das Verhalten der Vertragsparteien. Die durch Inaugenscheinnahme bestätigten Mängel in der Küche der Wohnung rechtfertigten den Einbehalt von insgesamt zwei Kaltmieten (604,38 €), da erhebliche Dekorationsmängel und Schimmelverfärbungen bestünden. Die Mangelbeseitigungskosten seien auf jedenfalls 600,00 € zu schätzen. Der Einbehalt sei umso mehr gerechtfertigt, als seit der jedenfalls im Februar 2017 erfolgten Mängelanzeige bislang keine ernsthaften Bemühungen zur Schadensbeseitigung unternommen worden seien.
Gegen das am 09.10.2017 zugestellte Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt. Die Berufungsschrift ist dem Landgericht vorab per Fax übermittelt worden. Der Schriftsatz trägt einen Eingangsstempel der Wachtmeisterei vom 10.11.2017 mit der Uhrzeit 06:31 Uhr. Die Kopfzeile des Faxschreibens weist als Datum und Uhrzeit den 09.11.2017, 17:03 Uhr aus. Das Empfangsprotokoll des Faxgeräts weist die Faxnummer der Klägervertreter nicht aus.
Mit der Berufung beanstandet der Kläger, dass der Beklagten kein Zurückbehaltungsrecht hinsichtlich der Betriebskostenvorauszahlungen zugestanden hätte. Diese Fragestellung sei erstinstanzlich zu keiner Zeit thematisiert worden. Der Kläger sei zu einer Abrechnung über die Betriebskosten für das Abrechnungsjahr 2015 auch nicht verpflichtet gewesen, da er die streitgegenständliche Immobilie erst zum 16.03.2016 zu Eigentum erworben habe. Zur Zurückbehaltung weiterer Beträge sei die Beklagte ebenfalls nicht berechtigt gewesen. Ein Zurückbehaltungsrecht gemäß § 320 Abs. 1 BGB habe ihr nicht zugestanden, da sie ihn jedenfalls zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Monatsmieten Januar und Februar 2017 nicht auf Mängel hingewiesen gehabt hätte. Das Zurückbehaltungsrecht des Mieters sei in solchen Fällen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ausgeschlossen (BGH, NJW-RR 2011, 447, 448).
Der Kläger beantragt,
1. das Versäumnisurteil vom 11.07.2017 aufzuheben,
2. die Beklagte zu verurteilen, die Wohnung, belegen E.-straße XX, XX S., 2. OG links, Wohnfläche ca. 71,95 m², an die Beklagte seit dem 01.10.2015 vermietet, an den Kläger herauszugeben.
Die Beklagte beantragt, die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
Die Beklagte hält die Berufung für unzulässig. Die Fristen zur Berufungseinlegung und -begründung seien nicht eingehalten worden. Im Übrigen verteidigt die Beklagte das amtsgerichtliche Urteil.
Mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 31.01.2018 hat der Kläger nach Durchführung des Verhandlungstermins in der Berufungsinstanz weiter zur Sache vorgetragen.
II.
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Die Berufung ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt und begründet worden.
a) Gemäß § 517 ZPO ist die Berufung innerhalb eines Monats ab Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils – hier erfolgt am 09.10.2017 – einzulegen. Diese Voraussetzung ist erfüllt, da die Kammer insoweit entgegen dem gerichtlichen Eingangsstempel von einer Übermittlung der Berufungsschrift vorab per Fax noch am 09.11.2017 ausgeht. Zwar erbringt der auf einem Schriftsatz aufgebrachte Eingangsstempel als öffentliche Urkunde im Sinne des § 418 Abs. 1 ZPO grundsätzlich Beweis dafür, dass ein Schriftsatz erst an dem im Stempel angegebenen Tag beim Berufungsgericht eingegangen ist. Hiergegen ist jedoch gemäß § 418 Abs. 2 ZPO der im Wege des Freibeweises zu führende Gegenbeweis zulässig (BGH, Urteil vom 31.05.2017, VIII ZR 224/16, NJW 2017, 2285). Diesen Beweis hat der Kläger erfolgreich geführt. Die Klägervertreter haben nach entsprechendem Hinweis der Kammer den Sendebericht ihres Faxgeräts und einen Auszug aus der Gesprächsdatenliste ihrer Telefonanlage vorgelegt. In beiden Dokumenten wird die Übermittlung eines Faxschreibens an die Faxzentrale in der Wachtmeisterei des Landgerichts Flensburg noch am 09.11.2017 um 17:03 Uhr bestätigt. Diese Anhaltspunkte genügen der Kammer, um von einer Übermittlung der Berufungsschrift noch am 09.11.2017 auszugehen. Ganz offensichtlich ist der Eingangsstempel in der Wachtmeisterei, datierend auf den 10.11.2017, für alle Eingänge per Fax vergeben worden, die nach Dienstschluss am 09.11.2017 (je nach Tag um 16:00 Uhr, bzw. um 15:30 Uhr) und vor Dienstbeginn am Folgetag (06:30 Uhr) eingegangen sind. Dass der Schriftsatz in diesem Zeitraum tatsächlich in der Wachtmeisterei eingegangen sein muss, ergibt sich daraus, dass der Schriftsatz neben besagtem Eingangsstempel eine Unterschrift des diensthabenden Wachtmeisters und den Vermerk der Uhrzeit (06:31 Uhr) trägt.
b) Die Berufungsbegründungsfrist ist ebenfalls gewahrt. Die Frist beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, § 540 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Diese Frist ist gewahrt, da das Urteil am 09.10.2017 zugestellt und die Berufungsbegründung am 11.12.2017 per Fax vorab beim Landgericht eingegangen ist. Die Frist hat gemäß § 222 Abs. 2 ZPO mit dem 11.12.2017 geendet, da es sich bei dem 09.12.2017 um einen Sonnabend gehandelt hat und in solchen Fällen die Frist mit Ablauf des nächsten Werktags endet.
2. Die Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
a) Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Mietwohnung, da die Kündigung das Mietverhältnis nicht beendet hat. Ein die außerordentliche Kündigung eines Mietverhältnisses rechtfertigender Mietrückstand ist im hier gegebenen Fall des Zahlungsrückstands bei zwei aufeinanderfolgenden Terminen gegeben, wenn der Mieter mit der Entrichtung eines nicht unerheblichen Teils der Miete in Verzug ist. Ein solcher liegt vor, wenn der Rückstand die Miete für einen Monat übersteigt, §§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit.) a), 569 Abs. 3 Nr. 1 BGB. Diese Voraussetzung ist hier im Zeitpunkt des Abfassens der Kündigungserklärung nicht gegeben gewesen. Der Mietrückstand hat sich in diesem Zeitpunkt allenfalls auf einen Betrag von 198,38 € belaufen und damit eine Monatsmiete unterschritten.
Die Beklagte ist zum Einbehalt des überschießenden Teils der Miete, hier in Höhe von 780,00 €, auf Grund der Einrede des nicht erfüllten Vertrags berechtigt gewesen, § 320 Abs. 1 Satz 1 BGB. Nach dieser Vorschrift kann, wer aus einem gegenseitigen Vertrag verpflichtet ist, die ihm obliegende Leistung bis zur Bewirkung der Gegenleistung verweigern, es sei denn, dass er vorzuleisten verpflichtet ist.
Die Vorschrift ist anwendbar. Die in § 3 Abs. 2 des Mietvertrags aufgenommene Fälligkeitsklausel, die der gesetzlichen Regelung in § 556b Abs. 1 BGB entspricht, statuiert keine echte Vorleistungspflicht, sondern beinhaltet eine bloße Fälligkeitsklausel, die die Anwendbarkeit des § 320 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht ausschließt (BGH, Urteil vom 17.06.2015, VIII ZR 19/14, NZM 2015, 618, 622 Tz. 49; zum Meinungsstand: Flatow, NZM 2017, 273, 274f.).
Die Höhe des Leistungsverweigerungsrechts gemäß § 320 Abs. 1 Satz 1 BGB muss in einer angemessenen Relation zur Bedeutung des Mangels stehen, wobei eine allgemein gültige Regel zur Bemessung nicht existiert (BGH, Urteil vom 17.06.2015, VIII ZR 19/14, NJW 2015, 3087). Nach den nicht zu beanstandenden Feststellungen des Amtsgerichts, die auf der während eines Ortstermins durchgeführten Inaugenscheinnahme basieren, werden sich die Mangelbeseitigungskosten auf einen Betrag von rund 600,00 € belaufen. Unter Hinzufügung eines geringen Druckzuschlags von 30 % ist das Zurückbehaltungsrecht der Beklagten mit 780,00 € ausreichend bemessen. Dabei ist berücksichtigt, dass es sich bei einem Mietverhältnis um ein Dauerschuldverhältnis handelt, das nicht dadurch gestört werden darf, dass der Mieter etwa für einen längeren Zeitraum überhaupt keine Miete entrichtet. Zusätzlich geschützt ist der Mieter dadurch, dass er für bereits abgelaufene Zeitraume bloß eine geminderte Miete zu zahlen hat. Die Zugrundelegung eines Einbehalts in geringerer Höhe erscheint vorliegend nicht angemessen, da durch das Zurückbehaltungsrecht ein gewisser Druck auf den Vermieter zur Durchführung der Mangelbeseitigungsarbeiten ausgeübt werden soll. Ein solcher Druck wäre bei den hier vorzunehmenden Reparaturarbeiten, die noch von geringerem Umfang sind, nicht gegeben, wenn der Einbehalt die Mängelbeseitigungskosten nicht überschreiten würde. Dass der Druck im vorliegenden Fall erforderlich gewesen ist, zeigt sich schon daran, dass der Kläger trotz Einbehalts weiterer Beträge nicht zur Durchführung einer angemessenen Mängelbeseitigung zu bewegen war. Das Amtsgericht hat noch während des durchgeführten Ortstermins am 20.09.2017 keine befriedigende Beseitigung der Mängel feststellen können.
Die Beklagte war berechtigt, sich auf ein Leistungsverweigerungsrecht aus § 320 Abs. 1 Satz 1 BGB zu berufen, weil der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum seiner Gebrauchsüberlassungspflicht nicht in vollem Umfang nachgekommen ist. Diese aus § 535 Abs. 1 Satz 2 BGB resultierende Hauptleistungspflicht des Vermieters stellt eine in die Zukunft gerichtete Dauerverpflichtung dar. Sie erschöpft sich nicht in der einmaligen Handlung des Überlassens, sondern geht dahin, die Mietsache während der gesamten Mietzeit in einem gebrauchstauglichen Zustand zu erhalten. Der aus § 535 Abs. 1 Satz 2 BGB folgende Erfüllungsanspruch des Mieters kann dem Vermieter – neben der Minderung – grundsätzlich gem. § 320 BGB entgegengehalten werden (BGH, Urteil vom 17.06.2015, aaO.).
Entgegen der Ansicht des Bundesgerichtshofs kann ein Mieter das Leistungsverweigerungsrecht auch an solchen Mieten geltend machen, die in dem Zeitpunkt, in dem der Mieter dem Vermieter Mängel anzeigt, bereits fällig sind (a.A.: BGH, Urteil vom 03.11.2010, VIII ZR 330/09, NJW-RR 2011, 447).
Der Bundesgerichtshof begründet seine Ansicht damit, das Leistungsverweigerungsrecht könne seine Funktion auf einen Schuldner Druck auszuüben nicht erfüllen, solange dem Vermieter ein Mangel nicht bekannt sei. Daher sei die Geltendmachung für einen Zeitraum, in dem der Mieter den Mangel nicht angezeigt hatte, nach Treu und Glauben ausgeschlossen. Zum anderen sei die unterlassene Mängelanzeige eine Vertragsverletzung, die nicht dazu führen dürfe, dass der Mieter eine Kündigung des Vermieters hinauszögern oder verhindern könnte.
Diese Begründung überzeugt die Kammer nicht, da die Rechtsfolgen einer unterlassenen Mängelanzeige in § 536c Abs. 2 Satz 1 BGB erschöpfend und befriedigend geregelt sind. Nach § 536c Abs. 2 Satz 1 BGB ist der Mieter dem Vermieter zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der jenem durch die Verletzung der Anzeigepflicht entsteht. Dazu gehört zum einen der Schaden, der entstehen kann, wenn infolge der fehlenden Anzeige die Mangelbeseitigung und damit der Eingang der Miete verzögert wird. Die Verfahrenskosten für einen Räumungsprozess, den der Vermieter in der Meinung angestrengt hat, es bestünden Mietrückstände in größerer Höhe, können nach Erledigungserklärung dem Mieter auferlegt werden, der die Kosten verursacht hat (zum Ganzen: Blank, in: Schmidt-Futterer, 13. Auflage, 2017, § 543 Rn. 99b, m.w.N. zum Meinungsstand).
Mit der Auffassung des Bundesgerichtshofs wird damit nach Meinung der Kammer nicht ausreichend berücksichtigt, dass das Minderungsrecht des Mieters und das Leistungsverweigerungsrecht nebeneinander stehen und eine unterlassene Mängelanzeige nicht per se Auswirkung auf die Möglichkeit der Geltendmachung des Leistungsverweigerungsrechts haben kann. Ein Leistungsverweigerungsrecht dient nicht lediglich der Druckausübung auf den Vertragspartner. Es hat vielmehr eine Doppelfunktion und soll auch den ordnungsgemäßen Erhalt der Leistung sichern (Grüneberg, in: Palandt, BGB, 77. Auflage, 2018, § 320 Rn. 1). Diese Funktion kann die Einrede des nicht erfüllten Vertrags jedenfalls dann noch erfüllen, wenn der aktuelle Monat zu einem nennenswerten Teil noch nicht verstrichen, eine Anspruchsdurchsetzung also nicht völlig unrealistisch erscheint. So liegt der Fall hier, da die Beklagte die Mängelanzeigen unstreitig jedenfalls mit Schreiben vom 16.02.2017 vorgenommen hat.
Zudem berücksichtigt die Auffassung des Bundesgerichtshofs nicht, dass sie mit der grundsätzlichen Rechtsfolge des § 320 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht im Einklang steht. Bereits das bloße objektive Bestehen des Leistungsverweigerungsrechts hindert den Eintritt des Schuldnerverzugs (BGH, Urteil vom 07.05.1982, V ZR 90/81, NJW 1982, 2242; Grüneberg, in: Palandt, 77. Auflage, 2018, § 320 Rn. 12). Der Geltendmachung einer Einrede bedarf es dabei – anders als bei einem Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 BGB – grundsätzlich nicht (Grüneberg, aaO.). Für eine grundsätzliche Korrektur dieser Rechtsfolge auf Basis des § 242 BGB besteht vorliegend kein Bedarf, da der Vermieter – wie oben ausgeführt – durch die Regelungen in § 536c Abs. 2 BGB ausreichend geschützt ist.
Die Befürchtung, die Annahme eines Leistungsverweigerungsrechts gemäß § 320 Abs. 1 BGB würde in den Fällen unterlassener Mängelanzeigen dazu führen, eine Kündigung des Vermieters könnte hinausgezögert oder verhindert werden, teilt die Kammer nicht. Durch die oben wiedergegebene Rechtsprechung zur Begrenzung des Leistungsverweigerungsrechts gem. § 320 Abs. 1 BGB der Höhe nach ist sichergestellt, dass die Möglichkeit außerordentlicher Kündigung des Mietverhältnisses zwar um eine gewisse, jedoch sehr begrenzte Zeit hinausgeschoben wird. Damit kann auch dem Argument des Klägervertreters aus der Berufungsverhandlung begegnet werden, die Rechtsansicht der Kammer führe dazu, dass mit einer Kündigung volle zwei Monate abgewartet werden müssten. Dass ein etwas längerer Zeitraum abgewartet werden muss, ist zwar im Grundsatz richtig. Dabei muss jedoch berücksichtigt werden, dass ein solches Zuwarten eben entbehrlich gewesen wäre, wenn der Vermieter durchweg eine mangelfreie Mietsache zur Verfügung gestellt hätte. Dass er von der Mangelhaftigkeit der Mietsache in aller Regel bis zur Mängelanzeige des Mieters nichts weiß, steht der Möglichkeit des Mieters, sich auf das Leistungsverweigerungsrecht zu berufen nicht entgegen. Der Vermieter läuft bei unterlassener Mängelanzeige auf Grund des Ausschlusses des Minderungsrechts gemäß § 536c Abs. 2 Nr. 1 BGB für die bereits verstrichene Zeit keine Gefahr, dass er Mietansprüche rückwirkend einbüßen würde. Vielmehr hat das Leistungsverweigerungsrecht die Funktion, den Schuldner zur Durchführung der Leistung anzuhalten. Der vollständige Betrag ist auszukehren, sobald diese Funktion nicht mehr erfüllt werden kann, etwa wenn die Mangelbeseitigung tatsächlich erfolgt ist oder hieran kein Interesse mehr besteht, weil etwa das Mietverhältnis zwischenzeitlich beendet worden ist.
Die Kammer übersieht dabei nicht, dass das Leistungsverweigerungsrecht aus § 320 Abs. 1 Satz 1 BGB grundsätzlich die eigene Vertragstreue voraussetzen (Grüneberg, in: Palandt, BGB, 77. Auflage, 2018, § 320 Rn. 6). Diese ungeschriebene, aber allgemein anerkannte Voraussetzung des Leistungsverweigerungsrechts soll sicherstellen, dass der Schuldner weiterhin am Vertag festhält, sich also nicht beabsichtigt von jenem zu lösen. So liegt der Fall hier. Die Beklagte ist nach den obigen Ausführungen vertragstreu gewesen, da sie lediglich die Zahlungen solcher Monatsmieten nicht vorgenommen hat, deren Fälligkeit auf Grund der objektiv gegebenen Voraussetzungen des § 320 Abs. 1 Satz 1 ohnehin suspendiert war. Die etwaige Pflichtverletzung, die darin liegen könnte, dass die Beklagte die Mängel nicht bereits zuvor angezeigt haben mag, kann das Leistungsverweigerungsrecht nicht ausschließen, da die hieran geknüpften Sanktionen – wie ausgeführt – in § 536c Abs. 2 BGB abschließend geregelt sind. Die Kammer hat im Übrigen keinen Zweifel daran, dass die Beklagte den Einbehalt in der Meinung vorgenommen hat, die Mängel bereits lange Zeit zuvor gegenüber der für den Kläger tätigen Hausverwaltung angezeigt zu haben. Aus ihrem Schreiben vom 16.02.2017 geht hervor, dass bereits zu diesem Zeitpunkt Mängelbeseitigungsversuche durch den für diese Hausverwaltung tätigen Hausmeister vorgenommen worden sind.
Dem Kläger musste vorliegend deutlich sein, dass der Beklagten am Erhalt einer mangelfreien Leistung gelegen war. Sie hat sich jedenfalls schlüssig bereits vor Erhebung der Räumungsklage auf das Leistungsverweigerungsrecht aus § 320 Abs. 1 Satz 1 BGB berufen. Im Schreiben vom 16.02.2017 führt die Beklagte nach Auflistung der Beanstandungen aus, sie fühle sich berechtigt einen Teil der Miete zurückzuhalten, da „hier nichts gemacht“ werde.
Nach allem kam es nicht auf die Klärung der zwischen den Parteien streitigen Frage an, ob Mängelanzeigen bereits im zeitlichen Zusammenhang mit dem Auftreten der Mängel im Mai oder Juni 2016 erfolgt sind.
b) Zum Einbehalt weiterer Beträge ist die Beklagte nicht berechtigt gewesen. Insbesondere hat ihr gegenüber dem Kläger kein Zurückbehaltungsrecht hinsichtlich der Betriebskostenvorauszahlungen zugestanden. Zwar hatte die Beklagte im Januar 2017 noch keine Betriebskostenabrechnung hinsichtlich der Betriebskosten des Abrechnungsjahres 2015 erhalten. Der Wechsel des Vermieters nach Ablauf der Abrechnungsperiode berührt die Abrechnungspflicht des früheren Vermieters jedoch nicht. Der Mieter kann vom Erwerber der Mietwohnung für die vor dessen Eigentum liegenden Abrechnungszeiträume keine Abrechnung verlangen. Einem Mieter ist damit zwangsläufig auch das Zurückbehaltungsrecht aus § 273 BGB hinsichtlich der an den Erwerber zu entrichtenden laufenden Vorauszahlungen abgeschnitten (Langenberg/Zehelein, Betriebskosten- und Heizkostenrecht, 8. Auflage, 2016, Kap. I. Rn. 28f.; Streyl, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 13. Auflage, 2017, § 566 Rn. 113).
c) Ob das der Beklagten zur Überzeugung der Kammer zur Seite stehende Leistungsverweigerungsrecht es gerechtfertigt hat bis heute einen Betrag von knapp 4.700,00 € einzubehalten, bedurfte keiner Entscheidung. Weitere Rückstände sind durch den Kläger nicht zum Gegenstand des Rechtsstreits gemacht worden, da weitere Kündigungen des Mietverhältnisses nicht erklärt worden sind.
3. Der Vortrag im nicht nachgelassenen Schriftsatz des Klägers vom 31.01.2018 hat eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nicht erforderlich gemacht, §§ 296a, 156 ZPO. Die darin enthaltene Rechtsansicht stellt eine Wiederholung der bereits in der Berufungsbegründung enthaltenen Ausführungen dar und ist – wie oben ausgeführt – in der Berufungsverhandlung erörtert worden. Die Kammer hat ihre vorläufige Rechtsansicht, die nun Gegenstand dieses Urteils geworden ist, in der Verhandlung dargestellt.
Ein Schriftsatznachlass war dem Kläger nicht zu bewilligen. Die Ausführungen der Beklagten, die in der Berufungsverhandlung lediglich präzisiert worden sind, sind zudem nicht Gegenstand der Entscheidung der Kammer geworden.
4. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 7, 711 ZPO.
Die Zulassung der Revision basiert auf der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO. Es liegt eine klärungsbedürftige Frage vor, die sich in einer unbestimmten Vielzahl weiterer Fälle stellen kann. Nachdem der Bundesgerichtshof eine Rechtsfrage geklärt hat, kann sich weiterer Klärungsbedarf ergeben, wenn nicht nur einzelne Instanzgerichte oder Literaturstimmen der Auffassung des BGH weiterhin widersprechen oder wenn neue Argumente ins Feld geführt werden, die den BGH zu einer Überprüfung seiner Auffassung veranlassen können (Ball, in: Musielak/Voit, ZPO, 14. Auflage, 2017, § 543 Rn. 5a).