AG Bremen, Az.: 5 C 135/15. Urteil vom 30.04.2015
1.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.
2.
Die Verfügungsklägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Verfügungsklägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung der Verfügungsbeklagten wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Verfügungsbeklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
4.
Der Streitwert wird auf € 5.280,00 festgesetzt.
Tatbestand
Die bei ihren 80jährigen Eltern lebende 43jährige Verfügungsklägerin nimmt die im selben Haus wohnenden Verfügungsbeklagten (65 und 74 Jahre alt) auf Räumung von Wohnraum im einstweiligen Verfügungsverfahren in Anspruch.
Die Eltern der Verfügungsklägerin, die unvernommen gebliebenen sistierten Zeugen H. + U. H., mieteten zum 01.05.1972 sämtliche Räume des Obergeschosses sowie den ausgebauten Boden im Zweifamilienhaus in der …straße in Bremen an. Sie dürfen zudem den Trockenraum im Keller mitnutzen.
Ebenfalls seit ca. 30 Jahren sind die Verfügungsbeklagten Mieter der unteren Räume in dem Haus in der …straße in Bremen. Ihnen steht zudem neben den allgemein zugänglichen Räumen im Keller ein eigener Kellerraum zur alleinigen Nutzung zur Verfügung.
Die Parteien und die Eltern der Verfügungsklägerin leben seit Jahren im Streit.
Vor einiger Zeit kam es zu einem Einbruchsversuch oder gar Einbruch im Haus. Die Verfügungsbeklagten brachten danach in ihrem Kellerraum, aus dem nach ihrer Behauptung später auch teure Champagnerflaschen entwendet worden seien, eine Videokamera an. Ob auch, in den Gemeinschaftsbereich gerichtet, eine weitere Kamera mit Richtmikrofon oder nur eine Kamera-Attrappe außen über der Eingangstür zu ihrem Kellerraum von den Verfügungsbeklagten installiert wurde, ist zwischen den Parteien streitig. Zumindest diese in den Gemeinschaftsbereich ausgerichtete Kamera bzw. Attrappe ist der Verfügungsklägerin und ihren Eltern ein Dorn im Auge, so dass der Streit sich wieder verschärfte und die Kamera regelmäßig weggedreht und von den Verfügungsbeklagten wieder ausgerichtet wird.
Der Vermieter wurde und wird von den Parteien über Vorkommnisse zwischen ihnen unterrichtet. Es kam auch bereits zu Polizeieinsätzen, so zuletzt in der Nacht von Ostersonntag auf Ostermontag. Aus dem Tätigkeitsbericht der Polizei vom 06.04.2015, 00:20 Uhr, geht u.a. hervor:
„(…) Dort erwarteten uns bereits der Betroffene H. sowie seine Frau und Tochter in dessen Wohnung. Alle Personen waren äußerst aufgebracht und standen offensichtlich unter dem Einfluss des Erlebten. Herr H. schilderte gegenüber dem Berichtenden sinngemäß folgendes:
Wir haben schon eine sehr lange Zeit mit unseren Nachbarn unten Streit. Sie sind auch nicht die erste Polizeistreife, die hierher kommen musste. Es gab bereits ähnliche Vorfälle in der Vergangenheit. Heute Abend war ich im Keller, um nach der Wäsche zu sehen. Ich bemerkte dort eine Kamera, die in den Flur gerichtet war. Ich habe diese dann verstellt, da ich nicht will, dass wir von unseren Nachbarn gefilmt werden. Plötzlich stand mein Nachbar (gemeint der Betroffene D.) hinter mir und blitzte mir mit einer Videokamera mehrfach ins Gesicht. Anschließend gab es ein verbales Wortgefecht und der D. nahm mir gegenüber die Fäuste hoch, als wolle er mich schlagen. Ich bin dann nach oben. Ich kann diesen Zustand in diesem Haus auch einfach nicht mehr ertragen. Diese Leute terrorisieren uns.
Zeitgleich wurde der Betroffene D. durch die Beamten des 6063 zu dem Vorfall befragt. Dieser äußerte lediglich, es gäbe seit geraumer Zeit Streit zwischen den beiden Parteien, aber am heutigen Abend sei, bis auf einer verbalen Auseinandersetzung, nichts gewesen.
Die Parteien wurden angehalten, sich im weiteren Verlauf des Abends und auch in Zukunft aus dem Weg zu gehen.“
Eine Woche nach dem Polizeieinsatz bei Gericht eingehend hat die Verfügungsklägerin das vorliegende Eilverfahren eingeleitet.
Sie behauptet, es gehe von den Verfügungsbeklagten für ihr Leib und Leben eine konkrete Gefahr aus. Ihr Vater und sie seien in der Waschküche des Gemeinschaftskellers von dem Verfügungsbeklagten zu 2) tätlich angegriffen worden. Er sei mit geballter Faust und mit zum Schlag ausgeholtem Arm fuchsteufelswild auf sie mit den Worten: „Ich schlage dir gleich ins Gesicht und zertrümmere deine Brille…“ zugestürmt. Nur weil ihr Vater dabei gewesen sei, habe eine körperliche Verletzung ihrerseits verhindert werden können. Nicht zuletzt auch, weil ihre Familie die Polizei verständigt habe, sei damit zu rechnen, dass der Verfügungsbeklagte zu 2) jetzt noch aggressiver und angriffslustiger werde, wenn sie ihm zukünftig begegne. Sie und ihre Eltern lebten seitdem in ständiger Angst und könnten kaum noch schlafen.
Die Verfügungsklägerin legt für sich und ihren Vater jeweils ein ärztliches Attest vor, in denen u.a. Schlafstörungen, Appetitlosigkeit und ein Erschöpfungszustand im Rahmen eines ständigen häuslichen Konfliktes bescheinigt werden.
Daher sei ihrer Meinung nach ein Fall des § 940a ZPO gegeben.
Die Verfügungsklägerin beantragt, die Verfügungsbeklagten zu verurteilen, die Wohnung im Erdgeschoss des Hauses in der .straße, Bremen, gelegen Wohnung, bestehend aus 3 Zimmern, Essdiele, Küche, Bad, Gäste-WC, 1 Kellerraum, genutztem Kriechkeller sowie 1 Garage zu räumen und an den Vermieter,…, herauszugeben.
Die Verfügungsbeklagten beantragten, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
Nicht der Verfügungsbeklagte zu 2) sei auf die Verfügungsklägerin losgegangen, sondern im Gegenteil sei es der Vater der Verfügungsklägerin gewesen, der auf ihn, den Verfügungsbeklagten zu 2), wutschnaubend, schreiend und schimpfend losgestürmt sei, um ihn, den Verfügungsbeklagten zu 2) zu schlagen. Die Verfügungsklägerin habe nahezu hysterisch geschrien. Er, der Verfügungsbeklagte zu 2), habe niemanden mit erhobenen Fäusten zu schlagen versucht und auch nicht gesagt, dass er gleich eine Brille herunterschlagen werde.
Die Verfügungsbeklagten tragen weiter vor, sie seien in den Keller gegangen, weil sie ein schallendes Geschrei verbunden mit sarkastischem Gelächter von der Verfügungsklägerin und ihrem Vater aus dem Keller vernommen hätten. Sie hätten nachschauen wollen, was los sei und den Vater der Verfügungsklägerin in der Ecke ihres Kellerraumes gesehen. Dieser sei beim unberechtigtem Öffnen der Tür zu ihrem Kellerraum von dem von ihnen in ihrem Kellerraum angebrachten Bewegungsmelder angestrahlt worden. Auch habe die in ihrem Kellerraum angebrachte Kamera mit der Aufzeichnung begonnen. Er, der Verfügungsbeklagte zu 2) habe seine Kamera und den Bewegungsmelder sichern wollen, als der Vater der Verfügungsklägerin wutschnaubend, schreiend und schimpfend auf ihn losgestürmt sei.
Die Verfügungsklägerin legt sodann einen vom Vater geschriebenen Brief vom 20.04.2015, gerichtet an den Vermieter der Parteien, vor. Hierin heißt es u.a.: „(…) Im Schein der Taschenlampe sah ich auch, dass die Kamera an der Kellertür der D. wieder auf den Allgemeinkeller hin ausgerichtet war. In gleicher Weise, wie ich das schon seit fast 1 ½ Jahren regelmäßig gemacht habe und wie uns das auch die Polizei seinerzeit empfohlen hatte, drehte ich in gebührendem Abstand von der Kellertür stehend die Kamera wieder um in Richtung der Kellertür. Doch dieses Mal kam es ganz anders. Die Kellertür öffnete sich weit mit einem knarrenden Geräusch (unheimlich!). Hier muss es einen technischen Kontakt zwischen Kamera und Tür gegeben haben. Ich trat dann bis zur Kellerwand zurück, meine Tochter stand neben mir. Aus dem Keller der D. erschien zunächst ein bläulich flackerndes Licht, das kurz danach wieder erlosch. Dann erstrahlte plötzlich aus dem dunklen geöffneten Keller heraus ein grelles Licht, das uns beide, obgleich wir mehrere Meter von der Kellertür standen, derart blendete, dass wir um uns herum nichts mehr sehen konnten. Wir flüchteten dann in die Waschküche und standen vor unserer Waschmaschine. Als wir über dieses für uns völlig überraschende Ereignis unsere Empörung äußerten, kam Herr D., der zwischenzeitlich ebenfalls unten im Keller erschienen war, in äußerst aggressiver Weise mit schwingenden geballten Fäusten auf mich zugestürzt. In der rechten Faust hielt er ein Mikrofon und in der linken Faust eine Kamera mit aufgesetztem Blendlicht. Er schrie mich mit verzerrtem Gesichtsausdruck an: „Ich sehe und höre alles!“ Als ich ihn energisch aufforderte, das Blendlicht vor meinem Gesicht zu entfernen, brüllte er mir entgegen: „Dann schlagen Sie mir doch das Gerät aus der Hand!“ Was ich natürlich nicht tat. Offensichtlich wollte er mich dazu verleiten, eine falsche Handbewegung zu machen, um dann einen Vorwand zu haben, mich zusammenzuschlagen. Dann wandte er sich meiner neben mir stehenden Tochter zu und brüllte diese an: „Und Dir schlage ich gleich ins Gesicht und zertrümmere Deine Brille!“ Wir befanden uns in einer äußerst bedrohlichen Situation und in akuter Notwehr. Wir schrien ihn an: „Hauen Sie endlich ab, verschwinden Sie und lassen Sie uns in Ruhe!“ Als ob die Lage nicht schon verworren genug wäre, erschien dann auch noch Frau D. im Schlafanzug auf der Bildfläche und mischte sich ins Kampfgetümmel ein. Zunächst stürmte sie auf meine Tochter zu und schrie ihr ins Gesicht: „Du faules und arbeitsscheues Miststück, Du geistig behinderte Kuh, Du Lügnerin und Betrügerin!“ Diese Anwürfe stellen eine ungeheuerliche, kaum zu überbietende Beleidigung dar. Danach griff sie mich an und behauptete, wir seien in ihren Keller eingebrochen. (…)“
Entscheidungsgründe
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Räumungsverfügung nach § 940a ZPO ist zulässig, aber unbegründet.
Nach § 940a Abs. 1 ZPO darf die Räumung von Wohnraum durch einstweilige Leistungsverfügung nur wegen verbotener Eigenmacht oder bei einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben angeordnet werden. Eine verbotene Eigenmacht ist unstreitig nicht gegeben; die Voraussetzungen für die Bejahung einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben liegen nicht vor.
1)
Soweit die Verfügungsklägerin einen Räumungsverfügungsausspruch gegen die Verfügungsbeklagte zu 1) begehrt, ist ihr Vortrag unschlüssig, nämlich welche konkrete Gefahr ihr oder ihren Eltern für Leib oder Leben drohen soll, die gerade von der Verfügungsbeklagten zu 1) ausgeht. Denn in ihrer Antragsschrift vom 13.04.2015 trägt sie vor (Seite 4 letzter Absatz): „Es besteht in dem hier zu beurteilenden Fall eine konkrete, nämlich bereits eingetretene Gefahr für Leib und Leben der Antragstellerin und ihres Vaters. Diese Gefahr geht von dem Antragsgegner, Herrn D., aus, der die Antragstellerin und ihren Vater in der Nacht von Ostersonntag, dem 05.04.2015, auf Ostermontag, den 06.04.2015, gegen 00:15 Uhr, in der Waschküche des Gemeinschaftskellers tätlich angegriffen hat. (…)“ Eine von der Verfügungsbeklagten zu 1) ausgehende Gefahrenlage wird mithin gerade nicht dargetan.
Selbst dem vorgelegten Schreiben des Vaters der Verfügungsklägerin vom 20.04.2015 lässt sich lediglich folgendes in Bezug auf die Verfügungsbeklagte zu 1) entnehmen: „Als ob die Lage nicht schon verworren genug wäre, erschien dann auch noch Frau D. im Schlafanzug auf der Bildfläche und mischte sich ins Kampfgetümmel ein. Zunächst stürmte sie auf meine Tochter zu und schrie ihr ins Gesicht: „Du faules und arbeitsscheues Miststück, Du geistig behinderte Kuh, Du Lügnerin und Betrügerin!“ Diese Anwürfe stellen eines ungeheuerliche, kaum zu überbietende Beleidigung dar. Danach griff sie mich an und behauptete, wir seien in ihren Keller eingebrochen.“ Dieser Schilderung, selbst, wenn sie als wahr zugunsten der Verfügungsklägerin unterstellt wird, lässt sich keine konkrete Gefahr für Leib oder Leben entnehmen, sondern allenfalls Beleidigungen und Verleumdung.
2)
Aber auch hinsichtlich des Verfügungsbeklagten zu 2) mangelt es an einem Verfügungsgrund. Verfügungsgrund ist die konkrete Gefahr für Leib oder Leben des Verfügungsgläubigers bzw. von ihm zu schützender Personen.
Es müssen insoweit konkrete Anhaltspunkte für eine bevorstehende nicht unerhebliche Verletzung der körperlichen Integrität der Verfügungsklägerin oder Dritter gegeben sein (BeckOK ZPO/Mayer ZPO § 940a Rn. 5). Angesichts der besonderen Bedeutung der Wohnung und der bei einer Räumung im einstweiligen Verfügungsverfahren systembedingt eintretenden Vorwegnahme der Hauptsache kommen nur solche Gefährdungen in Betracht, die eine Entziehung des Besitzes an dem Wohnraum des Störers zwingend verlangen (Dr. Ulf Börstinghaus, Die neue „Räumungsverfügung“ im Wohnraummietprozess, NJW 2014, 2225). Bloße Befürchtungen oder Angst reichen nicht aus (Schmidt-Futterer, Mietrecht, 11. Aufl. 2013, § 940a ZPO, RN 14).
Eine derart konkrete, nicht unerhebliche Gefahr für Leib oder Leben der Verfügungsklägerin und/oder ihrer Eltern kann vorliegend selbst bei Wahrunterstellung des Vortrags der Verfügungsklägerin nicht festgestellt werden. Die Verfügungsklägerin hat insoweit vorgetragen, der Verfügungsbeklagte zu 2) sei mit geballter Faust und mit zum Schlag erhobenem Arm fuchsteufelswild auf sie mit den Worten: „Ich schlage dir gleich ins Gesicht und zertrümmere deine Brille…“ zugestürmt. Tatsächlich hat sich eine Tätlichkeit aber nicht ereignet. Soweit die Verfügungsklägerin vorträgt, hierzu sei es nur deswegen nicht gekommen, weil ihr Vater anwesend gewesen sei, bleibt völlig offen, wie ihr 80jähriger Vater eine wirklich drohende Tätlichkeit verhindert haben soll. Auch in dessen Brief vom 20.04.2015 findet sich nichts dazu, dass er durch irgendein Verhalten einen Angriff auf die Verfügungsklägerin verhindert hätte. Vielmehr war es allem Anschein nach so, dass der 74jährige Verfügungsbeklagte zu 2) eine ihm mögliche Verletzung der Verfügungsklägerin nicht wirklich in die Tat umzusetzen trachtete. Die Verfügungsklägerin hat auch nicht vorgetragen, dass sich in der Vergangenheit während des seit vielen Jahren schwelenden Konflikts der Parten je ein körperlicher Übergriff ereignet hätte. Eine bevorstehende nicht unerhebliche Verletzung der körperlichen Integrität der Verfügungsklägerin und/oder ihrer Eltern ist demzufolge nicht mit der für eine Räumungsverfügung erforderlichen hinreichenden Sicherheit zu befürchten, zumal die Parteien bereits seit ca. 30 Jahren in demselben Haus wohnen.
Hinzu kommt, dass dem Vorfall in der Nacht von Ostersonntag auf Ostermontag eine nicht unerhebliche Provokation durch die Verfügungsklägerin und ihrem Vater vorausgegangen ist. Denn unabhängig davon, ob es sich bei der über der Kellerraumtür angebrachten Kamera um eine Attrappe handelt oder nicht, sind die Verfügungsklägerin und ihr Vater gehalten, keine Selbstjustiz zu verüben und an der Kamera etwas eigenmächtig zu verändern, sondern gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, zumal nicht unumstritten ist, ob die Verfügungsklägerin eine Attrappe dulden müsste (vgl. zum Problemkreis MMR-Aktuell 2015, 366749). An der Kellerraumtür des ausschließlich von den Verfügungsbeklagten gemieteten Kellerraums dürfen sich die Verfügungsklägerin und ihre Eltern jedenfalls nicht eigenmächtig zu schaffen machen.
Die prozessualen Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 91, 708 Nr. 11,711 ZPO, 41 GKG.