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Eigenbedarfskündigung bei Bestandsschutzklausel – besondere Anforderungen

LG Berlin – Az.: 63 S 133/20 – Urteil vom 17.12.2021

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Schöneberg vom 01.07.2020 abgeändert und die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen hat die Klägerin zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 4.962,36 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Räumung wegen einer Eigenbedarfskündigung zugunsten des Bruders eines ihrer Gesellschafter in Anspruch.

Nach § 12 Abs. 3 des Mietvertrages ist das Mietverhältnis „nur in besonderen Ausnahmefällen,…die eine Beendigung des Mietverhältnisses notwendig machen“ kündbar.

Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Eigenbedarf des Bruders eines Gesellschafters stelle ein berechtigtes Interesse des Vermieters i.S.d. § 573 BGB dar. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der Regelung im Mietvertrag. Nach dem Vortrag der Klägerin sei ein besonderes Interesse gegeben, da dem Bruder nicht zumutbar sei, weiterhin zwischen Bonn und Berlin zu pendeln und der Wunsch, mit seiner Familie in Berlin zusammenzuleben, aufgrund des besonderen Schutzes der Familie aus Art. 6 GG einen derartigen Ausnahmefall begründe.

Mit der Berufung mach der Beklagte geltend, das Amtsgericht habe keine hinreichenden Ausführungen zu einem Ausnahmefall gemacht, sondern sich im Wesentlichen auf eine Prüfung des „normalen“ Eigenbedarfs beschränkt.

Der Beklagte beantragt, unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird im Übrigen gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf das angefochtene Urteil Bezug genommen

II.

Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg.

Der Klägerin steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung aus § 546 BGB zu.

Das Mietverhältnis ist nicht durch die streitgegenständliche Eigenbedarfskündigung beendet worden.

Wie das Amtsgericht zunächst mit zutreffender Begründung, auf die verwiesen werden kann, ausgeführt hat, wurde die Vereinbarung des § 12 Abs. 3 des Mietvertrages nicht durch den „Nachtrag“ zum Mietvertrag abbedungen. Dies folgt bereits aus der Formulierung „im Übrigen“.

Durch eine mietvertragliche Bestimmung, der zu Folge der Vermieter das Mietverhältnis „nur in besonderen Ausnahmefällen unter Einhaltung der gesetzlichen Fristen kündigen kann, wenn wichtige berechtigte Interessen des Vermieters eine Beendigung des Mietverhältnisses notwendig machen“, wird dem Mieter ein gegenüber den gesetzlichen Vorschriften erhöhter Bestandsschutz eingeräumt. Für eine Kündigung genügt dann das in § 573 Abs. 2 BGB genannte berechtigte Interesse des Vermieters nicht (BGH, Urteil vom 16. Oktober 2013 – VIII ZR 57/13).

Zwar folgt auch nach ständiger Rechtsprechung der Kammer hieraus nicht – wie das Amtsgericht ebenfalls zutreffend ausführt -, dass die Kündigung den einzigen Weg darstellen muss, den berechtigten Belangen des Vermieters genüge zu tun, da dann im Ergebnis eine Eigenbedarfskündigung praktisch unmöglich erschiene; jedoch ist ein sog. „Eigenbedarf +x“ notwendig. Das berechtigte Interesse des Vermieters muss sich von vergleichbaren Fallgestaltungen des berechtigten Eigenbedarfs durch weitere zusätzliche Faktoren abheben, wobei in einer Gesamtschau die konkreten Verhältnisse zu betrachten sind. Hierzu ist insbesondere die finanzielle Situation dessen, für den der Eigenbedarf geltend gemacht wird, maßgeblich, bzw., ob diese zu zumutbaren Bedingungen auf dem Wohnungsmarkt – nicht wie das Amtsgericht ausführt, lediglich aus dem Bestand des Vermieters – zu zumutbaren Bedingung die Anmietung geeigneten Wohnraums ermöglicht (vgl. LG Berlin, Urteil vom 28. Juli 2015 – 63 S 86/14).

Nach diesen Maßstäben und der von der Klägerin vorgebrachten Gründen ist ein besonderer Ausnahmefall, welcher die Kündigung notwendig macht, darin aber nicht zu sehen. Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Bruders sind, wobei bereits der Vortrag der Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 20.10.2021 zugrunde gelegt wurde, insgesamt gesehen, nicht so schlecht, dass ihm die Anmietung eines anderen Wohnraumes für sich und seine Familie unzumutbar wäre. Hinzu kommt, dass die Klägerin, wie das Amtsgericht zutreffend ausführt, die Wohnung in Kenntnis der Kündigungsbeschränkung erworben. Zwar ist im Rahmen der Beurteilung eines Eigenbedarfs grundsätzlich vom Wunsch des Eigentümers auszugehen und sind seine Lebensvorstellungen nicht durch vom Gericht für angemessen angenommene zu ersetzen. Das gilt aber nicht in einem Fall, in dem, wie hier, an die Voraussetzungen eines berechtigten Interesses verschärfte Anforderungen zu stellen sind und dem Mieter ein erhöhter Bestandsschutz zukommt. Hier hat bei der Annahme eines Eigenbedarfs eine entsprechende Prüfung stattzufinden, ob die Umstände im Einzelnen einen besonderen Ausnahmefall begründen. Hierbei sind nicht allein die Vorstellungen des Eigentümers zu berücksichtigen, sondern auch, ob diese unter Beachtung anderer ihm zur Verfügung stehender Möglichkeiten die Beendigung des Mietverhältnisses notwendig ist.

Das dem Bruder und seiner Familie zum maßgeblichen Zeitpunkt bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zur Verfügung stehende Einkommen ist nicht unbeträchtlich. Es mag dahinstehen, ob die Anmietung der streitgegenständlichen Wohnung von der Klägerin wirtschaftlich wegen einer geringeren Miete als am freien Wohnungsmarkt günstiger ist. Die verbleibende wirtschaftliche Lage begründet gleichwohl nicht die Kündigung.

Dem Bruder verbleiben selbst nach Abzug der gesamten durch ihn aufgeführten Verbindlichkeiten, welche neben den notwendigen Lebenshaltungskosten auch Positionen wie „Musikinstrumente 20,00 € monatlich“ und dann auch wegfallendes „Schulgeld“ beinhalten und unter Berücksichtigung dessen, dass Stromkosten und Rundfunkgebühr auch in der streitgegenständlichen Wohnung zu zahlen sind, noch ca. 1.800,00 €. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass entweder beim Verkauf des momentan noch im Eigentum des Bruders und seiner Familie stehenden Einfamilienhauses bei Bonn die diesbezüglichen Kosten (Bausparvertrag und Versicherungen) wegfielen und noch ein Vermögen aus dem Verkauf bliebe, oder er Mieteinnahmen mit dessen Vermietung erzielte.

Insgesamt stellte sich die Situation jedenfalls nicht so dar, dass es einer Familie mit 2 Kindern nicht möglich wäre, für 2.000,00 € monatlich einen angemessenen Wohnbedarf in Berlin zu decken. Dies gilt insbesondere deshalb, weil es sich bei der streitgegenständlichen Wohnung auch lediglich um eine 3-Zimmerwohnung handelt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Entscheidung zur Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

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