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Behördliche Nutzungsuntersagung rechtfertigt fristlose Mietvertragskündigung

Gerichtsurteil des OLG Dresden: Fristlose Kündigung wegen behördlicher Nutzungsuntersagung im Mietrecht

Das Oberlandesgericht Dresden hat in seinem Hinweisbeschluss vom 27.03.2023 (Az. 5 U 2520/20) über einen Rechtsstreit im Mietrecht entschieden. In dem Fall ging es um eine behördliche Nutzungsuntersagung, die zur fristlosen Kündigung des Mietvertrags führte.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 5 U 2520/20 >>>

Vermietung bestimmter Räumlichkeiten als Werkstatt mit verschiedenen Nutzungsmöglichkeiten

Im Mietvertrag wurden bestimmte Räumlichkeiten zur Nutzung als Werkstatt für Elektro-, Holz-, Metallverarbeitung und IT-Werkstatt vermietet. Die monatliche Bruttomiete betrug ab Januar 2017 2.331,98 EUR. Aufgrund von brandschutzrechtlichen Mängeln, insbesondere dem Fehlen eines zweiten Rettungswegs, erhielt die Vermieterin eine behördliche Mitteilung. Obwohl sie angab, eine Lösung zu erarbeiten, unternahm sie keine baulichen Maßnahmen.

Forderung der Klägerin und das Landgerichtsurteil

Die Klägerin forderte die Miete für die Monate August bis Dezember 2021 in Höhe von insgesamt 11.659,45 EUR sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten. Sie argumentierte, dass die außerordentliche Kündigung des Mietvertrags mit sofortiger Wirkung unbegründet sei, da die Nutzungsuntersagung lediglich die nicht vertragsgemäße Nutzung als Ausbildungsstätte betreffe, nicht aber die vertragsgemäße Nutzung als Werkstatt und Umkleideräume.

Das Landgericht wies die Klage ab und erklärte, dass die außerordentliche Kündigung wirksam sei. Es sah keinen Grund, die außerordentliche Kündigung trotz der Möglichkeit zur Abhilfe als unwirksam anzusehen. Die Klägerin legte Berufung ein.

Absicht des Oberlandesgerichts und Bestätigung des Landgerichtsurteils

Das Oberlandesgericht beabsichtigt, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen. Es bestätigte die Auffassung des Landgerichts, dass die Beklagte die geltend gemachten Mieten für den genannten Zeitraum nicht aus dem ursprünglichen Mietverhältnis schuldet. Es stellte fest, dass die außerordentliche Kündigung der Beklagten wirksam sei, obwohl sie nicht gegen die Nutzungsuntersagung gerichtlich vorgegangen war und keine Frist zur Abhilfe gesetzt hatte.

Auswirkung behördlicher Beschränkungen und Gebrauchshindernisse auf den vertragsgemäßen Gebrauch

Das Gericht betonte, dass behördliche Beschränkungen und Gebrauchshindernisse die Tauglichkeit der Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch mindern können, wenn sie auf der konkreten Beschaffenheit der Mietsache beruhen und nicht in den persönlichen oder betrieblichen Umständen des Mieters ihre Ursache haben. In diesem Fall lagen die Gründe für die Nutzungsuntersagung außerhalb des Einflussbereichs der Beklagten. Die fehlende Baugenehmigung und der unzureichende Brandschutz betrafen die Vermieterin als Eigentümerin der Räumlichkeiten.

Endgültige Ablehnung der Mängelabhilfe rechtfertigt die außerordentliche Kündigung

Das Gericht hielt fest, dass die außerordentliche Kündigung der Beklagten gerechtfertigt war, da die Klägerin endgültig eine Abhilfe des Mangels abgelehnt hatte. Es war nicht erforderlich, dass die Beklagte erneut eine Frist zur Abhilfe setzte. Die Berufung der Klägerin hatte daher keine Aussicht auf Erfolg.

Insgesamt stellte das Oberlandesgericht Dresden fest, dass die Nutzungsuntersagung einen Mangel der Mietsache darstellte und die außerordentliche Kündigung wirksam war. Es beabsichtigt daher, die Berufung abzuweisen.


Das vorliegende Urteil

OLG Dresden – Az.: 5 U 2520/20 – Hinweisbeschluss vom 27.03.2023

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Dresden vom 11.11.2022 (5 O 1186/22) durch einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

2. Die Klägerin erhält Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses. Sie sollte zur Vermeidung weiterer Kosten die Möglichkeit einer Rücknahme der Berufung in Erwägung ziehen.

3. Der Verhandlungstermin am 19.04.2023 wird aufgehoben.

Gründe:

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einem inzwischen beendeten Mietverhältnis über Gewerberäume im Objekt F. … in D. auf Zahlung rückständiger Miete in Anspruch.

Mit Vertrag vom 24.06.2009 (Anlage K 1) vermietete B… R… an die BBW S… gGmbH im ersten und zweiten OG des Hofgebäudes auf dem Grundstück F… 00 in D… gelegene Gewerberäume. Das Mietverhältnis begann am 01.08.2009, lief auf unbestimmte Zeit und konnte von jedem Vertragspartner mit einer Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Jahresende gekündigt werden. Die Beschreibung der Mieträume erfolgte in § 1 des Mietvertrages wie folgt: „Vermietet wird in … D…, F… 00, Hofgebäude, eine Werkstatt mit einer Fläche von 264,5 m? und anteilig 5,0 m? für die vorhandene Toilette/Dusche zum Betreiben einer Werkstatt für Elektro-, Holz-, Metallverarbeitung und IT-Werkstatt für das Berufliche Trainingszentrum D..“ Die monatliche Bruttomiete betrug aufgrund der Ergänzungsvereinbarung vom 01./15.06.2015 (Anlage K 2) ab dem 01.01.2017 2.331,98 EUR.

Die Klägerin auf Vermieterseite und die Beklagte auf Mieterseite traten jeweils zu einem späteren Zeitpunkt anstelle des jeweiligen Vertragspartners in das Mietverhältnis ein.

Die Beklagte betrieb im Mietobjekt ein berufliches Trainingszentrum, in dem sie berufliche Weiterbildungen u. a. im Bereich der Elektro-, Holz- und Metallverarbeitung durchführte.

Im Rahmen einer Brandverhütungsschau Anfang 2020 stellte das Bauaufsichtsamt der Landeshauptstadt Dresden fest, dass sich die Nutzung der Mieträume durch die Beklagte nicht im Rahmen der bestehenden Baugenehmigung halte und zudem brandschutzrechtliche Mängel bestünden, weil die Räume nicht über einen zweiten Rettungsweg verfügten. Die Klägerin erhielt eine entsprechende bauaufsichtliche Mitteilung der Landeshauptstadt Dresden vom 18.02.2020 (Anlage K 5). Die Klägerin kündigte gegenüber der Bauaufsicht der Landeshauptstadt Dresden an, eine bauliche Lösung des brandschutztechnischen Problems erarbeiten und diese der Bauaufsicht vorlegen zu wollen, ergriff aber gleichwohl keine entsprechenden baulichen Maßnahmen. Mit seinem Schreiben vom 04.11.2020 (Anlage B 4) teilte das Bauaufsichtsamt der Landeshauptstadt Dresden der Klägerin unter Bezugnahme auf die Mitteilung vom 18.02.2020 mit, aufgrund der brandschutztechnischen Mängel, des Fehlens des zweiten Rettungsweges, bestehe eine konkrete Gefahrenlage für die Nutzer der Räume, weswegen beabsichtigt sei, die Nutzung der im Hofgebäude auf dem Grundstück F.straße … in Dr. gelegenen Mieträume zu untersagen. Nachdem eine Abhilfe durch bauliche Maßnahmen nicht erfolgt war, ordnete das Bauaufsichtsamt der Landeshauptstadt Dresden mit Bescheid vom 01.04.2021 (Anlage B 2) gegenüber der Beklagten die Nutzungsuntersagung für die von der Beklagten angemieteten Räume und den Sofortvollzug dieser Maßnahme an.

Die Beklagte kündigte daraufhin mit Schreiben vom 30.06.2021 (Anlage B 1) das zwischen den Parteien bestehende Mietverhältnis außerordentlich und fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31.12.2021. Die Klägerin akzeptierte die ordentliche Kündigung zum 31.12.2021, wies aber die außerordentliche und fristlose Kündigung zurück. Die Beklagte räumte das Mietobjekt zum 30.06.2021 und zahlte ab diesem Zeitpunkt keine Miete mehr an die Klägerin.

Die Klägerin nahm in einem Verfahren das zunächst beim Amtsgericht Dresden unter dem Az. 146 C 3103/21 und sodann im Berufungsverfahren beim Landgericht Dresden unter dem Az. 5 S 179/22 anhängig war, die Beklagte auf Zahlung der Miete für Juli 2021 in Anspruch. Dieses Verfahren endete mit der inzwischen rechtskräftigen Abweisung der Klage durch das Landgericht Dresden mit dem Urteil vom 09.12.2022 (Anlage B 8).

In diesem Verfahren macht die Klägerin die Miete für die Monate August bis Dezember 2021 in Höhe von insgesamt 11.659,45 EUR (5 x 2.331,98 EUR) sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 885,80 EUR geltend.

Zur Begründung hat die Klägerin vorgetragen, die Beklagte schulde die geltend gemachten Mieten, weil das Mietverhältnis durch die ordentliche Kündigung vom 30.06.2021 zwar zum 31.12.2021 geendet habe, nicht aber durch die außerordentliche Kündigung vom 30.06.2021 mit sofortiger Wirkung. Für eine außerordentliche Kündigung habe ein Kündigungsgrund nicht bestanden. Die Nutzungsuntersagung vom 01.04.2021 betreffe die vom Mietvertrag nicht gedeckte Nutzung der Mieträume durch die Beklagte als Ausbildungsstätte, nicht aber die vom Mietvertrag gedeckte Nutzung als Werkstatt- und Umkleideräume. Zudem habe es die Beklagte unterlassen, einen Rechtsbehelf gegen die Nutzungsuntersagung einzulegen, und der Klägerin nicht vor Ausspruch der außerordentlichen Kündigung eine Möglichkeit zur Abhilfe eingeräumt.

Die Beklagte hat vorgetragen, sie schulde die geltend gemachten Mieten nicht, weil das Mietverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 30.06.2021 mit sofortiger Wirkung beendet worden sei. Der in § 1 des Mietvertrages vereinbarte Mietzweck habe die Nutzung der Mieträume als Ausbildungsstätte umfasst. Infolge der Nutzungsuntersagung vom 01.04.2021 könne die Beklagte aber die Mieträume zum vertraglich vereinbarten Zweck nicht mehr nutzen, weswegen ein Grund für eine außerordentliche Kündigung des Mietverhältnisses vorliege. Es handele sich um einen Mietmangel, der zu einer Minderung der Miete auf Null berechtige, so dass die Beklagte auch dann nicht die Zahlung von Mieten schulde, wenn das Mietverhältnis über den 30.06.2021 hinaus bestanden hätte.

Wegen des Sachvortrages im Übrigen und der in erster Instanz gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des Urteils des Landgerichts Bezug genommen.

Das Landgericht hat mit dem Urteil vom 11.11.2022 die Klage abgewiesen.

Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte schulde der Klägerin nicht die geltend gemachte Miete für den Zeitraum von August bis Dezember 2021, weil das Mietverhältnis der Parteien durch die wirksame außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 30.06.2021 mit sofortiger Wirkung beendet worden sei. Zum vertragsgemäßen Gebrauch des Mietobjektes habe nach der Definition in § 1 des Mietvertrages auch die Nutzung des Mietobjektes als Schulungsräume gehört, welche der Beklagten aber durch die Nutzungsuntersagung vom 01.04.2021 nicht möglich gewesen sei. Der Beklagten sei es nicht verwehrt, sich auf den Mangel der Mietsache zu berufen, auch wenn sie nicht gegen den Bescheid vorgegangen sei. Sie habe auch der Klägerin vor der außerordentlichen Kündigung keine Gelegenheit zur Abhilfe geben müssen, weil eine solche Gelegenheit angesichts des Verhaltens der Klägerin keinen Erfolg versprochen habe. Infolge der Unbegründetheit der Klage könne die Klägerin auch nicht die Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangen.

Gegen das ihr am 18.11.2022 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 14.12.2022 Berufung eingelegt und diese – nach entsprechender Fristverlängerung – am 20.02.2023 begründet.

Sie trägt vor, das Landgericht gehe zu Unrecht davon aus, dass die Nutzungsuntersagung vom 01.04.2021 einen Grund für die Beklagte für eine außerordentliche Kündigung geliefert habe. Die Nutzungsuntersagung beziehe sich auf die Nutzung der Räume als Schulungsräume, während vom Mietzweck die Nutzung der Mieträume lediglich als Werkstatt, nämlich zum Betreiben einer Werkstatt gedeckt gewesen sei.

Das Landgericht habe weiterhin zu Unrecht angenommen, dass die Beklagte nicht gegen die Nutzungsuntersagung habe vorgehen müssen, weil keine überwiegenden Erfolgsaussichten bestanden hätten. Schließlich gehe das Landgericht auch zu Unrecht davon aus, dass die außerordentliche Kündigung trotz der Gewährung einer Abhilfemöglichkeit wirksam habe ausgesprochen werden können. Das Landgericht habe dabei nicht den Vortrag der Klägerin berücksichtigt, sich an einer Lösung des Problems beteiligen zu wollen, was daran gescheitert sei, dass die Beklagte keine Kosten im Hinblick auf die baulichen Maßnahmen habe übernehmen wollen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Landgerichts Dresden zum Az. 5 O 1186/22 aufzuheben und die Beklagte antragsgemäß zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Berufung sei schon deshalb für unbegründet, weil das Landgericht Dresden mit dem Urteil vom 09.12.2022 (5 S 179/22) bereits rechtskräftig über die Berechtigung der Beklagten zur außerordentlichen Kündigung vom 30.06.2021 entschieden habe.

Im Übrigen verteidigt die Beklagte das Urteil des Landgerichtes unter Wiederholung und Vertiefung ihres bisherigen Vortrages.

II.

Der Berufung fehlt zur einstimmigen Überzeugung des Senates offensichtlich die Erfolgsaussicht und es sind auch die weiteren Voraussetzungen von § 522Abs. 2 Satz 1 ZPO erfüllt, so dass der Senat beabsichtigt, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.

Wegen der beabsichtigten Entscheidung im Beschlusswege wird der Verhandlungstermin am 19.04.2023 aufgehoben.

Die zulässige Berufung der Klägerin hat keine Aussicht auf Erfolg, denn das Landgericht hat zutreffend angenommen, dass die Beklagte die von der Klägerin geltend gemachten Mieten für den Zeitraum August bis Dezember 2021 nicht aus dem ursprünglich zwischen den Parteien bestehenden Mietverhältnis aufgrund des Vertrages vom 24.06.2009 gemäß § 535 Abs. 2 BGB schuldet, weil dieses Mietverhältnis aufgrund der wirksamen außerordentlichen Kündigung der Beklagten vom 30.06.2021 mit sofortiger Wirkung beendet wurde.

Entgegen der Auffassung der Beklagten folgt die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung der Beklagten vom 30.06.2021 zwar nicht bereits aus der Rechtskraft des Urteils des Landgerichts Dresden vom 09.12.2022 (5 S 179/22), weil dessen Rechtskraftwirkung nur den fehlenden Anspruch der Klägerin auf die Zahlung der Miete für Juli 2021 erfasst, nicht aber die Vorfrage der Entscheidung des Landgerichts, nämlich ob die außerordentliche Kündigung vom 30.06.2021 wirksam war oder das Mietverhältnis fortbestand (vgl. BGH, Urteil vom 16.11.2005, VIII ZR 218/04, NZM 2006, 12 Rn. 23).

Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 30.06.2021 hat das Mietverhältnis der Parteien mit sofortiger Wirkung beendet, weil zugunsten der Beklagten ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung i.S.v. § 543 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB gegeben war (dazu 1.).

Entgegen der Auffassung der Klägerin steht der Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung der Beklagten vom 30.06.2021 nicht entgegen, dass die Beklagte nicht gerichtlich gegen den Nutzungsuntersagungsbescheid der Landeshauptstadt Dresden vom 01.04.2021 vorgegangen ist (dazu 2.).

Entgegen der von der Klägerin vertretenen Auffassung steht der Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung der Beklagten vom 30.06.2021 auch nicht entgegen, dass sie der Klägerin nicht vor dem Ausspruch der Kündigung erfolglos eine Frist zur Abhilfe gesetzt hat (dazu 3.).

1. Nach § 543 Abs. 1 BGB kann jede Vertragspartei das Mietverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos kündigen. Ein wichtiger Grund liegt nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB u. a. dann vor, wenn dem Mieter der vertragsgemäße Gebrauch der Mietsache ganz oder zum Teil nicht rechtzeitig gewährt oder wieder entzogen wird. Dies ist insbesondere beim Auftreten eines Mangels der Fall, welcher dem vertragsgemäßen Gebrauch der Mietsache durch den Mieter entgegensteht (vgl. BGH, Urteil vom 20.11.2013, XII ZR 77/12, NZM 2014, 165 Rn. 18; Urteil vom 02.11.2016, XII ZR 153/15, NJW 2017, 1104 Rn. 14; Alberts in Guhling/Günter, Gewerberaummiete, 2. Aufl., § 543 BGB Rn. 28, 31).

Außer reinen Beschaffenheitsfehlern der Mietsache können auch behördliche Beschränkungen und Gebrauchshindernisse die Tauglichkeit der Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch in einer Weise aufheben oder mindern, dass sie einen Mangel i.S.v. § 536 BGB begründen. Dies gilt allerdings nur dann, wenn die behördlichen Beschränkungen und Gebrauchshindernisse auf der konkreten Beschaffenheit der Mietsache beruhen und nicht in den persönlichen oder betrieblichen Umständen des Mieters ihre Ursache haben. Außerdem muss der Mieter durch die öffentlich-rechtlichen Beschränkungen und Gebrauchshindernisse in seinem vertragsgemäßen Gebrauch auch tatsächlich eingeschränkt werden (vgl. BGH, Urteil vom 02.11.2016, a.a.O., Rn. 15).

Diese Voraussetzungen sind erfüllt, denn der Beklagten wurde die Nutzung der Mieträume durch den sofort vollziehbaren Bescheid der Landeshauptstadt Dresden vom 01.04.2021 untersagt. Der Annahme eines Mangels i.S.v. § 536 BGB steht dabei nicht entgegen, dass der Bescheid vom 01.04.2021 im Zeitpunkt der Kündigungserklärung vom 30.06.2021 noch nicht bestandskräftig war und die aufschiebende Wirkung eines dagegen gerichteten Widerspruches durch einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hätte wiederhergestellt werden können. Es kann zwar im Grundsatz dem Mieter zugemutete werden, behördliche Anordnungen betreffend den Gebrauch der Mietsache auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Auf das Risiko eines verwaltungsgerichtlichen Rechtsstreites mit ungewissem Ausgang muss sich der Mieter aber jedenfalls dann nicht einlassen, wenn die Behörde bereits eine sofortige Untersagung der Nutzung der Mietsache verfügt hat und der Gegenstand der ordnungsbehördlichen Beanstandungen außerhalb des Einwirkungsbereiches des Mieters liegt (vgl. BGH, Urteil vom 02.11.2016, a.a.O., Rn. 16).

So aber ist es im vorliegend zu beurteilenden Fall, in welchem der Sofortvollzug der Untersagung der Nutzung der Mietsache von Seiten des Bauaufsichtsamtes der Landeshauptstadt Dresden verfügt war und der Gegenstand der behördlichen Beanstandungen, nämlich die unzureichende Baugenehmigung einerseits und der unzureichende Brandschutz andererseits, außerhalb des Einwirkungsbereiches der Beklagten als Mieterin lag.

Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichtes, wonach zum vertragsgemäßen Gebrauch der an die Beklagte vermieteten Werkstatträume deren Nutzung nicht nur für reine Werkarbeiten, sondern auch für Schulungszwecke gehörte. Dies ergibt die Auslegung des Mietzweckes aus § 1 des Mietvertrages vom 24.06.2009 gemäß §§ 133, 157 BGB, welchem der vertragsgemäße Gebrauch nach § 535 Abs. 1 Satz 2 BGB zu entnehmen ist.

Ausgangspunkt der Auslegung von § 1 des Mietvertrages vom 24.06.2009 gemäß §§ 133, 157 BGB ist der von den Parteien gewählte Wortlaut und der dem Wortlaut zu entnehmende objektiv erklärte Parteiwille (vgl. BGH, Urteil vom 15.01.2013, XI ZR 22/12, NJW 2013, 1519 Rn. 36; Senatsurteil vom 19.09.2018, 5 U 423/18, BeckRS 2018, 49269 Rn. 17). Zu berücksichtigen ist dabei aber auch und vor allem die bestehende Interessenlage und der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck, weswegen eine nach beiden Seiten interessengerechte Auslegung geboten ist, die zu einem vernünftigen, widerspruchsfreien und den Interessen beider Vertragsparteien gerecht werdenden Ergebnis führt, welches die Nichtigkeit vermeidet (vgl. BGH, Urteil vom 17.03.2011, I ZR 93/09, GRUR 2011, 946 Rn. 18 ff.; Senatsurteil vom 16.06.2021, 5 U 9/21, BeckRS 2021, 42203 Rn. 60; Ellenberger in Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 133 Rn. 14 ff., 18 mwN).

Im Hinblick auf den Wortlaut trifft es zwar zu, dass nach § 1 des Mietvertrages eine Werkstatt zum Betreiben einer Werkstatt vermietet wurde. Dies sollte aber für das berufliche Trainingszentrum D. erfolgen und damit (auch) zum Zwecke der Schulung der Kunden der Beklagten in den angemieteten Räumen.

Nur ein solches Verständnis der Regelung in § 1 des Mietvertrages vermag das Nutzungsinteresse der Beklagten in Bezug auf die Mieträume sachgerecht abzubilden. Es handelt sich bei der Beklagten wie bei ihrer Rechtsvorgängerin als Mieterin nicht um einen Handwerksbetrieb, sondern um ein Unternehmen, welches Schulungen im Zusammenhang mit Werkarbeiten, also Fortbildungen, die auch Werkleistungen umfassen, anbietet. Es liegt deshalb auf der Hand, dass eine Nutzung der angemieteten Räume durch die Beklagte nur im Rahmen einer Kombination aus reinen Werkleistungen und Schulungsleistungen erfolgen kann. Durch den Wortlaut der vertraglichen Regelung in § 1 wird dieses Interesse der Beklagten auch erfasst wie das Landgericht zutreffend im angefochtenen Urteil ausgeführt hat. Auf die diesbezüglichen Erwägungen des Landgerichtes kann ergänzend Bezug genommen werden.

Im Ergebnis gehört deshalb die Nutzung der angemieteten Werkstatträume durch die Beklagte (auch) zu Schulungszwecken zum vertragsgemäßen Gebrauch des Mietobjektes. Mit der Untersagung der Nutzung des Mietobjektes als Ausbildungsstätte durch den Bescheid der Landeshauptstadt Dresden vom 01.04.2021 wird deshalb der Beklagten der vertragsgemäße Gebrauch entzogen, weswegen ein Mangel i.S.v. § 536 BGB vorliegt.

Es kommt hinzu, dass die Nutzungsuntersagung vom 01.04.2021 nicht nur auf die außerhalb der Baugenehmigung erfolgende Nutzung der Räume als Ausbildungsstätte gestützt ist, sondern auch auf den brandschutzrechtlichen Mangel des Fehlens des zweiten Rettungsweges nach § 33 Abs. 1 SächsBO. Ein zweiter Rettungsweg aber wäre für Werkstatträume auch dann erforderlich, wenn diese nicht zu Schulungszwecken genutzt würden. Die Notwendigkeit eines zweiten Rettungsweges besteht nach § 33 Abs. 1 SächsBO dann, wenn die Nutzungseinheit mindestens einen Aufenthaltsraum hat. Aufenthaltsräume sind nach § 2Abs. 5 SächsBO Räume, die zum nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen bestimmt und geeignet sind. Dies aber gilt offensichtlich auch für die Werkstatträume, in welchen die Kunden der Beklagten Werkarbeiten ausführen sollen.

Ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung nach § 543 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB war damit zugunsten der Beklagten bei Erklärung der außerordentlichen Kündigung am 03.06.2021 gegeben.

2. Entgegen der von der Klägerin in der Berufungsbegründung vom 17.02.2023 vertretenen Auffassung ist es nicht zu beanstanden, dass das Landgericht im angefochtenen Urteil vom 11.11.2022 ausgeführt hat, die Beklagte habe gegen die Nutzungsuntersagungsverfügung nicht vorgehen müssen, weil keine überwiegenden Erfolgsaussichten bestanden hätten.

Der Senat hat bereits oben unter II.1. ausgeführt, dass die tragenden Gründe der Nutzungsuntersagungsverfügung vom 01.04.2021 dem unmittelbaren Einwirkungsbereich der Beklagten als Mieterin entzogen waren. Zudem liegen entgegen den Ausführungen der Klägerin in der Berufungsbegründung vom 17.02.2023 keine Tatsachen dafür vor, dass das streitgegenständliche Mietobjekt entgegen den Ausführungen in der Verfügung vom 01.04.2021 keines zweiten Rettungsweges bedurfte bzw. über einen solchen bereits durch den Zugang in ein feuerfestes Treppenhaus verfügte. Die Replik der Klägerin vom 26.08.2022 weist lediglich darauf hin, dass ein zweiter Rettungsweg dann nicht notwendig ist, wenn die Rettung über einen sicher erreichbaren Treppenraum möglich ist, in den Feuer und Rauch nicht eindringen können. Sachvortrag dazu, dass dies in den streitgegenständlichen Mieträumen der Fall gewesen und vom Bescheid vom 01.04.2021 nicht berücksichtigt worden sei, enthält die Replik der Klägerin vom 26.08.2022 dagegen ebenso wenig wie die Berufungsbegründung vom 17.02.2023.

Es bleibt deshalb dabei, dass es der Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung der Beklagten vom 30.06.2021 nicht entgegensteht, dass die Beklagte nicht gegen die Nutzungsuntersagungsanordnung vom 01.04.2021 gerichtlich vorgegangen ist.

3. Grundsätzlich ist eine außerordentliche Kündigung, welche wie diejenigen der Beklagten vom 30.06.2021 auf die Verletzung einer Pflicht aus dem Mietvertrag gestützt ist, gemäß § 543 Abs. 3 Satz 1 ZPO erst zulässig, wenn eine zuvor zur Abhilfe bestimmte angemessene Frist erfolglos abgelaufen ist. Die Setzung einer Abhilfefrist ist aber entbehrlich, wenn sie offensichtlich keinen Erfolg verspricht (§ 543 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BGB).

Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichtes, dass diese Ausnahme im vorliegend zu beurteilenden Fall gegeben war, weil sich das Verhalten der Klägerin als Vermieterin im Vorfeld der außerordentlichen Kündigung vom 30.06.2021 aus der Sicht der Beklagten als Mieterin so darstellte, dass sie eine Abhilfe des bestehenden Mietmangels endgültig abgelehnt hatte. Dies ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass die Klägerin, obwohl sie auf die Nutzungshindernisse, die später zur Nutzungsuntersagung vom 01.04.2021 führten, bereits mit den bauaufsichtlichen Mitteilungen vom 18.02. und 04.11.2020 hingewiesen wurde, bis zur Nutzungsuntersagung vom 01.04.2021 und auch danach bis zur Erklärung der außerordentlichen Kündigung vom 30.06.2021 keine Abhilfemaßnahmen ergriff. Angesichts dieses Verhaltens konnte die Beklagte vernünftigerweise nur davon ausgehen, dass eine erneute Aufforderung zur Abhilfe vor Ausspruch der außerordentlichen Kündigung in gleicher Weise keinen Erfolg bringen würde.

Soweit die Beklagte diesbezüglich in der Berufungsbegründung vom 17.02.2023 ausführt, das Landgericht habe nicht den Sachvortrag der Klägerin berücksichtigt, diese habe sich an einer Lösung des Problems beteiligen wollen, während die Beklagte aber keine Kosten im Hinblick auf die baulichen Maßnahmen hätte mitübernehmen wollen, verhilft dies der Berufung nicht zum Erfolg. Selbst wenn man diesen Vortrag der Klägerin als zutreffend unterstellt, ergibt sich aus ihm keine Bereitschaft der Klägerin zur Abhilfe des mit der Nutzungsuntersagung verbundenen Mangels. Soweit die Klägerin danach bauliche Maßnahmen zur Abhilfe angeboten hätte, wären diese an die Bedingung einer finanziellen Beteiligung der Beklagten gebunden gewesen, zu welcher die Beklagte nicht verpflichtet war. Aus dem Vortrag der Klägerin ergibt sich demzufolge nicht, dass die Klägerin zu einer (bedingungslosen) Abhilfe i.S.v. § 543 Abs. 3 Satz 1 BGB bereit gewesen wäre.

Im Ergebnis steht es deswegen der Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung der Beklagten vom 30.06.2021 nicht entgegen, dass diese nicht vor Kündigungsausspruch der Klägerin eine Frist zur Abhilfe gesetzt hat.

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