AG Lichtenberg – Az.: 119 C 14/11 – Urteil vom 14.09.2011
1. Der Beschluss der Wohnungseigentümerversammlung vom 10.05.2011 zu TOP 1 (Gesamt- und Einzelabrechnung für das Wirtschaftsjahr 2009/2010) wird hinsichtlich der Heizkostenabrechnung für ungültig erklärt.
2. Die Beklagten haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagten dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht vor der Vollstreckung die Kläger Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Tatbestand
Die Parteien sind die Eigentümer der Wohnungseigentumsanlage … ; die Beigeladene, die dem Rechtsstreit nicht beigetreten ist, ist die Verwalterin. Es gilt die Teilungserklärung nebst Gemeinschaftsordnung vom 03.07.1997. Nach Ziffer III § 10 Nr. 4 Abs. 2 der Teilungserklärung (Gemeinschaftsordnung) sind die Kosten der zentralen Wärme- und Warmwasserversorgung zu 30 % nach der Wohnfläche und zu 70 % nach dem Wärmeverbrauch zu verteilen. § 10 Nr. 4 Abs. 3 der Gemeinschaftsordnung (im folgenden GO) bestimmt, dass die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer mit Stimmenmehrheit den Verteilungsschlüssel ändern kann. Gemäß § 12 Nr. 2 GO ist als Wirtschaftsjahr der Zeitraum vom 01.07. des Jahres bis zum 30.06. des Folgejahres festgelegt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Teilungserklärung Bezug genommen wird.
Die Wohnungseigentumsanlage ist mit einer Einrohrheizungsanlage bestückt. Das der Wärmeverteilung dienende Heizungsrohr ist ungedämmt. Im Frühjahr 2007 wurde die Wärmeerfassung von Verdunstungsröhrchen auf funkgesteuerte Wärmeerfassungsgeräte umgestellt.
Zu TOP 2 der Eigentümerversammlung lehnte die Eigentümergemeinschaft es mit Stimmenmehrheit ab, den Verteilungsschlüssel auf 50 % nach Wohnfläche und 50 % nach Verbrauch zu ändern.
Eine Prüfung der Firma … ergab, dass 12,83 % der verbrauchten Wärme durch die elektronischen Wärmemengenzähler an den Heizkörpern erfasst wurden.
Zu TOP 1 der Eigentümerversammlung vom 10.05.2011 beschlossen die Wohnungseigentümer mit Stimmenmehrheit die Gesamt- und Einzelabrechnungen für das Wirtschaftsjahr 2009/2010. In der von der Firma … erstellten Einzel-Heizkostenabrechnung für die Kläger für 2009/2010 vom 06.10.2010 führte diese aus, es seien 300.064,71 Verbrauchseinheiten ermittelt worden, von denen 210.543,71 auf Rohrwärmeeinheiten gemäß VDI 2077 entfielen und 89.521 auf gemessene Verbrauchseinheiten. Nur Letztere sind in der Abrechnung als Verbrauchskosten berücksichtigt worden. Der Anteil der Kläger an den Gesamtkosten belief sich auf 1.588,53 €. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Abrechnung verwiesen.
Die Kläger beantragen, den Beschluss der Wohnungseigentümerversammlung vom 10. Mai 2011 zu TOP 1 (Gesamt- und Einzelabrechnung für das Wirtschaftsjahr 2009/2010) hinsichtlich der Heizkostenabrechnung für ungültig zu erklären.
Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.
Sie meinen, der angefochtene Beschluss entspreche den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung. Es sei zu bedenken, dass den Klägern bei dem Erwerb ihrer Wohnung bekannt gewesen sei, dass die Anlage mit einer Einrohrheizung versehen sei. Falsch sei die Behauptung der Kläger, die Rohrwärme werde nicht erfasst.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig. Es ist insbesondere zulässig, nur einen Teil der Jahresabrechnung – wie hier die Heizkostenabrechnung – anzufechten (vgl. Schmid, ZMR 2010, 883, 885, m.w.N.; Niedenführ in Niedenführ u.a., WEG, 9. Aufl., § 46, Rz. 78, m.w.N.).
Die Klage ist auch begründet. Ihr war deswegen stattzugeben. Die Kläger haben fristgemäß nach § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG ihre Klage erhoben und begründet.
Der angefochtenen Beschlussteil war auf die Klage für ungültig zu erklären, weil er gegen die Grundsätze ordnungsgemäßer Verwaltung im Sinne von § 21 Abs. 4 WEG verstößt. Zwar entspricht er § 10 Nr. 4 Abs. 2 GO, der Beschlusslage in der Wohnungseigentümergemeinschaft und § 7 Abs. 1 Satz 1 HeizkostenV und ist eine rückwirkende Änderung des Abrechnungsmaßstabes und/oder eine rückwirkende Änderung der Art der Verbrauchsermittlung in der Regel nicht ordnungsgemäß, jedoch kann dennoch ein Wohnungseigentümer eine Änderung wegen der besonderen Umstände des Einzelfalles nach Treu und Glauben verlangen, wenn das Abrechnungsergebnis zu einer für ihn nicht mehr hinnehmbaren Mehrbelastung führt (vgl. BayObLG, NJW-RR 1993, 663, 664; AG Brühl, ZMR 2010, 883 f.; Schmid, a.a.O., S. 886). So liegt es hier. Bei ungedämmten vertikalen Einrohrheizungen ergibt sich ein sehr hoher Preis pro Werteinheit mit der Folge, dass einige Bewohner kaum und andere sehr hohe Heizkosten haben (vgl. Langenberg, Betriebskostenrecht der Wohn- und Gewerberaummiete, 5. Aufl., S. 452, Rz. 129), da in einigen Wohnungen – abhängig von ihrer Lage – häufig die von den Rohren abstrahlende Wärme ausreicht, während das in anderen Wohnungen nicht der Fall ist. Weil der Verbrauch nicht auf „0“ reduziert werden kann, hat der einzelne Bewohner nur eine begrenzte Möglichkeit durch sparsames Heizen auf diese Ungleichheit zu seinen Gunsten Einfluss zu nehmen. Den Eigentümern war zumindest durch den Serienbrief der Verwaltung vom 16.03.2009 (Bl. 92 d.A.) sowie durch die Diskussionen in den Eigentümerversammlungen vom 08.06.2010 und vom 10.05.2011 die vorstehend ausgeführte Problematik bewusst. In der zuletzt genannten Eigentümerversammlung wurde ihnen auch bekannt gemacht, dass eine Prüfung ergeben hatte, dass der Verbrauchswärmeanteil sich lediglich auf 12,83 % belief. Den Einzelabrechnungen konnten sie ferner entnehmen, dass die Rohrwärmeeinheiten nach VDI 2077 ermittelt worden waren (s. Bl. 65R d.A.), aber nicht bei der Abrechnung berücksichtigt wurden. Soweit die Beklagten dies bestreiten, ist das nicht nachzuvollziehen.
Bei einer Kostenverteilung zu 70 % nach dem aber nur zu 12,83 % gemessenen Verbrauch musste sich den Eigentümern aufdrängen, dass die „Vielverbraucher“ die „Wenigverbraucher“ bei dieser Sachlage „subventionieren“. Das ist mit dem wohnungseigentumsrechtlichen Rücksichtnahmegebot (vgl. Klein in Bärmann, WEG, 11. Aufl., § 10, Rz. 46 ff.) nicht zu vereinbaren, weswegen die Beklagten in ihrem Vertrauen darauf, dass keine rückwirkende Änderung des Verteilungsschlüssels und/oder der Verbrauchsermittlungsmethode stattfinden wird, nicht schutzwürdig sind.
Dem können sie nicht mit Erfolg entgegenhalten, den Klägern sei bei dem Erwerb ihrer Wohnung bekannt gewesen, dass die Heizungsanlage eine Einrohrheizung sei, denn unstreitig (vgl. § 138 Abs. 3 ZPO) hat sich das vorstehende Problem später verschärft durch die Installation der elektronischen Wärmemengenzähler.
Wären die Rohrwärmeeinheiten berücksichtigt worden, betrüge der Kostenanteil der Kläger statt 1.588,53 € gemäß Heizkostenabrechnung nur (38.120,12 € Verbrauchskosten : 300.064,71 Verbrauchseinheiten x (2.865 gemessene Verbraucheinheiten + 1.511 auf die Nutzeinheit der Kläger entfallende Verbrauchseinheiten =) 4.376 Verbrauchseinheiten =) 555,93 €. Das sind lediglich 35 % der in Rechnung gestellten Kosten.
Weil nach §§ 10 Nr. 4 Abs. 3 GO, 16 Abs. 3 WEG, 3, 7 Abs. 1 Satz 3 HeizkostenV die Wohnungseigentümer sowohl den Verteilungsschlüssel als auch die Art der Verbrauchsermittlung ändern können, wird ihnen durch die Aufhebung des angefochtenen Beschlussteils nichts Unmögliches abverlangt. Sie können im Rahmen des ihnen zustehenden Gestaltungsspielraums eine andere Kostenverteilung beschließen, die den angeführten Umständen gerecht wird. In welcher Weise sie dieses vornehmen, war ihnen zu überlassen (Schmid, a.a.O.).
Nur ergänzend ist auszuführen, dass die Rechtsansicht, nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b) HeizkostenV sei auf einen Fall wie den vorliegenden § 7 HeizkostenV nicht anzuwenden (so aber Schmid, a.a.O., S. 884), unzutreffend sein dürfte (vgl. Langenberg, a.a.O., Rz. 129 ff.).
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1 708 Nr. 11, 711 ZPO.