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Auswirkungen Schonfristzahlung auf die ordentliche und die fristlose Mietvertragskündigung

LG Berlin – Az.: 66 S 200/21 – Urteil vom 01.07.2022

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Kreuzberg vom 27.07.2021, Az. 11 C 31/21, wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Amtsgerichts Kreuzberg ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Gründe

I.

Anstelle des Tatbestandes wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil des Amtsgerichts Bezug genommen. Ergänzungen sind nach Maßgabe der §§ 313a Abs. 1 Satz1, 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO wie folgt veranlasst:

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen und festgestellt, dass die wegen Zahlungsverzuges ausgesprochene fristlose Kündigung (§ 543 BGB) durch eine unstreitig rechtzeitige und vollständige Schonfristzahlung gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB unwirksam geworden ist. Zu den Wirkungen der hilfsweise nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB fristgemäß erklärten Kündigung wegen Zahlungsverzuges hat sich das Amtsgericht der Entscheidung der Kammer vom 30.03.2020 (Aktenzeichen 66 S 293/19) angeschlossen; im Ergebnis einer umfassenden Auslegung sei es vorzugswürdig, die Wirkungen der Schonfristzahlung nicht auf die fristgemäße Kündigung zu beschränken, sondern alle Kündigungen als unwirksam anzusehen, die auf den nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB ausgeglichenen Zahlungsrückstand gestützt sind.

Eine weitere Kündigung wegen nicht genehmigter Untervermietung hat das Amtsgericht als unwirksam angesehen, weil der Kläger insoweit rechtsmissbräuchlich handele. Er habe durch die Unterbrechung des ursprünglich über eine Hausverwaltung geführten Kontaktes zum Beklagten und Nichtbeantwortung entsprechender Anfragen für eine Untervermietung die von ihm in der Kündigung beanstandeten Folgen selbst ausgelöst.

In der Berufungsinstanz stützt der Kläger seinen Anspruch allein auf die hilfsweise ordentlich erklärte Kündigung wegen Zahlungsverzuges nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Zur Kündigung wegen unerlaubter Untervermietung enthält die Berufungsbegründung keine Ausführungen; das Rechtsmittel wäre insoweit mangels ordnungsgemäßer Berufungsbegründung unzulässig.

Der Berufungskläger beantragt sinngemäß, unter Abänderung des angefochtenen Urteils, den Beklagten zur Räumung und Herausgabe der im Rubrum bezeichneten Wohnung zu verurteilen.

Der Berufungsbeklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Er verteidigt das angefochtene Urteil des Amtsgerichts.

II.

Die Berufung des Klägers ist gemäß §§ 511 ff. ZPO zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und (mit der dargestellten inhaltlichen Einschränkung) rechtzeitig begründet worden.

Das Rechtsmittel bleibt aber in der Sache ohne Erfolg. Die Kammer hält nach erneuter Überprüfung daran fest, dass eine rechtzeitige und vollständige Schonfristzahlung neben der außerordentlichen auch eine hilfsweise fristgemäß erklärte Kündigung heilt, sofern diese auf denselben (ausgeglichenen) Zahlungsrückstand gestützt wurde. Das Amtsgericht ist daher mit Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass nach der festgestellten Schonfristzahlung ein Anspruch des Klägers auf Räumung und Herausgabe gegen den Beklagten nicht (mehr) besteht.

Der Kläger führt allerdings zutreffend an, dass seine gegenteilige Auffassung auch vom Bundesgerichtshof für richtig gehalten wird. Danach müsste die Klage aufgrund der hilfsweise ordentlich erklärten Kündigung Erfolg haben, sofern nicht ausnahmsweise besondere Umstände diese Kündigung in „mildem Licht“ erscheinen ließen. Grundsätzlich wirke sich eine Schonfristzahlung gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB allein auf die fristlos erklärte Kündigung nach § 543 BGB aus.

Diesen Standpunkt hat der Bundesgerichtshof erneut in der Entscheidung vom 13. Oktober 2021 bekräftigt (Aktenzeichen VIII ZR 91/20; nachfolgend zitiert als BGH a.a.O. mit juris-Rz.). Mit dieser Entscheidung wurde eben dasjenige Urteil der Kammer (s.o.: 66 S 293/19) aufgehoben, der sich hier das Amtsgericht (vor der Entscheidung vom 13.10.2021) umfassend angeschlossen hat. Die gebotene neuerliche Auseinandersetzung mit den Sachargumenten führt für die Kammer dazu, dass die besseren Gründe unverändert gegen die Ansicht des Bundesgerichtshofs sprechen.

A.

Der Kläger hegt die Erwartung, die eingeschränkten Wirkungen einer Schonfristzahlung seien im Ergebnis zugunsten seines Standpunktes vom Bundesgerichtshof „mehrfach geklärt“ worden, weshalb das vorliegende Verfahren nicht ohne offenkundigen Rechtsverstoß zu einem anderen Ergebnis führen könne. So verständlich diese Erwartung aus der Sicht eines juristischen Laien erscheinen kann, entspricht sie nicht dem geltenden Rechtssystem. Zu der streitgegenständlichen Frage sind unterschiedliche Auffassungen begründbar, die im Rahmen der Anwendung des Gesetzes miteinander konkurrieren. Die Gerichte sind im Rahmen der richterlichen Unabhängigkeit berechtigt und nach den Maßgaben des von allen Richtern geleisteten Richtereides verpflichtet, die Antwort auf Rechtsfragen auf der Grundlage der Verfassung und der Gesetze „…nach bestem Wissen und Gewissen…“ zu geben (vgl. die Eidesformel in § 38 Abs. 1 DRiG; insoweit gleichlautend § 2 Abs. 1 RiGBln). Die so beschriebene Pflicht, der eigenen – bestmöglich und gewissenhaft gebildeten – Überzeugung zu folgen, wird grundsätzlich nicht durch Entscheidungen und Auffassungen anderer Gerichte im Instanzenzug begrenzt.

1.

Mit Recht erwartet der Kläger, dass die Bindung der Gerichte an das Gesetz der richterlichen Unabhängigkeit eine streng zu beachtende Grenze setzt. Dies hat die Kammer in ihren Ausführungen zu den Wirkungen einer Schonfristzahlung stets selbst betont. Ihre Ergebnisse hat sie durchgehend mit allgemein anerkannten Rechtsanwendungstechniken unter ausführlicher Herleitung aus den konkret untersuchten gesetzlichen Normen begründet. Dabei gilt allerdings, dass den Gerichten bei der Rechtsfindung ein weit bemessener Rahmen offensteht. Innerhalb dieses Rahmens sind unterschiedliche Auffassungen der Gerichte und voneinander abweichende Entscheidungen zu vergleichbaren Fallkonstellationen kein Verstoß gegen die Bindung der Gerichte an das Gesetz. Sie bilden stattdessen den legitimen Streit um das bessere Argument bei der Anwendung der Gesetze ab.

Wie weit ein Gericht dabei in der Auslegung gehen kann und wie überraschend die Wirkungen einer gesetzlichen Vorschrift eintreten können, zeigt exemplarisch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 29.4.2020 (VIII ZR 31/18; zitiert nach juris). Sie untersucht, ob sich Immissionen (Baulärm) von einem benachbarten Grundstück für einen Wohnraummieter (nur) nach denselben Maßstäben auswirken, die auch für den Eigentümer des Grundstücks maßgeblich wären. Der BGH erklärt den für den Eigentümer maßgebenden § 906 BGB in einem Mietverhältnis über Wohnraum ausdrücklich sowohl unmittelbar und analog für unanwendbar (BGH v. 29.04.20; juris-Rz. 50). Dennoch sind Mängelansprüche des Mieters von dem Nachweis abhängig, dass die beanstandete Einwirkung eine „wesentliche Beeinträchtigung“ gemäß § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB darstellt (BGH v. 29.04.20; juris-Rz. 80). Wenn die Kriterien aus § 906 BGB letztlich doch über die Rechtslage in einem Wohnraummietverhältnis entscheiden können, obwohl sie dort „eigentlich“ unanwendbar sind, ereignet sich dies (anders als der juristische Laie meinen könnte) aber nicht außerhalb des Gesetzes. Das Ergebnis beruht nämlich nicht auf der „Anwendung“ des unanwendbaren § 906 BGB, sondern darauf, dass dessen „Ausstrahlungswirkung“ zur „Konturierung“ der Rechte und Pflichten im Mietvertrag „berücksichtigt“ wird (BGH a.a.O. juris-Rz. 70).

2.

Die von der Kammer bevorzugte Auslegung beruht demgegenüber allein auf der Betrachtung zweifelsfrei zum Wohnraummietrecht gehöriger Bestimmungen (§§ 569 Abs. 3 Nr. 2, 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Die Kammer gelangt zu dem vergleichsweise unauffälligen Ergebnis, dass wegen einer Norm für Wohnraummietverträge, nach deren Wortlaut eine Schonfristzahlung „die Kündigung unwirksam“ macht, in einem Wohnraummietverhältnis eine Kündigung unwirksam wird. Die Kammer ist der Ansicht, dass diese Rechtsanwendung nach dem Gesetz möglich und im Ergebnis vorzugswürdig ist. Dies vollzieht sich – auch wenn die Kammer nach Auseinandersetzung mit den Entscheidungen des BGH dessen Ansichten nicht beipflichtet – ohne jeden Zweifel innerhalb der Anwendung geltender Gesetze.

Auch prozessual hat die Kammer die Gesetze stets streng beachtet. Im Falle der Zurückverweisung eines Verfahrens (§ 563 Abs. 1 ZPO) ist sie selbstverständlich für das betroffene Verfahren an die Auffassung des Revisionsgerichts gebunden (§ 563 Abs. 2 ZPO). Ebenso kann kein Zweifel aufkommen, dass eine Abweichung von den Ansichten des Bundesgerichtshofs die Zulassung der Revision erforderlich macht (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Mit diesen Maßgaben bleibt es aber dabei, dass jedes Mitglied der Kammer nach dem Richtereid verpflichtet ist, Entscheidungen nach „bestem Wissen“ zu fällen. Fehlt einer von anderen Gerichten vertretenen Lösung die Überzeugungskraft und führt „besseres Wissen“ in Anwendung des Rechts zu einer abweichenden richterlichen Überzeugung, ist letztere entscheidend. Überraschungen und Erschwernisse, die dadurch für eine konkrete Prozesspartei (hier den Kläger) ausgelöst werden, entsprechen dem gesetzlich eingerichteten System der Rechtsprechung durch unabhängige Gerichte.

3.

Wenn der Kläger zu anderslautenden Erwartungen womöglich auch durch Formulierungen in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 13. Oktober 2021 gelangt ist, die wohl andeuten sollen, die Kammer ignoriere ihre Bindung an die Gesetze und lasse sich von rechtspolitischen Vorstellungen (a.a.O, juris-Rz. 87) leiten, sind dazu folgende Bemerkungen geboten:

a) Mit Ausnahme der bereits erörterten Vorschriften (§§ 543, 563 ZPO) unterliegen die Mitglieder der Kammer keiner anderen Gesetzeslage, als die Mitglieder des Senats beim Revisionsgericht. Dies gilt auch für die richterliche Unabhängigkeit und für die Pflichten, die alle Richter nach den Maßstäben des geleisteten Richtereides einzuhalten haben. In einem fachlichen Disput entscheidet zwar jeder Spruchkörper selbst, wie er die Bemühungen um eine Verbesserung der eigenen Argumente fortsetzen möchte; inakzeptabel ist es aber, dabei die Vertreter abweichender Auffassungen durch die mahnende Erwähnung von Art. 20 Abs. 3 GG in die Nähe eines Verfassungsbruchs zu rücken. Die Beschreibung der durch die Verfassung gezogenen Grenzen für die rechtsprechende Gewalt ist alleinige Aufgabe des in einem konkreten Fall angerufenen Bundesverfassungsgerichts. Wo andere Gerichte eigene Meinungen in diesem Feld äußern möchten, würde größere Zurückhaltung den angemessenen und einzufordernden Respekt der unabhängigen Gerichte voreinander ausdrücken.

b) Auch für das materielle Recht ist sich die Kammer der Bedeutung der Bindung an das Gesetz völlig bewusst. Die vom Bundesgerichtshof (BGH a.a.O. juris-Rz. 87) für seine diesbezüglichen Zweifel zitierten Entscheidungen des BVerfG sind unpassend. Das an die Kammer gerichtete Zitat von den „rechtspolitischen Vorstellungen“, die ein Gericht nicht contra legem zur Geltung bringen darf (BVerfGE 69, 315 ff; juris Rz. 112), hatte in der als „Brokdorf II“ bekannten Entscheidung einen nicht einmal entfernt vergleichbaren Hintergrund. Im Demonstrationsrecht hatte ein Verwaltungsgericht die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung von Widersprüchen gegen sofort vollziehbare Bescheide angeordnet. Die dann maßgebliche Verfahrenslage ergab sich aus § 80 Abs. 6 Satz 2 VwGO (Fassung bis 1982), der ohne Wertungsmöglichkeit anordnete, dass Beschlüsse, nach denen derartige Anträge Erfolg haben, „unanfechtbar“ sind. Eine gleichwohl eingelegte Beschwerden hielt das Oberverwaltungsgericht für zulässig und änderte die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ab. Wenn eine unanfechtbare (also nicht abänderbare) Entscheidung angefochten und abgeändert wird, liegt die Unvereinbarkeit mit dem (damaligen) Gesetz und die Überschreitung der Grenzen zu erlaubter Rechtsfortbildung (BVerfG a.a.O. juris-Rz. 110) auf der Hand.

Warum sich die Kammer einen vergleichbaren Vorwurf bieten lassen müsste, wenn sie die Unwirksamkeit einer mietrechtlichen Kündigung aus einer Norm herleitet, welche im Mietrecht die Unwirksamkeit einer Kündigung anordnet, ist über eine pauschale Andeutung hinaus (BGH a.a.O. juris Rz. 87) nicht begründet worden und dürfte auch nicht begründbar sein. Die Kammer wird sich auch künftig zur Anwendung von § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB keiner besseren Erkenntnis verschließen. Im Kern wird es aber wohl einer überzeugenden Antwort auf die Frage bedürfen, warum sich die hier bevorzugte Rechtsanwendung weiter vom Gesetz entfernt, als diejenige, die trotz des Vorliegens aller Voraussetzungen einer Schonfristzahlung die Wirksamkeit einer auf die nachgezahlten Rückstände gestützten Kündigung für richtig hält.

Die Kammer erhebt sich nicht über das Gesetz, sondern sie folgt in dessen Anwendung mit ausführlicher sachlicher Begründung nicht der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Zu vergleichbaren Vorgängen hat das Bundesverfassungsgericht ebenfalls bereits Stellung bezogen: „…Höchstrichterliche Rechtsprechung ist kein Gesetzesrecht und erzeugt keine damit vergleichbare Rechtsbindung. (…) Die über den Einzelfall hinausreichende Geltung fachgerichtlicher Gesetzesauslegung beruht allein auf der Überzeugungskraft ihrer Gründe sowie der Autorität und den Kompetenzen des Gerichts…“ (so beispielsweise BVerfG v. 15.01.2009, AZ. 2 BvR 2044/07; zitiert nach juris-Rz. 85). Mit der Überzeugungskraft der Sachargumente ist genau der Punkt angesprochen, von dem die Kammer ihre Entscheidungen pflichtgemäß abhängig macht.

B.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 13.10.2021 zeigt keine Argumente oder Zusammenhänge auf, die den Erlass eines Urteils auf Räumung und Herausgabe im vorliegenden Fall rechtfertigen. Die Ausführungen des Senats überzeugen nach den Prämissen und Schlussfolgerungen nicht. Für die verschiedenen Auslegungsmethoden zur Reichweite einer Schonfristzahlung ergibt sich:

1.

In der Betrachtung des Wortlauts führt der Bundesgerichtshof einen Zirkelschluss an. Allein aus der eindeutigen amtlichen Überschrift zu § 569 BGB leitet der Senat ab: „Die gesamte Norm des § 569 BGB betrifft ausschließlich die fristlose Kündigung“ (BGH a.a.O. juris-Rz. 40). Diesem Postulat liegt keinerlei Erwägung zu den anderen Wortlaut-Stellen im Gesetz zugrunde.

a) Die Feststellung des „eindeutigen Wortlauts der amtlichen Überschrift“ ist für sich betrachtet unergiebig. Wenn unterschiedliche Formulierungen im Gesetz zueinander ins Verhältnis gesetzt und Undeutlichkeiten aufgeklärt werden sollen, trägt es nichts zur Lösung bei, jeder einzelnen Textstelle „Eindeutigkeit“ zu bescheinigen. Das Problem ergibt sich gerade daraus, dass der Gesetzgeber an unterschiedlichen Stellen jeweils andere Worte/Kombinationen verwendet hat. Der Umstand, dass es in der Überschrift „außerordentliche fristlose Kündigung“ heißt, ist aus sich heraus nicht wichtiger oder bedeutsamer, als der Umstand, dass es in § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB gerade abweichend „die Kündigung“ heißt. Keine dieser Stellen ist „eindeutiger“ als die andere. In beiden Fällen ist der Wortlaut des Gesetzes eine Tatsache; nur lautet das Gesetz eben nicht an beiden Stellen gleich. Es geht damit nicht um eine Frage von Auffassungen, sondern um Wirklichkeitswahrnehmung.

Die Behauptung, in § 569 BGB liege angesichts einer Überschrift „außerordentliche fristlose Kündigung“ und einem Normbefehl „die Kündigung wird unwirksam“ ein eindeutiger Wortlaut vor, ist unvertretbar. Wenn der Begriff „Wortlaut“ einen ordnenden Sinn behalten soll (der sinnvollerweise die Frage betrifft, auf welches Wort ein Text „lautet“), kann die Vorschrift schon wegen dieser beiden Passagen nicht „im Wortlaut eindeutig“ genannt werden.

b) Erst recht gilt dies für die vom Bundesgerichtshof ergänzte (von der Kammer bislang übersehene) Tatsache, dass der Wortlaut auch innerhalb von § 569 Abs. 3 BGB wechselt. Während es in Nr. 2 „die Kündigung wird auch dann unwirksam“ heißt, kodifiziert Nr. 3 Einschränkungen für eine Kündigung im Kontext einer Mieterhöhung, „wenn nicht die Voraussetzungen der außerordentlichen fristlosen Kündigung“ schon ungeachtet der Mieterhöhung vorgelegen haben. Diese Passagen bestehen unbestreitbar aus unterschiedlich gewählten Worten. Es wäre eine Unsinnigkeit zu behaupten, der Gesetzgeber habe „eindeutig“ zwei verschiedene Formulierungen verwendet, damit beide genau gleich aufgefasst werden. Zwar ist es notwendig und möglich, eine oder mehrere Lösungen für das durch den Wortlaut aufgeworfene Problem zu finden; unter keinen Umständen lässt sich die Lösung aber in dem Wortlaut selbst finden, weil dieser – als Wortlaut – ohne jeden Zweifel nicht eindeutig ist.

c) Der Bundesgerichtshof vermisst „jeglichen Anhaltspunkt dafür“, warum der Normbefehl in Abs. 3 Nr. 2 auch die ordentliche Kündigung betreffen soll, die Regelungen an anderer Stelle in § 569 BGB dagegen nicht. Als erster Anhaltspunkt drängt sich der unterschiedliche Wortlaut geradezu auf. Ein unterschiedlich formulierter Gesetzestext wird vom Bundesgerichtshof an anderer Stelle (BGH a.a.O. juris-Rz. 44) ohne weiteres dahingehend aufgefasst, eine Schonfrist habe nur gegolten, wo sie geregelt war (§ 554 BGB a.F.), und nicht gegolten, wo sie nicht geregelt war (§ 564 b BGB a.F.). Warum dieser Umgang mit verschiedenen Wortlauten in § 569 Abs. 3 BGB nicht einmal als „Anhaltspunkt“ in Erwägung gezogen werden muss, ist unverständlich. Unterschiedliche Formulierungen im Gesetz bedeuten in der Regel Unterschiedliches. Welcher „sprachliche Zusammenhang“ in § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB es sein soll, der hier zur gegenteiligen Annahme führt (BGH a.a.O. juris-Rz. 41) bleibt unbeantwortet.

Ausgeblendet bleibt zudem, was aus der systematischen Stellung einer Norm für den Wortlaut folgt. Die Kammer hat bereits dargestellt (LG a.a.O. juris-Rz. 31f.; 35), dass das Verständnis einer bestimmten Formulierung im Gesetz davon geprägt sein kann, an welcher Stelle im Gesetz die Regelung steht und welche Textfassung an dieser konkreten Stelle überhaupt zu erwarten ist. § 569 BGB steht beispielsweise schon rein räumlich zwischen der vorangestellten Regelung zur fristlosen Kündigung und der nachgestellten Regelung zur ordentlichen Kündigung. Die Norm weist mit den Anordnungen in Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 3 zurück auf die zuvor in § 543 BGB geregelte „außerordentliche fristlose Kündigung“. Warum sollte ausgeschlossen sein, dass genau dieser rückwärts gerichtete Bezug durch die (identische) Wortwahl deutlich wird, während entsprechendes in Nr. 2 für die Schonfristzahlung (ausgedrückt durch eine anders gewählte Formulierung) gar nicht gemeint ist. Der allgemeine Begriff „Kündigung“ würde sich in § 569 BGB nach systematischen Grundsätzen (dazu sogleich) ohnehin auch auf § 573 BGB beziehen. Die ausdrückliche Anführung dieser Vorschrift in § 569 BGB ist daher keineswegs zwingend zu erwarten.

Einer weiteren Vertiefung zu Fragen des Wortlauts bedarf es nicht, weil die Kammer den Schluss, der Wortlaut sei in irgendeinem Sinne „eindeutig“, nie gezogen hat. Die Auslegung kann insoweit zu keinem weitergehenden Ergebnis führen, als dass der Wortlaut des Gesetzes uneindeutig ist. Der Wortlaut wirft eine Frage auf, beantwortet sie aber nicht.

2.

Systematisch bezieht sich § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB eindeutig auf eine aus einem Zahlungsverzug abgeleitete ordentliche Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Die Wirkung der Schonfristzahlung steht in Kapitel 5 im Unterkapitel 1 als „allgemeine Vorschrift“. Die ordentliche Kündigung ist eine der besonderen Vorschriften im direkt nachfolgenden Unterkapitel 2 des Kapitels 5. Für die Entstehung von Abhängigkeiten zwischen Normen wird eine solche Systematik eigens zu dem Zweck gewählt, dass die vorangestellten allgemeinen Vorschriften eine Wiederholung ihrer Inhalte bei jedem der nachfolgenden besonderen Teile ersparen. Die allgemeine Vorschrift gilt infolge der Systematik in den besonderen Regelungen, denen sie vorangestellt ist (LG a.a.O. Rz. 21 ff.).

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs enthält nichts, was auf systematischer Ebene eine andere Auffassung stützen könnte.

a) Die Erwägungen zu einem Regel-Ausnahme-Verhältnis (BGH a.a.O. juris-Rz. 46) sind verfehlt. Einen Grundsatz, wonach eine auf einen bestimmten Zahlungsrückstand gestützte fristlose Kündigung wirksam ist, gibt es nicht. Ein Kündigungsrecht entsteht, wenn bestimmte Voraussetzungen vorliegen. Die darauf gestützte Kündigung wirkt, wenn sie gemäß den gesetzlichen Anforderungen in eine fehlerfreie Kündigungserklärung umgesetzt wird. Ob dies gelingt und ob also eine wirksame Kündigung im Mietverhältnis vorliegt, folgt keiner Regel. Die Wirksamkeit einer Kündigung wegen Zahlungsverzuges ist nicht „Grundsatz“, sondern Voraussetzung der Wirkung einer Schonfristzahlung. Es handelt sich jeweils um Rechtsfolgen, die vom Gesetz als eine ergebnisoffen gestaltete Möglichkeit kodifiziert sind. Treten alle Voraussetzungen ein, tritt auch die Rechtsfolge ein; fehlt eine Voraussetzung, tritt die Rechtsfolge nicht ein.

Wahrscheinlichkeiten berücksichtigt das Gesetz nicht; dementsprechend gibt es weder Grundsätze noch Vermutungen, dass bzw. ob eine Kündigung wegen Zahlungsverzuges wirksam ist oder nicht. Ähnlich verfehlt wäre es anzunehmen, die Kündigung wäre eine Ausnahme von einer Regel des bindenden Vertrages; der bindende Vertrag wiederum sei eine Ausnahme von der Regel der aus der Privatautonomie resultierenden Vertragsfreiheit.

Stattdessen treten Rechtsfolgen ein, wenn sämtliche Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Nichts anderes gilt für eine Schonfristzahlung. Sind die Voraussetzungen einer Schonfristzahlung nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB erfüllt, so treten ihre Wirkungen ein. Die gesetzlich bestimmten Wirkungen sind dabei im Ausgangspunkt ebenso wertfrei, wie das Zustandekommen oder Scheitern eines Mietvertrages und wie das Scheitern oder die Wirksamkeit einer Kündigung. Das Gesetz beschreibt durch kodifizierte Voraussetzungen eine mögliche Entwicklung in einem Dauerschuldverhältnis. Es ordnet dem Erreichen einer bestimmten Phase die Entstehung einer bestimmten Rechtslage zu. Alle Rechtsfolgen sind dabei vom Gesetz gleichermaßen legitimiert; keine von ihnen ist grundsätzlich zu beargwöhnen oder „eng auszulegen“.

b) Abgesehen davon, dass aus einem vermeintlichen Regel-Ausnahme-Verhältnis hier also kein systematisches Argument folgt, bliebe auch unverständlich, warum ein solches ggf. für fristlose und ordentliche Kündigung unterschiedlich ausfallen würde. Wäre die Wirksamkeit einer aus Zahlungsverzug abgeleiteten Kündigung eine „Regel“, und wäre eine Schonfristzahlung eine gesetzlich vorgesehene „Ausnahme davon“, so bedürfte es einer Begründung dafür, warum zwar für beide Kündigungen eine „Regel der Wirksamkeit“ anzunehmen wäre, bei der Ausnahme davon aber verschiedene Ergebnisse einträten. Rein systematisch ließe sich ein Unterschied für das (unterstellt) in beiden Fällen gleich bestehende Regel-Ausnahme-Verhältnis nicht begründen.

Der Bundesgerichtshof (a.a.O. juris-Rz. 46) formuliert stattdessen ohne Sacherwägung oder Begründung schon die vermeintliche Regel einfach so, dass sie allein den Grundsatz der Wirksamkeit einer „fristlosen Kündigung“ des Vermieters betrifft. So wird aber erneut im Rahmen der Prämissen bereits vorgegeben, was eigentlich erst Ergebnis der angestellten Prüfung sein soll.

c) Die systematische Frage, aus welchen Gründen die Schonfristregelung nicht Gegenstand von § 543 BGB geworden ist, hat die Kammer selbst bereits dargestellt (LG a.a.O. juris-Rz. 22). Sie spielt allerdings für die systematische Auslegung zu den hier interessierenden Wirkungen von § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB keine Rolle.

Die vom Bundesgerichtshof (a.a.O. juris-Rz. 47 ff.) insoweit erörterten Fragen stellen sich nicht; es geht nicht darum, in welchem systematischen Verhältnis die Schonfristzahlung zu der Kündigungsvorschrift in § 543 BGB steht und welche Auswirkungen in diesem Verhältnis eine andere gesetzliche Regelung gehabt hätte. Die Wirkungen der Schonfristzahlung auf die ordentliche Kündigung bestimmen sich an dieser Stelle der Auslegung ausschließlich nach dem systematischen Verhältnis von § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB zur Kündigungsvorschrift in § 573 Abs. 2 Nummer 1 BGB. Dieses Verhältnis ist (rein systematisch) eindeutig (s.o.); der Bundesgerichtshof übergeht dies.

d) Als ein systematisches Argument lässt sich auch die Erwägung auffassen, nicht jede ordentliche Kündigung führe zur Beendigung des Mietverhältnisses, denn bei § 573 BGB könne der Mieter sich auf unverschuldete wirtschaftliche Notlagen berufen (BGH a.a.O. juris-Rz. 82). Ganz unabhängig von der Frage, ob es den behaupteten Unterschied zwischen einer „schuldhaften Pflichtverletzung“ und einem („schuldlosen“?) Zahlungsverzug in dieser Allgemeinheit überhaupt gibt, wird mit dieser Betrachtung der falsche „Problemfall“ untersucht. Die Widersprüchlichkeit der Auffassung des BGH zeigt sich nicht in dem Fall, in dem der Zahlungsverzug auf einer „unverschuldeten Notlage“ beruht, sondern in jenem, dass ein zweifelsfrei schuldhafter Zahlungsrückstand entstanden war (LG a.a.O. juris-Rz. 81 f.). Auch in diesem Fall bleibt nach einer Schonfristzahlung wegen § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB genau diejenige Befugnis erfolglos, die das Gesetz als angemessene Reaktion auf den schwerwiegenden Vertragsstoß ansieht, nämlich die fristlose Kündigung. Für diesen verschuldeten und schwerwiegenden Rückstand (und eben nicht für einen unverschuldeten) müsste eine überzeugende Antwort gefunden werden, warum der genau gleiche Lebenssachverhalt nach den Maßstäben von § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB und unter denselben Voraussetzungen zugleich schädlich und unschädlich für den Bestand des Mietverhältnisses sein soll. Eine solche Begründung findet sich nicht, weil die Frage des Verschuldens oder der Vorwerfbarkeit in der Regelung zur Schonfristzahlung keine Rolle spielt.

3.

Die ergänzenden Betrachtungen des Bundesgerichtshofs zu dem aus seiner Wahrnehmung maßgeblichen Sinn und Zweck der vom Reformgesetzgeber 2001 geschaffenen Regelungen sind unverständlich.

a) Zur Vermeidung von Obdachlosigkeit herrscht im Ausgangspunkt offenbar Einigkeit darüber, dass „…der Sache nach in der Regel kein Unterschied zwischen einer fristlosen und einer ordentlichen Kündigung…“ besteht (BGH a.a.O. juris-Rz. 57). Mit welchen Sinn direkt anschließend ohne jede Sacherwägung daran festgehalten wird, die vorstehende Aussage ändere nichts daran, dass eine Obdachlosigkeit bei einer ordentlichen Kündigung „in geringerem Maße droht“ (BGH a.a.O. juris-Rz. 58), bleibt unerklärt.

Die Gefahr von Obdachlosigkeit beschreibt stets ein konkretes tatsächliches Geschehen. Dieses setzt – sofern es „droht“, also gegen den Willen des Mieters erfolgen soll – immer einen Vollstreckungstitel voraus. Am Ende des gerichtlichen Verfahrens (also bei Erlass des Urteils) sind Kündigungsfristen von wenigen Monaten stets verstrichen. Obdachlosigkeit könnte deshalb durch eine ordentliche Kündigung nur dann „in geringerem Maße drohen“, wenn der Mieter auf die fristlose Kündigung freiwillig sofort, auf die fristgemäße Kündigung demgegenüber (ebenfalls freiwillig) erst zum Ende der Kündigungsfrist räumen würde. Dann (nur dann) würde die Obdachlosigkeit im einen Fall sofort und im anderen Fall nach einigen Monaten Kündigungsfrist eintreten.

So verhält sich allerdings offensichtlich kein Mieter, der eine andere Unterkunft (noch) nicht zur Verfügung hat. Der freiwillige Auszug, bei dem sich der Unterschied zeigen könnte, erfolgt niemals in die Obdachlosigkeit hinein. Diese Erkenntnis wurde aus dem Kreis des Bundesgerichtshofs mit den Worten „…so gut wie kein Mieter wird am Tag nach Erhalt einer begründeten fristlosen Kündigung ausziehen…“ schon vor Jahren sachlich zutreffend formuliert (Milger, NZM 2013, 553 ff.; 556). Bei einer freiwilligen Reaktion des Mieters auf die Kündigung gibt es keine Obdachlosigkeit; bei der unfreiwilligen (im Vollstreckungswege) gibt es keinen Unterschied zwischen den Kündigungen, insbesondere keinen „in geringerem Maße“ drohenden Nachteil. Welche Fälle es dennoch sein sollen, in denen Obdachlosigkeit bei einer Kündigungsfrist „im geringerem Maße“ droht, bedürfte einer Erläuterung, die der Bundesgerichtshof nicht gibt.

b) Zu der von der Kammer dargelegten Absicht des Gesetzgebers, den erwünschten dauerhaften Verbleib des Mieters in der Wohnung als Folge der Schonfristzahlung herbeizuführen (LG a.a.O. Rz. 44 mit wörtlichen Zitaten aus der Gesetzesbegründung), belässt es der Bundesgerichtshof bei der Andeutung, dafür gebe es in der Entscheidung keine belastbaren Anhaltspunkte (BGH a.a.O. juris-Rz. 59).

Die Kammer hat allerdings umfangreich aus den Gesetzesmaterialien des Reformgesetzgebers von 2001 z.B. den „Trost“ an den Vermieter herausgearbeitet, dass diesem die Unwirksamkeit seiner Kündigung nach vollständigem Erhalt der Rückstände ja nicht mehrfach in kürzerer Folge, sondern allenfalls im Abstand von mindestens 2 Jahren zugemutet wird. Diese vom Gesetzgeber ausdrücklich in den Blick genommene Situation kann denklogisch nur eintreten, wenn der gekündigte Mieter zunächst wegen der (ersten) Schonfristzahlung in der Wohnung verbleibt. Die vom Bundesgerichtshof für richtig gehaltene Lösung entzieht diesen klar und ausdrücklich angestellten Erwägungen des Gesetzgebers zur Schonfristzahlung jede Grundlage. Wenn es vom Gesetzgeber auch nur für möglich gehalten worden wäre, dass ohne zusätzlichen Begründungsaufwand und für den Vermieter völlig risikolos stets „hilfsweise ordentlich“ gekündigt werden kann, und dass dann kein Verbleib in der Wohnung mehr möglich ist, hätte es einer Beschwichtigung des Vermieters wegen der einmalig erfolgenden Zurückstellung seiner Interessen nicht bedurft.

Nichts anderes gilt für den ausdrücklichen Wunsch des Gesetzgebers, dass Sozialbehörden sich stärker und erfolgreicher (u.a. innerhalb einer verdoppelten Frist) im Bereich von Schonfristzahlungen engagieren sollen. Wenn sie dies einerseits tun sollen, andererseits es aber nach dem Inhalt der Vorschriften im SGB nur zum „Erhalt der Wohnung“ auch tun dürfen, dann ist der ausdrückliche Wunsch des Gesetzgebers nicht anders verständlich, als dass der Verbleib des so geschützten Mieters in der Wohnung gewollt ist. Die vom Bundesgerichtshof vermissten „Anhaltspunkte“ wurden bereits umfangreich dargestellt und haben unverändert Gültigkeit.

c) Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs existiert die von der Kammer unter dem Gesichtspunkt der Einheitlichkeit der Rechtsordnung herausgearbeitete Verzahnung zwischen Wohnraummietrecht und Sozialrecht nicht. Gerade der im Urteil der Kammer vom 30.3.2020 entschiedene Fall belege, dass es einen entscheidungserheblichen Regelungszusammenhang zwischen dem BGB und dem SGB nicht gibt, weil im entschiedenen Fall eine Eintrittspflicht der Sozialbehörden überhaupt nicht bestanden hat (BGH a.a.O. juris-Rz. 75 f.).

Dies trifft zwar sachlich zu, verfehlt aber den Kern der Sacherwägung. Die Regelung zur Schonfrist im BGB hat (ursprünglich) ihren bei weitem häufigsten Anwendungsfall dadurch gefunden, dass zuständige Sozialbehörden eine Nachzahlung der Miete nach dem SGB ausgelöst haben. So konnte die im Sozialrecht den Behörden zugeschriebene Möglichkeit des Wohnungserhalts für einen Leistungsbezieher umgesetzt werden. An die Stelle solcher behördlichen Eingriffe in mietrechtliche Problemfälle ist in der Praxis inzwischen die allgemeine Weigerung der Sozialbehörden getreten, durch Schonfristzahlungen den Verbleib des Leistungsbeziehers in der Wohnung zu sichern. Der Grund liegt darin, dass das Ziel unerreichbar geworden ist, und zwar allein als Folge der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Die im Gesetz angelegte und ursprünglich funktionierende Verzahnung der sozialrechtlichen und der zivilrechtlichen Schutzmöglichkeiten für einen säumigen Mieter können nicht mehr wirken. Nach einer viele Jahre dauernden Übergangszeit, in der die Behörden diesen Zusammenhang allmählich realisierten und konsequenter umsetzten, treten inzwischen schon die Tatbestände einer Schonfristzahlung in den ursprünglich häufigsten Anwendungsfällen überhaupt nicht mehr ein. Übrig bleiben naturgemäß für entsprechende Fragestellungen in der gerichtlichen Praxis die wenigen Fälle des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB, in denen eine Schonfristzahlung ohne Sozialbehörden realisiert werden konnte.

Wenn also diese Fälle diejenigen sind, die in der Praxis überhaupt noch vorkommen, so ist das die Konsequenz aus dem Umstand, dass das sozialrechtliche Instrument von der höchstrichterlichen Rechtsprechung faktisch beseitigt worden ist. Wenn der Bundesgerichtshof nun den gesetzlichen Regelungszusammenhang nicht (mehr) erkennen kann, weil er diesen Zusammenhang in der Praxis durch seine Ansichten selbst aufgelöst hat, ist dies kein Argument für den entsprechenden Standpunkt, sondern eines dagegen.

Der Kerngedanke des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Rechtsordnung besteht darin, die Möglichkeit unterschiedlicher Rechtsfolgen eines Gesetzes so aufzulösen, dass alle übrigen geltenden Gesetze ihren Anwendungsbereich nicht verlieren. Gelingt dies bei einer der möglichen Lösungen und bei einer anderen nicht, so ist die Erstere zu bevorzugen, bei der auch alle übrigen Normen Sinn und Wirkung behalten. Die Kammer hat dies sehr ausführlich entwickelt und dargestellt (LG a.a.O juris-Rz. 72 ff.). In der Entscheidung des Bundesgerichtshofs findet sich kein Konzept und keine Hypothese dazu, wie die weiter in Kraft befindlichen sozialrechtlichen Regelungen zum Erhalt der Wohnung noch einen praktischen Anwendungsbereich finden sollen, solange der Wohnungsverlust für den gekündigten Leistungsbezieher wegen der hilfsweise ordentlichen Kündigung nicht abgewendet werden kann. Wie also die Einheit der Rechtsordnung neben der Rechtsprechung des Senats gewahrt bleibt und wie die Sozialbehörden ihren Auftrag zum „Erhalt der Wohnung“ im Einzelfall sollten erfüllen können, ist auch nach der Entscheidung vom 13. Oktober 2021 ersichtlich nicht beantwortet.

Das Argument ist an dieser Stelle ein abstrakt-generelles. Es hat selbstverständlich nichts mit der Frage zu tun, welche Situation (mit oder ohne Sozialbehörden) im Einzelfall zu dem dort zu beurteilenden Zahlungsverzug geführt hat.

4.

Die historische Entwicklung der Gesetzgebung zur Schonfristzahlung bis in die jüngste Vergangenheit rechtfertigt kein anderes Ergebnis.

a) Die Historie bis zur Reformgesetzgebung 2001 (dazu überzeugend auch in den Schlussfolgerungen Blank, WuM 2005, 250ff.) erscheint seit der grundlegenden Umgestaltung des Mietrechts 2001 kaum noch aussagekräftig. Durch die Schaffung eines neuen Systems, durch die in Kraft gesetzten Vorschriften und durch die (an anderer Stelle bereits eingehend behandelten) Äußerungen des Reformgesetzgebers zu seinen Absichten sind frühere ganz andere Absichten des Gesetzgebers in ganz anderem gesellschaftlichen Kontext überholt.

b) Allerdings führt der Bundesgerichtshof das Argument an, dass insoweit schon immer ein gerechter Interessenausgleich zwischen den Parteien des Mietvertrages beabsichtigt gewesen sei, der bis zur Reform 2001 nie einen Ausdruck darin gefunden habe, eine Schonfristzahlung auch bei der ordentlichen Kündigung gelten zu lassen (BGH a.a.O. juris-Rz. 67 ff.). Verknüpft mit der Behauptung, der Reformgesetzgeber habe eine inhaltliche Änderung des Rechtszustandes insoweit nie beabsichtigt, (BGH a.a.O. juris-Rz. 60f.), soll daraus folgen, dass die Schonfristzahlung für § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB genau so und aus denselben Gründen nicht gilt, wie sie bis zur Gesetzesreform in § 564 b BGB a.F. nicht gegolten hat.

Das angeführte Zitat, wonach „eine Änderung des Rechtszustandes“ ausdrücklich nicht beabsichtigt gewesen sei, trifft in dieser Form aber nicht zu. Die fragliche Stelle (BT-Ds Seite 64; ausführlich behandelt LG a.a.O. juris-Rz. 51 ff.) lautet: „mit Ausnahme der Verlängerung der Schonfrist ist damit an dieser Stelle gegenüber dem bisherigen Recht keine inhaltliche Änderung verbunden“. Der Gesetzgeber beschreibt also „ an dieser Stelle“ die schlichte Tatsache, dass die Regelung in § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB (n.F.) mit Ausnahme der Dauer im Übrigen wortgleich mit § 554 BGB a.F. übereinstimmt.

Im Übrigen beruht die Erwägung des Bundesgerichtshofs auf einer weiteren Prämisse, die allenfalls möglich, keinesfalls aber zwingend ist. Die Feststellung, dass eine Schonfristzahlung nach § 564 b BGB a.F. nicht vorgesehen und also für eine ordentliche Kündigung keine Bedeutung hat, setzt voraus, dass die Kündigung wegen des nachgezahlten Zahlungsrückstandes überhaupt einen Anwendungsfall von § 564 b BGB a.F. dargestellt hat. Schon dieser Ausgangspunkt ist lediglich möglich, aber keineswegs zwingend. Eine umfassende Untersuchung zu demjenigen, was in der Vorschrift enthalten war und was nicht, hätte wohl auch in Erwägung zu ziehen, dass die Regelung zur fristlosen Kündigung (in § 554 BGB a.F.) für die dort geregelten Fälle des Zahlungsverzuges eine Sonderregelung mit verdrängender Wirkung darstellen konnte. Der ausformulierte Kündigungstatbestand für die fristlose Kündigung und die damit verknüpfte strenge Rechtsfolge konnten für diese Fallgruppe nach den Grundsätzen der Spezialität zu behandeln sein. Ein Rückgriff auf Vorschriften, die daneben lediglich allgemein „Pflichtverletzungen“ betreffen, wäre dann nicht nur überflüssig, sondern unzulässig. Das Regelungssystem in § 564 b BGB a.F. lässt sich ohne weiteres ausschließlich auf solche Pflichtverletzungen beziehen, die nicht mit speziellen Voraussetzungen und anderer Rechtsfolge im Gesetz an anderer Stelle (z.B. in § 554 BGB a.F.) geregelt waren. Das Schweigen in § 564 b BGB a.F. zu Fragen der Schonfristzahlung wäre dann die schlüssige Konsequenz daraus, dass in Schonfristfällen schon die Kündigung wegen des (später ausgeglichenen) Rückstandes nichts mit dieser Vorschrift, sondern (nur) mit der Regelung zur fristlosen Kündigung in § 554 BGB a.F. zu tun hatte. Für das Verhältnis zwischen den §§ 543, 573 BGB ergibt sich keineswegs zwingend etwas anderes; Fälle eines verschuldeten Zahlungsverzuges könnten mit den Regeln zur fristlosen Kündigung (die den betroffenen Vermieter im Grundsatz ja privilegieren) spezialgesetzlich geregelt sein.

c) Die vom Bundesgerichtshof als „jüngere Gesetzgebungsgeschichte“ erörterten Vorgänge hat die Kammer zwar durchgehend verfolgt; die dabei zutage getretenen Erwägungen und Meinungsbilder haben aber nicht zu einer „Gesetzgebung“ geführt.

(1) Die hier entscheidungserheblichen Vorschriften sind (mit Ausnahme einzelner Regelungen im SGB) seit 2001 in keiner Weise geändert worden. Der Umstand, dass gesetzliche Vorschriften existent und nicht verändert worden sind, zwingt die Gerichte dazu, den vorzugswürdigen Inhalt der Gesetze in ihrer unveränderten Gestalt zu bestimmen und anzuwenden. Dafür ist es untunlich, schlichte Mutmaßungen darüber anzustellen, was der „heutige Gesetzgeber“ womöglich aktuell zu einer Vorschrift meint, die seit 20 Jahren in Kraft ist und seitdem nie geändert worden ist. Soweit der Erlass von Gesetzen Nebenwirkung auf eine (selbst unverändert gebliebene) Regelung haben kann, sind solche selbstverständlich sorgfältig zu ermitteln. Die Vorstellung aber, schon die Unterlassung einer Gesetzgebung bringe in gleicher Weise wie ein Gesetz zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber mit einer bestimmten unter mehreren bei den Gerichten herrschenden Ansichten zu einer Norm explizit einverstanden sei, erscheint fernliegend. Die Gerichte handeln durch Rechtsanwendung (und in gewissem Umfang durch Rechtsfortbildung) im Rahmen ihrer Entscheidungen. Das Schweigen des Gesetzgebers zu den dabei hervortretenden unterschiedlichsten Auffassungen bedeutet für die Entstehung bindenden Gesetzesrechts nichts. Der Gesetzgeber handelt durch Gesetze. Nur wo er dies tut hat sein Handeln die aus der demokratischen Legitimation der Parlamente gespeiste Bindungswirkung. Der Gesetzgeber kann zwar die Entwicklungen der Rechtsprechung verfolgen; eine Erwartung der Gerichte, dies werde selbstverständlich geschehen, um sich dann laufend als Gesetzgeber zu den auftretenden Ansichten der Gerichte zu positionieren, ist aber unberechtigt. Genau diese Erwartung liegt der These zu Grunde, durch Schweigen habe der Gesetzgeber eine ihm bekannte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs mit Gesetzeskraft gebilligt. Mit solchen Annahmen nimmt ein Gericht für sich die Befugnis in Anspruch, als ein „Ersatzgesetzgeber“ geltende Gesetze zu beeinflussen, indem bloße gerichtliche Auffassungen früher oder später als „zum Ausdruck gebrachter Wille“ bindende Gesetzeskraft erlangen, falls der Gesetzgeber ihnen nicht explizit widerspricht.

(2) Abgesehen davon trifft allerdings auch der Befund keineswegs zu, wonach der Gesetzgeber außerhalb des Erlasses eines Gesetzes habe erkennen lassen, eine bestimmte (gar mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs übereinstimmende) Auffassung zu den Wirkungen einer Schonfristzahlung für richtig zu halten. Das dafür zitierte BT-Plenarprotokoll 19/68 (BGH a.a.O. juris-Rz. 84 ff.) betrifft einen Gesetzgebungsvorgang, der in den Erlass der Vorschriften des MietAnpG mündete. Die Wirkungen einer Schonfristzahlung lagen außerhalb des für dieses Gesetz bestimmten Regelungsbereiches und haben in ihm dementsprechend keine Rolle gespielt. Der gesamte Gesetzgebungsvorgang betraf Fragen zur sogenannten Mietpreisbremse, an keiner Stelle aber inhaltliche Positionen zu den Wirkungen einer Schonfristzahlung nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB.

(3) Dies hinderte eine der Oppositionsfraktionen nicht daran, aus Anlass der Behandlung des MietAnpG eine (nach ihrer Vorstellung einzufügende) Ergänzung von § 573 BGB um eine ausdrückliche Bezugnahme auf die Schonfristregelung zu beantragen.

Das vom BGH zitierte Plenarprotokoll enthält auf 10 Seiten eine umfassende inhaltliche Aussprache zur Mietpreisbremse. Die Inhalte der (mehreren) Änderungsanträge sind demgegenüber sämtlich weder diskutiert noch auch nur erwähnt worden. Sie wurden stattdessen ohne inhaltliche Erörterung von der Koalitionsmehrheit abgelehnt. Ohne eine sachliche Erwägung zu Fragen der Schonfristzahlung angestellt zu haben, wurde das MietAnpG sodann beschlossen.

Dieser Vorgang stellt für die Frage nach den Wirkungen einer Schonfristzahlung keinen Akt der Gesetzgebung dar, durch dessen „Gesetzgebungsergebnis“ die Judikative an ein Gesetz gebunden würde. Als ein Handeln des Gesetzgebers, das diese Folgen selbstverständlich auslösen würde, wären viele klarstellende Gesetzesanpassungen denkbar. § 573 BGB könnte um einen Halbsatz ergänzt werden, wonach z.B. (mit dem Ziel der Kodifizierung der Auffassung des Bundesgerichtshofs) klargestellt wird, dass § 569 BGB (aus dem allgemeinen Teil der Regelungen für Kündigungen von Wohnraum) nicht anzuwenden ist. So würde der durch die Systematik erweckte Anschein beseitigt. Ebenfalls eine Abbildung materiellrechtlicher Absichten des Gesetzgebers wäre es, wenn § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB ausdrücklich dahingehend geändert würde, dass es auch dort statt „Kündigung“ nun ausdrücklich „fristlose Kündigung“ heißt. Beides wäre ein vom Parlament erlassenes und die Judikative bindendes Gesetz zu dem hier interessierenden Regelungsbereich.

Es ist mit solchen parlamentarischen Vorgängen nicht gleichbedeutend, dass Regelungen nicht getroffen werden. Aus welchen inhaltlichen Erwägungen oder aber aus welchen formalen, strategischen, politischen oder arbeitspraktischen Gründen Dinge im Parlament „nicht geschehen“, kann auch der Bundesgerichtshof allenfalls erraten. Seine Ausführungen stellen demgemäß allein die (durch keine Tatsachen untermauerte) eigene Ansicht dar, aus welchen Gründen der Änderungsantrag der Oppositionsfraktion keinen Erfolg gehabt habe. Der Senat möchte annehmen, dass die Parlamentsmehrheit die mit der Änderung begehrte Klarstellung inhaltlich nicht gewollt und aus diesem Grund nicht als Gesetz erlassen hat. Durch solche Thesen entsteht aber keine Bindung an einen lediglich gemutmaßten Willen einer Parlamentsmehrheit. Der Gesetzgeber bindet die Gerichte durch formelle Gesetze. Genau dies hat er auch im Rahmen der vom Bundesgerichtshof zitierten Plenarsitzung getan. Das einzige im Zusammenhang mit dem zitierten Plenarprotokoll bindende Gesetz ist das MietAnpG, das zu der hier zu prüfenden Frage unbestreitbar nie eine (auch nur entfernt klarstellende) Regelung enthalten sollte und nie eine solche enthalten hat.

(4) Bestätigt wird dies durch einen kurz zuvor im Deutschen Bundestag protokollierten Vorgang (BT-Ds 19/5415). Diese Drucksache (vom 1. November 2018) beinhaltet Äußerungen wenige Wochen vor dem vom Bundesgerichtshof betrachteten Plenarprotokoll (vom 29.11.2018). Anfang November 2018 ging es dabei darum, dass anlässlich der Beteiligung des Bundesrates zum MietAnpG von diesem ebenfalls eine Aufforderung formuliert worden war, wie sie dann am 29.11.2018 Inhalt des Änderungsantrages der Oppositionsfraktion wurde. Der Bundesrat hatte gebeten, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, wie die Schlechterstellung nach der Begleichung von Mietschulden bei der ordentlichen Kündigung gegenüber einer außerordentlichen beseitigt werden kann (BT-Ds a.a.O. S. 4 unten). Die Bitte, die vom Bundesrat offenbar missbilligten Folgen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu beseitigen, wurde wörtlich wie folgt beantwortet (BT-Ds a.a.O. S. 8).:

„Die Bundesregierung wird diesen Vorschlag prüfen. Die im Gesetzentwurf enthaltenen Verbesserungen sind jedoch besonders dringlich und sollen daher möglichst bald in Kraft treten. Vor diesem Hintergrund sollen keine weiteren Regelungen aufgenommen werden, die thematisch nicht mit den vorgeschlagenen Regelungen eng zusammenhängen.“

Selbst wenn man also theoretisch für möglich hielte, dass auch ein „absichtliches“ Unterlassen des Gesetzgebers wie ein bindendes Gesetz zu behandeln sei, lag eine dahingehende Absicht hier zweifellos nicht vor. Es ging offensichtlich nicht darum, auszudrücken, dass die vom Bundesrat verlangte Änderung vom Parlament (bzw. der für die Gesetzgebung erforderlichen Mehrheit) inhaltlich abgelehnt würde. Es sollte offenkundig bei Gelegenheit des MietAnpG überhaupt keine inhaltliche Bewertung dieses in keiner Weise vorbereiteten oder gar ausdiskutierten Themas erfolgen. Das Problem der Wirkungen einer Schonfristzahlung hatte keinerlei Berührungspunkte zu dem Inhalt des in Rede stehenden MietAnpG. Ersichtlich lässt sich also die Weigerung des Parlaments, bei dieser Gelegenheit unvorbereitet ganz neue Themen zu berücksichtigen, umgangssprachlich dahin formulieren, dass derartiges „nicht jetzt; nicht ohne Vorbereitung im Gesetzgebungsverfahren; nicht im MietAnpG“ erfolgen sollte.

In der Konsequenz sind die Regelungen zur Schonfristzahlung bis heute unverändert geblieben. Es ist reine Spekulation, ob insoweit die angekündigte „Prüfung des Vorschlags“ des Bundesrates noch nicht abgeschlossen ist, ob diese Prüfung keinen für eine Gesetzgebung ausreichenden politischen Konsens ergeben hat oder ob noch ganz andere Gründe vorliegen. Eine nicht erfolgte „ändernde Gesetzgebung“ verweist die Gerichte auf die Maßgeblichkeit des nicht geänderten Gesetzes, bestimmt für sich betrachtet aber nicht dessen Inhalt.

C.

Auch die auf übergeordnete Gesichtspunkte bezogenen Ausführungen des Bundesgerichtshofs geben keinen Anlass, sich „letztlich“ doch seinen Ansichten anzuschließen.

1.

Der Bundesgerichtshof hält es für einen grundlegenden Mangel des Urteils vom 30.03.2020, dass darin das Zusammenspiel der Auslegungskriterien grundlegend verkannt worden sei. Die Kammer habe das systematische Argument als maßgebliches Auslegungskriterium herangezogen und sich durch das Herausgreifen dieses einen Kriteriums den Blick verstellt (BGH a.a.O. juris-Rz. 35 ff.). Insbesondere den Wortlaut der Vorschrift als den Ausgangspunkt der Auslegung habe die Kammer weder hinreichend erfasst noch in der gebotenen Weise berücksichtigt (BGH a.a.O. juris-Rz. 38).

Ausgangspunkt dieser Kritik ist die zitierte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach die anerkannten Auslegungsmethoden einander nicht ausschließen, und wonach keine der Methoden einen unbedingten Vorrang vor einer anderen Methode hat (BGH a.a.O. juris-Rz. 32 m.w.N. zu BVerGE). Aus diesem Grund hat die Kammer in der Entscheidung vom 30.3.2020 alle Auslegungsmethoden zunächst einer getrennten Betrachtung unterzogen, um dann in einer Gesamtschau zu begründen, wie sich die einzelnen methodischen Ergebnisse zueinander verhalten und welches Gesamtergebnis sie rechtfertigen. Zwar hat sie dabei mit einer systematischen Betrachtung begonnen, dies allerdings nur deshalb, weil die systematische Methode schnell zu einer eindeutigen Antwort führt, sodass ein schlanker Ausgangspunkt für die Darstellung gewonnen wird. Ließe es sich nachvollziehbar begründen, dass sich auf der Ebene des Wortlauts des Gesetzes ein eindeutiges Ergebnis zeigt, so wäre ein Beginn der Untersuchung mit dieser Auslegungsmethode wohl sinnvoll und würde auch der Üblichkeit entsprechen. So verhält es sich aber nicht; die Annahme, § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB zeige einen eindeutigen Wortlaut, ist nicht vertretbar (s.o.).

Führt also die Methode einer Auslegung nach dem Wortlaut zu keinem eindeutigen Ergebnis, so ist am Ende dieser Untersuchung für die Beantwortung der Fragen (noch) nichts gewonnen. Die übrigen Auslegungsmethoden müssen also darüber entscheiden, wie die mit dem Wortlaut nicht gefundene Antwort lauten muss.

Es dürfte im Übrigen die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätze zur Gleichwertigkeit aller Auslegungsmethoden gefährden, die Konsequenzen aus einem (vermeintlich eindeutigen) Wortlaut so verstehen, wie es der Bundesgerichtshof tut (BGH a.a.O. juris-Rz. 33). Danach soll der Wortlaut eine grundsätzliche „Grenze“ bilden, innerhalb der ein vom Gesetz verwendeter Begriff überhaupt nur ausgelegt werden könne. Auf Einzelheiten dazu kommt es hier aber nicht an, weil ein eindeutiger Wortlaut, der überhaupt als eine solche unmissverständliche Grenze verstanden werden könnte, in § 569 BGB nicht vorliegt (s.o.).

Die Gesamtschau auf die Auslegungskriterien hat die Kammer weder verkannt noch ausgelassen. Es ist dabei allerdings kein Erkenntnisgewinn damit verbunden, zuerst festzustellen, dass ein uneindeutiger Wortlaut einer Norm vorliegt, um erst danach aufzuzeigen, dass eine systematisch eindeutige Stellung der Norm im Gesetz existiert. Stattdessen zuerst aufzuzeigen, was die „normale“ Folge aus der systematischen Stellung der Vorschrift sein müsste, um dann zu untersuchen, ob die systematisch erwartbaren Folgen wegen des Wortlauts und/oder anderer Auslegungsmethoden in Zweifel gezogen sind, führt zu nichts anderem. Das Auslegungsergebnis der Kammer ist nicht die Konsequenz aus einem verengten Blickwinkel, sondern daraus, dass zahlreiche Aspekte für die Unwirksamkeit (auch) der ordentlichen Kündigung sprechen, und dass an keiner Stelle sich ein zwingendes Gegenargument zeigt.

2.

Der Bundesgerichtshof meint, die „Beseitigung gewisser (…) Wertungswidersprüche“, von deren Vorliegen er unter Hinweis auf den Beitrag von Milger (NZM, 2013, 553 ff.) offenbar ebenfalls überzeugt ist, sei nicht Aufgabe der Rechtsprechung. Die dafür maßgebliche Erwägung, dass „der Gesetzgeber (erneut) eine eindeutige Entscheidung getroffen“ habe, trifft allerdings nicht zu (s.o.).

Ohne diese Prämisse erschiene die Einschätzung, dass die Gerichte nicht berufen seien, in der Anwendung des Rechts drohende Wertungswidersprüche zu vermeiden, wohl unvertretbar. Es dürfte grundsätzlich die zentrale Aufgabe der Gerichte sein, zu einer möglichst widerspruchsfreien und alle Voraussetzungen und Folgen der Rechtsanwendung in den Blick nehmenden Entscheidung zu gelangen. Ob es überhaupt realistischerweise einen Fall gibt, bei dem in sich widersprüchliche Entscheidungen der Gerichte allein deshalb nicht vermeidbar sind, weil ein eigenwilliger Gesetzgeber beharrlich daran festhält, dass die in seiner Gesetzgebung enthaltenen Wertungswidersprüche auch nach jahrelanger fachlicher Diskussion unangetastet bleiben, bedarf keiner Entscheidung. Eine derartige verblüffende Situation liegt hinsichtlich der Wirkungen einer Schonfristzahlung auf mietrechtliche Kündigungen nicht vor. Die zugleich beklagten, gerichtlich aber als unantastbar aufgefassten Wertungswidersprüche sind in der Sache erstmals 2005 vom Bundesgerichtshof in den Raum gestellt, dabei zunächst aber als widersprüchlich wohl noch nicht erkannt worden. Als die fachliche Diskussion zahlreiche Sichtweisen aufgezeigt hatte, bei denen die Wertungswidersprüche ausbleiben würden, hat der Beitrag von Milger (a.a.O.) Einen Überblick zu dem 2013 (nach weiteren Entscheidungen des Bundesgerichtshofs) erreichten Meinungsstand geliefert. Zu Unrecht wird dieser Beitrag seither behandelt, als sei darin ein zwingend vom Gesetzgeber selbst stammender Wertungswiderspruch herausgearbeitet und als unabänderlich eingeordnet worden. Dort ist stattdessen beschrieben worden, dass und warum eine Kombination von fristloser und fristgemäßer Kündigung aufgrund des identischen Zahlungsrückstandes keineswegs stets im Interesse des Vermieters liegen müsse. Es gebe bisher keine verlässlichen Erkenntnisse darüber, ob vermehrt eine kombinierte Kündigung ausgesprochen werde, „…um die Schonfrist zu unterlaufen…“; es sei „…noch nicht bekannt geworden, dass die Schonfristzahlung im Rechtsalltag massiv an Bedeutung verloren hat…“ (Milger a.a.O. S. 558). Der Gedanke, wonach die aus der Lösung des Bundesgerichtshofs folgenden Wertungswidersprüche als unabänderlich in der Rechtsanwendung der Gerichte fortgeschrieben werden müssten, weil die Widersprüche unmittelbar vom Gesetzgeber stammten, ist in dem Beitrag keineswegs formuliert worden. Diese Idee hat stattdessen erst nachträglich ein in gewisser Weise begründungsfreies Eigenleben begonnen.

Für die Kammer steht fest, dass Wertungswidersprüche in der Lösung der höchstrichterlichen Rechtsprechung mit Recht beklagt werden, und dass sie nicht vom Gesetzgeber geschaffen (und gewollt) sind. Sie resultieren aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung, also nicht aus der gesetzlichen Regelung selbst, sondern aus einer auf sie bezogenen gerichtlichen Auffassung.

3.

Zu den rechtspraktischen Folgen der Ansichten des Bundesgerichtshofs hat die Kammer bereits ausführlich dargestellt, dass diese die vom Gesetzgeber 2001 ausgesprochenen Hoffnungen (dazu bereits ausführlich LG a.a.O. juris-Rz. 51 ff.) inzwischen in ihr absurdes Gegenteil verkehrt haben. Von der Vorhersehbarkeit des Ausgangs eines Räumungsrechtsstreits kann unter dem Kriterium von „mildem Licht“ naturgemäß keine Rede sein. In Zeiten des Wohnraummangels werden Räumungsstreitigkeiten gerade dann auf alle erdenklichen Nebenschauplätze und Einzelheiten ausgeweitet, wenn deren Anhäufung und Aufbauschung möglicherweise am Ende eines langen und komplizierten Gerichtsverfahrens „bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalls“ eine Hoffnung auf Erfolg offen hält.

In einem Rechts- und Lebensbereich von oft existenzieller Bedeutung werden den Parteien unkalkulierbare Risiken aufgebürdet, wo dem Reformgesetzgeber 2001 durch Rechtsklarheit eine Möglichkeit zur Verringerung von Streitigkeiten und Gerichtsverfahren vorschwebte. Die Parteien erhalten mit einem grenzenlosen Feld auszubreitender und unter Umständen aufzuklärender tatsächlicher Vorgänge das vollständige Gegenteil von einem vorhersehbar und zügig ablaufenden Gerichtsverfahren. Am Ende entscheidet (mit der Zubilligung oder Versagung von „mildem Licht“) ein von keiner Vorschrift zu Kündigungen und Schonfristzahlungen im Mietrecht auch nur andeutungsweise vorgesehener Gnadenakt.

Die gegenteiligen Anliegen des Gesetzgebers und die Erwartungen an einen sachgerechten und funktionsfähigen Rahmen für die Rechtsgewährung beantwortet der Bundesgerichtshof mit einer Erinnerung daran, dass im Rechtsstaat des Grundgesetzes das Recht die Praxis bestimmt und nicht die Praxis das Recht (BGH a.a.O. juris-Rz. 63). Das dazu angeführte Zitat des Bundesverfassungsgerichts betrifft allerdings die aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem Gebot des fairen Verfahrens sich ergebenden Folgen für „Deals im Strafprozess“. Bei dieser Diskussion standen für Verfahrensabsprachen, (die mancherorts auch mit der „Praxistauglichkeit“ verfochten wurden) komplexe verfassungsrechtliche Probleme im Raum, darunter die Gefährdung des Schuldprinzips und die Aushebelung der Wahrheitserforschungspflicht für die Strafgerichte. Der Parteiprozess eines mietrechtlichen Räumungsverfahrens, dem weder „Deals“ noch eine besonders beschleunigte Vorgehensweise nach dem Gesetz fremd sind, hat damit keinerlei Ähnlichkeit.

Soweit der Bundesgerichtshof außerdem andeuten möchte, die Kammer wolle einer selbst entwickelten „Praktikabilität“ Vorrang einräumen, um dieser das Recht „folgen“ zu lassen, wäre dies unangebracht. Es geht bei der Anwendung der bindenden Gesetze auch darum, dass gesetzlich gewährte Ansprüche und Rechtswohltaten nicht leichtfertig mit neuen Anforderungen oder Hürden versehen werden dürfen, die jemand anderes, als der legitimierte Gesetzgeber „entdeckt“ hat. Bei den konturlosen Aspekten von „mildem Licht“ wie auch bei der Hürde, zunächst einen Rechtsmissbrauch des Vermieters nachweisen zu müssen, wenn dieser nach Erhalt einer Schonfristzahlung gleichwohl an einem Räumungsanspruch festhält, handelt es sich um genau solche Hindernisse für die Umsetzung der Rechtsfolgen aus § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB.

Es ist also nicht stets als Ausdruck von Fleiß oder Sorgfalt zu loben, in einem Zivilprozess den Ausspruch der gesetzlichen Rechtsfolge erst dann zu gewähren, wenn weitergehende Fragen beantwortet sind, als es nach den kodifizierten Anspruchsvoraussetzungen naheliegt. Nichts anderes gilt hinsichtlich der Risiken, der Kosten und der für alle Prozessparteien belastenden Unsicherheit, die diese auf sich nehmen müssen, wenn vermeintlich entscheidungserhebliche Einzelheiten zu „mildem Licht“ aufgeklärt werden; denn naheliegenderweise wird in der Praxis jeder dazu mitgeteilte Aspekt vom Prozessgegner bestritten. Die berechtigten Einwände gegen die damit verbundenen Folgen für das Verfahren haben nichts zu tun mit mangelnder Einsatzbereitschaft oder Sorgfalt der Gerichte, sondern allein mit der nicht begründbaren Verschiebung der Bedingungen, unter denen nach dem Gesetz in einem existenziellen Lebensbereich für die Beteiligten die Rechtsgewährung stattfinden soll.

Die Kammer hält die diesbezüglichen Auswirkungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung immer noch verfahrensrechtlich und materiell für falsch. Das Gesetz zwingt zu einer solchen Vorgehensweise und Entscheidungspraxis nicht.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Kammer hat die Revision zugelassen. Es geht um die vorzugswürdige Auslegung zu § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB und seine Wirkungen auf eine nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB erklärte Kündigung. Zu dieser Frage, die auch über den Einzelfall hinaus von Interesse ist, weicht die Kammer vorliegend von höchstrichterlicher Rechtsprechung ab.

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