LG Frankfurt/Main – Az.: 2-13 S 77/21 – Urteil vom 22.12.2022
In dem Rechtsstreit hat die 13. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 1.12.2022 für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des AG Offenbach am Main vom 18.06.2021 abgeändert. Die Beschlüsse der Eigentümerversammlung vom 23.09.2020 zu TOP 4 und TOP 5 werden für ungültig erklärt.
Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert für das Berufungsverfahren: bis 1.500 Euro
Gründe
I.
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz nur noch über die Beschlüsse zur Entlastung des Verwalters und des Beirats aus der Versammlung vom 23.09.2020, sie stützen sich dabei, unter anderem darauf, dass in der an diesem Tag ebenfalls beschlossenen Jahresabrechnung eine Differenz von knapp 300 Euro bestanden habe. Das Amtsgericht hat die Klage insoweit abgewiesen, da die Jahresabrechnung nicht angefochten worden sei und wegen der übrigen Vorwürfe Ersatzansprüche der Gemeinschaft nicht erkennbar seien. Mit der Berufung verfolgen die Kläger ihren erstinstanzlichen Klageantrag weiter.
Im Übrigen wird von der Wiedergabe der tatsächlichen Feststellungen gemäß § 540 Abs. 2 ZPO in Verbindung mit § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
II.
Die zulässige Berufung hat Erfolg.
1. Der Beschluss über die Entlastung des Verwalters entsprach nicht ordnungsmäßiger Verwaltung.
Die Entlastung, die nach herrschender Auffassung neben der Billigung des Verwalterhandelns auch ein negatives Schuldanerkenntnis (§ 397 Abs. 2 BGB) beinhaltet (BGH ZMR 2011, 654; aA Jacoby in Staudinger, § 26 WEG Rz. 222; Niedenführ in Niedenführ/Schmidt-Räntsch/Vandenhouten, § 28 WEG Rz. 377; in diese Richtung auch Greiner in BeckOGK, 1.1.2021, § 26 WEG Rz. 353 ff.), dass gegen den Verwalter keine Ansprüche mehr bestehen, entspricht nur dann ordnungsmäßiger Verwaltung, wenn keine Anhaltspunkte für einen Schadensersatzanspruch oder andere Ansprüche gegen den Verwalter erkennbar sind (näher Bärmann/Becker § 28 Rn. 195; Jennißen/Zschieschack, Wohnungseigentumsgesetz, 7. Aufl. 2021, § 27 WEG, Rn. 263 ff.).
Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes schließen Fehler bei der Jahresabrechnung die Entlastung aus, weil zumindest ein Anspruch auf Neuerstellung der Abrechnung besteht (BGH NJW 2010, 2654).
Entgegen der Auffassung des Amtsgerichtes sind Einwände gegen die Jahresabrechnung im Zusammenhang mit der Anfechtung des Entlastungsbeschlusses im vorliegenden Fall nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Beschluss über die Jahresabrechnung bestandskräftig geworden ist und selbst nicht angefochten worden ist. Nach gefestigter Rechtsprechung der Kammer ist maßgeblich für die Beurteilung, ob eine Beschluss ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht, der Zeitpunkt der Eigentümerversammlung, zu welchem der Beschluss gefasst wird (Kammer ZWE 2020, 436). Denn Gegenstand der Anfechtungsklage ist die gerichtliche Überprüfung der Beschlussfassung durch die Eigentümer. Maßgeblich ist daher die Situation zum Zeitpunkt der Versammlung. Eine spätere Veränderung der Situation im Anfechtungsverfahren kann nicht dazu führen, dass ein ursprünglich rechtmäßiger Beschluss nachträglich rechtswidrig wird oder umgekehrt (Kammer aaO).
Kommt es insoweit auf die Sachlage in der Versammlung an, sind bei der Beschlussfassung über die Entlastung auch Fehler der Jahresabrechnung unabhängig von der Frage zu berücksichtigen, ob diese später in Bestandskraft erwachsen ist oder nicht, denn zum Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Entlastungsbeschluss lag eine Bestandskraft jedenfalls nicht vor. Ist die Jahresabrechnung fehlerhaft, besteht jedenfalls zum Zeitpunkt der Versammlung, zu welchem der Beschluss über die Jahresabrechnung noch nicht bestandskräftig geworden ist, ein Anspruch auf Neuerstellung einer fehlerfreien Abrechnung, so dass die Entlastung nicht ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht. Dass nach Ablauf der Anfechtungsfrist die Jahresabrechnung bestandskräftig wird und damit jedenfalls im Innenverhältnis der Einwand, die Abrechnung entspreche nicht ordnungsmäßiger Verwaltung, nicht mehr erhoben werden kann, führt nicht dazu, dass ein zunächst ordnungswidriger Beschluss im Nachhinein rechtmäßig wird (vgl. Kammer ZWE 2020, 436).
Daher kann, ohne dass es auf den Inhalt der Jahresabrechnung ankäme, risikolos die Entlastung für das Wirtschaftsjahr erst dann beschlossen werden, wenn die Abrechnung bestandskräftig geworden ist, da damit (aber auch erst dann) Fehler der Jahresabrechnung nicht mehr geltend gemacht werden können (Jennißen/Zschieschack, Wohnungseigentumsgesetz, 7. Aufl. 2021, § 27 WEG, Rn. 265)
Vorliegend war die Abrechnung nicht ordnungsgemäß, denn sie hat, was auch die Beklagten nicht in Abrede nehmen, eine Differenz von 283,80 Euro. Diese resultieren nach Auffassung der Beklagten daraus, dass die Abflüsse von den Bankkonten der Eigentümergemeinschaft nicht vollständig mit den in der Jahresabrechnung eingestellten Beträgen identisch sind. …
Diese Abrechnung ist fehlerhaft, denn nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist die Jahresabrechnung eine einfache Einnahmen- und Ausgabenrechnung, in welcher sämtliche Einnahmen und Ausgaben im Kalenderjahr darzustellen sind. Demzufolge muss, anders als die Beklagten offenbar meinen, die Summe der Einnahmen und der Ausgaben den Abrechnungsbetrag widerspiegeln und (natürlich) den tatsächlichen Geldflüssen entsprechen. Jegliche Abgrenzungspositionen sind unzulässig (vgl. statt Aller Bärmann/Becker § 28 Rn. 114 ff. mwN). Lediglich in der Einzelabrechnung können, erläuterungsbedürftige, Differenzen dadurch entstehen, dass die Heizkosten nach den Vorgaben der Heizkostenverordnung periodengerecht abzurechnen sind. Hierum geht es allerdings vorliegend nicht.
War daher die Abrechnung fehlerhaft, bestand zumindest ein Anspruch auf nochmalige Vorlage einer ordnungsmäßigen Abrechnung, so dass die Entlastung zu beanstanden war.
Auf die weiteren vorgeworfenen Pflichtverletzungen kam es daher nicht an.
2. War die Jahresabrechnung nicht ordnungsgemäß, entspricht nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes allerdings nicht nur die Entlastung des Verwalters nicht ordnungsmäßiger Verwaltung, sondern auch die Entlastung des Beirates (BGH NJW 2010,2127, BGHZ 156, 19 = NJW 2003, 3124). Soweit diese Rechtsprechung jüngst in Zweifel gezogen wurde (LG Koblenz ZWE 2022, 175 mAnm Häublein) teilte die Kammer jedenfalls im Ergebnis diese Zweifel nicht.
Zutreffend ist, dass Ersatzansprüche gegen den Beirat nicht automatisch in Betracht kommen, wenn die Jahresabrechnung fehlerhaft ist, denn wie das Landgericht Koblenz zutreffend ausgeführt hat, besteht die Aufgabe des Beirates nicht darin, die Jahresabrechnung in allen Einzelheiten nachzuprüfen und insbesondere zu analysieren, ob die Jahresabrechnung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes entspricht.
Allerdings enthält die Entlastung nach herrschender Auffassung auch ein negatives Schuldanerkenntnis, woraus folgt, dass Ansprüche, die von der Entlastung erfasst sind, nicht mehr geltend gemacht werden können, was auch Auskünfte und Erklärungen zu den von der Entlastung erfassten Vorgängen betrifft (näher BeckOGK/Greiner, 1.6.2022, WEG § 26 Rn. 360).
Bei objektiver Auslegung der Beschlussfassung über die Entlastung, bezog sich diese, insbesondere da sie im Zusammenhang mit der Genehmigung der Jahresabrechnung 2019 erteilt worden ist, auf die Tätigkeit des Beirates in diesem Zusammenhang, auch wenn in dem Beschluss eine Entlastung für das Geschäftsjahr 2019 erteilt wurde, obwohl die Prüfung der Abrechnung offensichtlich im Kalenderjahr 2020 erfolgte. Offensichtlich ist allerdings, dass die Wohnungseigentümer dem Beirat für die Tätigkeit im Zusammenhang mit der Prüfung der Jahresabrechnung Entlastung erteilen wollten (ebenso im Fall des LG Koblenz (aaO)).
Gleichwohl ist die Entlastung fehlerhaft, denn von der Entlastung ist auch der Anspruch auf Prüfung der vom Verwalter vorgelegten Abrechnung (§ 29 WEG a.F.) und ggf. deren Erläuterung in der Eigentümerversammlung bei Beschlussfassung erfasst. Insoweit die Abrechnung allerdings nicht ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht, besteht zum maßgeblichen Zeitpunkt der Beschlussfassung auf der Eigentümerversammlung im Grundsatz eine Verpflichtung des Verwalters eine erneute Abrechnung vorzulegen. Diese muss der Beirat (erneut) prüfen und ggf. erläutern. Enthält der Entlastungsbeschluss jedoch ein negatives Schuldanerkenntnis, dass bezogen auf die Prüfung der Jahresabrechnung 2019 keine Ansprüche mehr bestehen, besteht ein Anspruch auf eine erneute Prüfung einer korrigierten Abrechnung durch den Beirat nicht, ebensowenig wie auf eine Erläuterung. Dies (alleine) steht bereits der Entlastung entgegen.
3. Nach alledem war auf die Berufung der Kläger die amtsgerichtliche Entscheidung abzuändern und die Entlastungsbeschlüsse für ungültig zu erklären.
Die prozessualen Nebenentscheidungen haben ihre Rechtsgrundlagen in §§ 91, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Gründe die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, denn die Kammer folgt der gefestigten Rechtsprechung des BGH. Die Streitwertfestsetzung noch aus § 49a GKG aF.