Mietminderung und Kündigungsrecht: Eine tiefgehende Analyse des Falles zur Anrechnung von Mietmängeln
Der vorliegende Fall betrifft eine rechtliche Auseinandersetzung zwischen Mieter und Vermieter, bei der es um die korrekte Anrechnung von Mietminderungen und die Rechtmäßigkeit einer Kündigung geht. Im Zentrum des Konflikts steht die Frage, ob die Mietminderung anteilig auf die Nettomiete und die Betriebskostenvorauszahlungen anzurechnen ist oder nicht. Des Weiteren dreht sich der Streit um die Bedingungen einer außerordentlichen fristlosen Kündigung durch den Vermieter aufgrund von Mietrückständen.
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Übersicht
Kündigung wegen Mietrückständen
Im Falle eines Mietrückstands von mehr als zwei Brutto-Monatsmieten über mehrere Termine hinweg, hat der Vermieter das Recht zur außerordentlichen fristlosen Kündigung gemäß § 543 II 1 Nr. 3b BGB. Der Vermieter trägt schlüssig vor, dass dieser Rückstand zum Zeitpunkt der Kündigung bestand, und die Beklagten haben dies nicht bestritten. Die Klägerin, in diesem Fall der Vermieter, muss nicht für jedes Abrechnungsjahr die geschuldete Miete gegenüber den geleisteten Zahlungen gegenüberstellen.
Mietminderung und Anrechnung
Das Urteil betont, dass die Mietminderung nicht anteilig auf die Nettomiete und Betriebskostenvorauszahlungen anzurechnen ist. Die Formeln zur Berechnung von Betriebskostennachforderungen oder Betriebskostenguthaben bei Minderung der Miete können nicht auf die Berechnung des kündigungsrelevanten Mietrückstands übertragen werden. Dies unterstreicht den Umstand, dass die Nettomiete und die Vorauszahlungen ein unterschiedliches rechtliches Schicksal teilen.
Entscheidung zur Räumungsfrist
Die Räumungsfrist wurde gemäß § 721 I 1 ZPO festgelegt. Hierbei hat das Gericht eine Abwägung zwischen den berechtigten Interessen des Mieters und des Vermieters vorgenommen. Dabei wurde berücksichtigt, dass eine mögliche Obdachlosigkeit vermieden werden soll und den Mietern die Möglichkeit gegeben werden muss, eine Ersatzwohnung zu finden. Die lange Dauer des Mietverhältnisses sowie die pünktlichen Mietzahlungen wurden zu Gunsten der Mieter betrachtet.
Vorläufige Vollstreckbarkeit und Revision
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit erfolgte auf Grundlage der §§ 708 Nr. 7 und 10, 709, 711 ZPO. Die Beklagten können die Vollstreckung durch entsprechende Sicherheitsleistungen abwenden. Eine Revision wurde nicht zugelassen, da der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, noch eine Entscheidung des Revisionsgerichts erforderlich ist.
Das Urteil trägt in besonderer Weise zur Klärung der Regelungen rund um die Mietminderung und die Bedingungen einer außerordentlichen fristlosen Kündigung bei und hebt dabei den Unterschied zwischen Nettomiete und Betriebskostenvorauszahlungen im Kontext der Mietminderung hervor.
Das vorliegende Urteil
LG München I – Az.: 14 S 17555/21 – Urteil vom 06.07.2022
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts München vom 16.12.2021, Az. 463 C 4574/21, wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, die von ihnen innegehaltene Wohnung der Klägerin im Anwesen …estehend aus 2 Zimmern, Küche, Bad/WC und Kellerabteil zu räumen und an die Klägerin herauszugeben.
2. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 1.724,64 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.05.2021; der Beklagte zu 2) darüber hinaus allein Zinsen aus einem Betrag von 1.724,64 Euro in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.04.2021 zu bezahlen.
3. Den Beklagten wird eine Räumungsfrist bis zum 31.01.2023 gewährt.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.
5. Von den Kosten des Verfahrens erster Instanz trägt die Klägerin 27/100 und tragen die Beklagten samtverbindlich 73/100; von den Kosten des Verfahrens zweiter Instanz trägt die Klägerin 26/100 und die Beklagten tragen samtverbindlich 74/100.
6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung aus Ziffer 1 des Tenors gegen Sicherheitsleistung von 6.000,00 Euro abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Hinsichtlich Ziffer 2 und 5 des Tenors können die Beklagten die Vollstreckung der Klägerin gegen Sicherheitsleistung von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Hinsichtlich Ziffer 5 des Tenors kann die Klägerin die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Beschluss:
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 9.320,90 Euro festgesetzt.
Entscheidungsgründe:
I.
Bezüglich des Sachverhalts wird zunächst gem. § 540 I 1 Nr. 1 ZPO auf das erstinstanzliche Urteil des Amtsgerichts München verwiesen.
Abweichend vom Urteil des Amtsgerichts München bzw. zusammenfassend hat die Kammer folgende Feststellungen getroffen:
Die Klägerin begehrt von den Beklagten zuletzt Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Mietwohnung sowie Zahlung rückständiger Miete.
Die Klägerin vermietete mit Mietvertrag vom 23.05.1997 die streitgegenständliche Wohnung an die Beklagten. Die Miete betrug zuletzt 724,00 Euro, zu zahlen spätestens am 3. Werktag im Voraus, wobei die Kammer in Abweichung des erstinstanzlichen Urteils aufgrund der klägerseits und beklagtenseits vorgelegten Betriebs- und Heizkostenabrechnungen, die die Klägerin erstellt hat (K 3, B1), in denen regelmäßig monatliche Vorauszahlungen von 291,67 aufgeführt sind sowie mangels Vorlage eines schriftlichen Mietvertrags im Verfahren, davon ausgeht, dass sich der monatliche Mietzins im streitgegenständlichen Zeitraum aus einer Grundmiete i.H.v. 432,33 Euro und einer Nebenkostenvorauszahlung i.H.v. 291,67 Euro zusammensetzt. Die Nebenkostenabrechnungen erfolgen stets für den Zeitraum vom 01.07. eines Jahres bis zum 30.06. des Folgejahres. Wegen diverser Mängel der Mietwohnung schuldeten die Beklagten nach den Ausführungen der hiesigen Kammer des Landgerichts München I, Az. 14 S 17753/18 von März 2017 bis zur Beseitigung dieser Mängel lediglich eine um 20 % geminderte Miete, d.h. 579,20 Euro pro Monat. Zudem stand den Beklagten nach den Ausführungen dieses Urteils ein Zurückbehaltungsrecht i.H.v. vier Bruttomonatsmieten zu.
Die Beklagten zahlten in den Monaten März 2017, April 2017, Mai 2017, Oktober 2018 und Januar 2019 keine Miete. Auch im Monat Mai 2018 leisteten die Beklagten, ohne sich auf ein Zurückbehaltungsrecht zu berufen, keine Miete. Über die Nebenkosten wurde für die Zeiträume 2016/17, 2017/18 und 2018/19 bereits vollständig abgerechnet (K 3 und B 1, B 2). Soweit sich aus den Nebenkostenabrechnungen eine Nachforderung ergab (Nebenkostenabrechnung 2016/17 (B 1) und 2018/19 (B 2)) haben die Beklagten diese beglichen. In den Nebenkostenabrechnungen zog die Klägerin nur die tatsächlich geleisteten Nebenkostenvorauszahlungen von den insgesamt entstandenen Betriebskosten ab, nicht auch die zurückbehaltenen Vorauszahlungen für die Monate März 2017, April 2017, Mai 2017, Oktober 2018 und Januar 2019. In den Monaten Juni 2017 – April 2018, sowie Juni 2018 – September 2018, leisteten die Beklagten trotz des Mangels ohne Vorbehalt die volle Miete (Bl. 41 d.A.). In den Monaten November 2018 – Dezember 2018 sowie Februar 2019 – November 2019 leisteten die Beklagten lediglich eine Miete i.H.v. 503,00 Euro pro Monat. Aus diesem Grund verlangte die Klägerin mit Schreiben vom 16.11.2019 (Anlage B 3) die Nachzahlung von 878,40 Euro, die die Beklagten bezahlten. Die Mängel wurden im Januar 2021 vollständig behoben. Dennoch bezahlten die Beklagten für die Monate März 2017, April 2017, Mai 2017, Mai 2018, Oktober 2018 und Januar 2019 keine Miete nach. Im Februar und März 2021 zahlten die Beklagten zunächst nur eine geminderte Miete i.H.v. 579,20 Euro, die sie jedoch im April 2021 nachbezahlten.
Die Klägerin kündigte das Mietverhältnis in der Klageschrift vom 11.03.2021 fristlos, hilfsweise ordentlich unter Einhaltung der gesetzlichen Frist mit Verweis auf Zahlungsrückstände der Beklagten.
Eine erneute Kündigung erfolgte im Schriftsatz vom 30.07.2021, ebenfalls mit Verweis auf Zahlungsrückstände. Die Klageschrift wurde dem Beklagten zu 2) persönlich am 24.04.2021 zugestellt. Der Beklagten zu 1) wurde die Klageschrift an ihre Prozessbevollmächtigte am 11.05.2021 zugestellt.
Die Klägerin war zunächst der Ansicht, es bestünden Mietrückstände in folgender Höhe:
- März 2017: 579,20 Euro
- April 2017: 579,20 Euro
- Mai 2017: 579,20 Euro
- Mai 2018: 579,20 Euro
- Oktober 2018: 579,00 Euro
- Januar 2019: 579,00 Euro
- Februar 2021: 144,80 Euro
- März 2021: 144,80 Euro
- Gesamt 3.764,40 Euro
Nach einem Hinweis des Amtsgerichts München bezifferte er die Mietrückstände wie folgt:
- Miete März 2017: 619,68 Euro
- Miete April 2017 619,68 Euro
- Miete Mai 2017: 619,68 Euro
- Miete Mai 2018: 591,39 Euro
- Miete Oktober 2018: 591,39 Euro
- Miete Januar 2019: 611,32Euro
Da inzwischen die rückständige Miete für Februar und März 2021 von den Beklagten geleistet wurde, begehrte die Klägerin anstelle der Mietzahlungen für Februar und März 2021 die Bezahlung einer Nebenkostennachforderung aus der Nebenkostenabrechnung 2019/20 i.H.v. 481,78 Euro.
Die Beklagten behaupten, von der Nebenkostenabrechnung 2019/20 (K 4) hätten sie erstmals im Juli 2021 durch den Klägerschriftsatz vom 30.07.2021 erfahren (Bl. 55 d.A.).
Sie meinen, es bestünden keine Mietrückstände. Sie sind der Ansicht, die Nebenkostenvorauszahlungen für die Monate März 2017, April 2017, Mai 2017, Mai 2018, Oktober 2018 und Januar 2019 seien nicht geschuldet, da über die Nebenkosten für die betreffenden Zeiträume bereits abgerechnet wurde. Des Weiteren bestehe ein Guthaben zu ihren Gunsten i.H.v. insgesamt 1.350,44 Euro, da sie die Mieten von Juni 2017 – März 2018 und von Juni 2018 – September 2018 in voller Höhe bezahlt haben, obwohl lediglich eine geminderte Miete geschuldet war. Ein weiteres Guthaben bestehe i.H.v. 533,40 Euro, da die auf Anforderung der Klägerin (Schreiben vom 16.11.2019, Anlage B 3) geleistete Nachzahlung i.H.v. 878,40 Euro nicht in dieser Höhe geschuldet gewesen sei. Die Nebenkostenabrechnungen der Klägerin für die Zeiträume von 2016/17, 2017/18, 2018/19 und 2019/20 seien darüber hinaus falsch, da sie die Minderung nicht berücksichtigen würden.
Das Amtsgericht München hat die Klage mit Urteil vom 16.12.2021, welches den Parteien am gleichen Tag zugestellt wurde, abgewiesen. Es hat im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klägerin die Mietrückstände nicht schlüssig vorgetragen habe und die Beklagten zulässigerweise das Vorliegen des Mietrückstands bestritten hätten.
Hiergegen wendet sich die Klägerin unter Wiederholung des erstinstanzlichen Vortrags mit der am 21.12.2021 eingelegten und 17.03.2022 begründeten Berufung. Die Klage sei nicht unschlüssig. Vielmehr sei durchaus erkennbar, von welchem Rückstand die Klägerin ausgehe.
Die Klägerin beantragt im Berufungsverfahren:
1. unter Abänderung des am 16.12.2021 verkündeten Urteils des Amtsgerichts München, Az. 463 C 4574/21 die Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin die von ihnen innegehaltene Wohnung der Klägerin im Anwesen … bestehend aus 2 Zimmern, Küche, Bad/WC und Kellerabteil zu räumen und an die Klägerin herauszugeben
hilfsweise: unter Abänderung des am 16.12.2021 verkündeten Urteils des Amtsgerichts München, Az. 463 C 4574/21 die Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin die von ihnen innegehaltene Wohnung der Klägerin im Anwesen … bestehend aus 2 Zimmern, Küche, Bad/WC und Kellerabteil bis spätestens 31.05.2022 zu räumen und an die Klägerin herauszugeben
2. unter Abänderung des am 16.12.2021 verkündeten Urteils des Amtsgerichts München, Az. 463 C 4574/21 die Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 4.132,94 Euro nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagten beantragen im Berufungsverfahren: die Berufung zurückzuweisen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Die Frist zur Berufungsbegründung wurde auf Antrag des Klägervertreters bis zum 17.03.2022 verlängert.
II.
Die zulässige Berufung hatte teilweise Erfolg. Im Übrigen war sie zurückzuweisen.
1. Die Klage ist zulässig. Der Wechsel des Begehrens der Klägerin von der Verurteilung zur Zahlung von insgesamt 289,60 Euro bezüglich der Mieten für Februar und März 2021 zur Verurteilung zur Zahlung von 481,78 Euro wegen des Betriebskostensaldos von 2019 stellt aufgrund des Bezugs zum streitgegenständlichen Mietvertrag eine sachdienliche Klageänderung i.S.d. § 263 ZPO dar.
2. Die Klage ist hinsichtlich des Räumungs- und Herausgabeanspruchs begründet. Den Beklagten war eine Räumungsfrist bis zum 31.01.2023 zu gewähren. Der Zahlungsanspruch ist nur teilweise begründet. Im Einzelnen:
a) Der Klägerin steht ein Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Mietwohnung gem. §§ 546 I, 985 BGB gegen die Beklagten zu, da das Mietverhältnis durch die außerordentliche Kündigung der Klägerin in der Klageschrift vom 11.03.2021 beendet wurde.
Es bestand ein wichtiger Grund zur außerordentlichen fristlosen Kündigung gem. § 543 II 1 Nr. 3 b BGB. Denn die Klägerin trägt in der Klageschrift, die eine Schriftsatzkündigung enthält, einen zum Zeitpunkt der Kündigung bestehenden Mietrückstand von mehr als zwei Brutto-Monatsmieten, der sich über mehr als zwei Termine erstreckt, schlüssig vor (aa.). Die Beklagten haben diesen Rückstand nicht bestritten (bb.). Auch die konkludent erklärte Aufrechnung der Beklagten führt nicht zu einer Unwirksamkeit der Kündigung (cc.)
aa) Der klägerseits zum Zeitpunkt der Kündigung bestehende Zahlungsrückstand wurde in Höhe von 2.014,38 Euro schlüssig vorgetragen. Der Zahlungsrückstand errechnet sich aus den in der Klageschrift angegebenen rückständigen Beträgen für die Monate März 2017 – Januar 2019 gemäß Seite 5 der Klageschrift von 4 × 579,20 Euro zzgl. 2 × 579,00 Euro abzüglich der vollen Nebenkostenvorauszahlungen i.H.v. 291,67 Euro für sechs Monate zuzüglich der angegebenen Rückstände für Februar und März 2021 i.H.v. jeweils 144,80 Euro.
(1) Für die Schlüssigkeit des kündigungsrelevanten Zahlungsrückstands gemäß § 543 II 1 Nr. 3 b BGB genügte der Vortrag der Klägerin, dass die Beklagten trotz Beseitigung der Mängel im Januar 2021, die in den Monaten März 2017, April 2017, Mai 2017, Mai 2018, Oktober 2018 und Januar 2019 zurückbehaltene Miete nicht nachbezahlten und im Februar und März 2021 nur eine geminderte Miete i.H.v. 579,20 Euro zahlten. Die Klägerin muss entgegen der Auffassung des Erstgerichts nicht für jedes Abrechnungsjahr die insgesamt geschuldete Miete (Kaltmiete zuzüglich abgerechnete Nebenkosten abzüglich Minderung), den insgesamt geleisteten Zahlungen gegenüberstellen. Das Amtsgericht überträgt hier Formeln, die für die Berechnung von Betriebskostennachforderungen bzw. Betriebskostenguthaben bei Minderung der Miete gedacht sind, auf die Berechnung des kündigungsrelevanten Mietrückstands nach § 543 II 1 Nr. 3 BGB. Eine solche Gegenüberstellung liefe darauf hinaus, dass etwaige Zuvielzahlungen der Beklagten mit (anderweitigen) Mietrückständen aus demselben Abrechnungsjahr saldiert werden würden. Eine solche Saldierung sieht das Gesetz allerdings nicht vor. Zwar ist es zutreffend, dass die Minderung die gesamte Brutto-Miete erfasst und daher auch bei der Nebenkostenabrechnung zu berücksichtigen ist. Ferner trifft es auch zu, dass die Klägerin die Minderung der Miete bei den Nebenkostenabrechnungen 2016/17, 2017/18 und 2018/19 unzutreffenderweise nicht berücksichtigt hat und die Beklagten insofern zum Teil unberechtigte Nebenkostennachforderungen beglichen haben. Die Zuvielzahlungen der Beklagten führen jedoch allenfalls zu einem bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruch der Beklagten und nicht zu einer Saldierung mit anderweitigen Mietrückständen kraft Gesetzes.
(2) Aus dem Vortrag der Klägerin in der Klageschrift vom 11.03.2021 ergibt sich, dass die Beklagten zu diesem Zeitpunkt mit den Mietzahlungen für Februar und März 2021 i.H.v. jeweils 144,80 Euro sowie mit den geminderten Kaltmieten für die Monate März 2017, April 2017, Mai 2017, Mai 2018, Oktober 2018 und Januar 2019 i.H.v. jeweils 287,53 Euro für März 2017, April 2017, Mai 2017 und Mai 2018 sowie in Höhe von 287,33 Euro für die Monate Oktober 2018 und Januar 2019 in Verzug waren. Die Klägerin hat jedoch nicht schlüssig vorgetragen, dass die Beklagten auch mit den Nebenkostenvorauszahlungen i.H.v. 291,67 Euro für die Monate März 2017, April 2017, Mai 2017, Mai 2018, Oktober 2018 und Januar 2019 in Verzug waren. Diese bestanden zum Zeitpunkt der Kündigung nach dem unstreitigen Vortrag der Parteien nicht mehr. Dies folgt für die Monate März 2017, April 2017, Mai 2017, Oktober 2018 und Januar 2019 allerdings nicht schon aus der Tatsache, dass über die Nebenkosten für die betreffenden Zeiträume bereits abgerechnet wurde.
Zwar erlischt grundsätzlich der Anspruch auf die Nebenkostenvorauszahlungen mit Zugang der Betriebskostenabrechnung bzw. mit Abrechnungsreife. Dies war jedoch vorliegend für die betreffenden Monate nicht der Fall, da sich die Beklagten im Hinblick auf die Nebenkostenvorauszahlungen zulässigerweise auf ein Zurückbehaltungsrecht berufen haben. Dieses Zurückbehaltungsrecht hätte an sich auch bei den Nebenkostenabrechnungen beachtet werden müssen, d.h. bei der Berechnung der geleisteten Nebenkostenvorauszahlungen hätten die zu Recht zurückbehaltenen Vorauszahlungen dazugerechnet werden müssen, um das Zurückbehaltungsrecht nicht zu unterlaufen. Die zurückbehaltenen Vorauszahlungen wären sodann mit Behebung der Mängel zur Zahlung fällig gewesen. Dies hat die Klägerin jedoch nicht beachtet. Sie hat vielmehr die zu Recht zurückbehaltenen Vorauszahlungen in den Nebenkostenabrechnungen nachverlangt (01.07.2016 – 30.06.2017; Anlage B 1 sowie 01.07.2018 – 30.06.2019; Anlage B 2). Da die Beklagten – von der Klagepartei nicht bestritten – vorgetragen haben, dass sie die betreffenden Nebenkostennachforderungen beglichen haben, waren die betreffenden Nebenkostenvorauszahlungen nicht mehr geschuldet.
Für Mai 2018 folgt das Erlöschen des Anspruchs auf die Nebenkostenvorauszahlungen dagegen aus der Abrechnungsreife, denn auf ein Zurückbehaltungsrecht haben sich die Beklagten nicht berufen.
Die Nebenkostenvorauszahlungen waren dabei nach Ansicht der Kammer in voller Höhe (und nicht etwa nur in geminderter Höhe) von der geminderten Miete i.H.v. 579,20 Euro bzw. 579,00 Euro abzuziehen, da die Minderung in voller Höhe bei der Kaltmiete zu verbuchen ist (vgl. Schmidt-Futterer/Eisenschmid, 15. Aufl. 2021, § 536 BGB Rn. 388). Denn der Umstand, dass die Bruttomiete Bemessungsgrundlage für die Minderungshöhe ist, führt nicht dazu, dass die Minderung anteilig auf die Nettomiete einerseits und die Betriebskostenvorauszahlungen andererseits anzurechnen ist. Insbesondere ergibt sich eine derartige anteilige Anrechnung auch nicht unter dem Gesichtspunkt des „einheitlichen“ Mietbegriffs gemäß § 535 II BGB. Denn die Nettomiete und die Vorauszahlungen teilen ein unterschiedliches rechtliches Schicksal. Die Vorauszahlungen tilgen – im Gegensatz zu den Zahlungen auf die Nettomiete – die „vereinbarte Miete“ des § 535 II BGB nicht endgültig i.S.d. § 362 BGB. Vielmehr ist über die Vorauszahlungen wegen deren Rechtsnatur noch abzurechnen, so dass deren Verbleib beim Vermieter nicht zwingend endgültig ist (vgl. LG Hamburg, Urt. v. 12.08.2010 – 307 S 30/10, BeckRS 2011, 10646, beck-online). Der Bundesgerichtshof hat diese umstrittene Frage offengelassen (vgl. BGH, Urt. v. 13.04.2011, VIII ZR 223/10, NJW 2011, 1806).
Unschlüssig ist weiter die Rückstandsberechnung der Klägerin im Schriftsatz vom 30.07.2021, die er in der Berufungsbegründung wiederholt. Dies folgt schon daraus, dass hier Nebenkostennachforderungen aus Nebenkostenabrechnungen in die Rückstandsberechnung miteinfließen. Diese sind jedoch zum einen nicht „Miete“ i.S.d. § 543 II 1 Nr. 3 (Grüneberg/Weidenkaff, BGB, 81. Aufl., § 543 Rn. 23) und zum anderen nach dem nicht bestrittenen Vortrag der Beklagten im Hinblick auf die Nebenkostenabrechnungen für 2016/17 und 2018/19 bereits bezahlt sind.
bb) Den aus dem insoweit schlüssigen Vortrag der Klägerin errechneten Rückstand haben die Beklagten nicht bestritten. Die Beklagten haben zwar immer wieder behauptet es würden keine Rückstände bestehen.
Sie bestreiten jedoch gerade nicht, dass sie die noch ausstehenden (geminderten) Kaltmieten für die Monate März 2017, April 2017, Mai 2017, Mai 2018, Oktober 2018 und Januar 2019 i.H.v. jeweils 287,53 Euro bzw. 287,33 Euro nicht beglichen haben. Vielmehr geht die von den Beklagten im Schriftsatz vom 30.09.2021 erfolgte Aufstellung der Mietrückstände gerade davon aus, dass für diese Monate keine Mietzahlung erfolgt ist. Auch von einer Nachzahlung für diese Monate ist nicht die Rede. Die Behauptung, es bestünden keine Rückstände, folgt aus einer konkludenten Aufrechnung mit verschiedenen Gegenforderungen, die jedoch nicht bestehen.
cc) Eine konkludente Aufrechnungserklärung ist im Schriftsatz vom 29.06.2021 zu sehen, in welchem die Beklagten behaupten, es bestünde kein Zahlungsrückstand aufgrund verschiedener „Guthaben“ ihrerseits.
Eine Aufrechnung braucht nicht ausdrücklich erklärt zu werden. Es genügt, wenn der Aufrechnungswille hinreichend deutlich erkennbar wird, was mit dem Verweis auf entsprechende „Guthaben“ der Fall ist (vgl. Grüneberg/Grüneberg, BGB, 81. Aufl., § 388 Rn. 1; BVerfG, NJW-RR 1993, 764 (765)). Die Aufrechnungserklärung war auch hinreichend bestimmt. Zwar rechneten sie mit mehreren Forderungen auf, die in ihrer Gesamtheit den Betrag des Zahlungsrückstands übersteigen (Zahlungsrückstand zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung: 1.724,64 Euro; Betrag der Gegenforderungen: 1.883,84 Euro), ohne eine Reihenfolge der zur Aufrechnung gestellten Gegenforderungen anzugeben. Die Tilgungsreihenfolge kann jedoch aus §§ 396 I 2, 366 II BGB entnommen werden. Demnach rechneten sie zunächst mit bereicherungsrechtlichen Rückforderungsansprüchen i.H.v. insgesamt 1.350,44 Euro auf, die sie auf die Zahlung der ungeminderten Miete im Zeitraum von Juni – März 2018 sowie Juni 2018 – September 2018 stützen, wobei sie mit den jeweils früher entstandenen Ansprüchen zuerst aufrechnen (also zunächst mit dem bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruch für die Überzahlung der Miete im Juni 2017, sodann mit dem Anspruch für die Überzahlung im Juli 2017 usw.). Sodann rechneten sie mit einem bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruch i.H.v. 533,40 Euro auf, den sie mit der Zahlung auf eine angeblich unberechtigte Nachforderung der Klägerin vom 16.11.2019 i.H.v. 878,40 Euro für die Mieten von November 2018, Dezember 2018, sowie Februar 2019 – November 2019 stützen.
Die zur Aufrechnung gestellten Gegenansprüche bestehen jedoch nicht. Zwar sind die Voraussetzungen des § 812 I 1 Var. 1 BGB erfüllt, da die Beklagten nach dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien die Mieten im Zeitraum von Juni 2017 – März 2018 sowie Juni 2018 – September 2018 in voller Höhe bezahlt haben, obwohl lediglich eine geminderte Miete geschuldet war. Dem bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruch nach § 812 I 1 Var. 1 BGB steht jedoch § 814 BGB entgegen. Denn die Beklagten haben die Mieten in den betreffenden Zeiträumen ohne Vorbehalt bezahlt, obwohl sie unbestritten von dem Mangel Kenntnis hatten (vgl. Bl. 4 d.A.; Grüneberg/Weidenkaff, a.a.O., § 536 Rn. 38).
Der bereicherungsrechtliche Anspruch nach § 812 I 1 Var. 1 BGB wegen der Zahlung auf die Nachforderung der Klägerin vom 16.11.2019 besteht ebenfalls nicht, denn die Klägerin hat die Zahlung der Beklagten nicht ohne rechtlichen Grund erlangt. Die Klägerin hatte vielmehr einen Anspruch gegen die Beklagten auf Nachzahlung der Mieten für die betreffenden Monate i.H.v. 878,40 Euro. Denn die Beklagten haben nach dem nicht bestrittenen Vortrag der Klägerin die Mieten in den betreffenden Monaten nur i.H.v. 503,00 Euro bezahlt, waren jedoch zur Zahlung einer geminderten Miete i.H.v. 579,20 Euro verpflichtet und nicht etwa nur, wie es die Beklagten meinen, zur Zahlung von jeweils 345,84 Euro.
2. Die Klägerin hat einen Zahlungsanspruch gegen die Beklagten i.H.v. 1.724,64 Euro gem. § 535 II BGB. Auf die obigen Ausführungen unter Ziffer 1. wird vollumfänglich Bezug genommen. Es bestehen noch Zahlungsrückstände der Beklagten in dieser Höhe für die Monate März 2017, April 2017, Mai 2017, Mai 2018, Oktober 2018 und Januar 2019. Die rückständige Miete für Februar und März 2021 wurde von den Beklagten inzwischen geleistet.
3. Es besteht jedoch kein Anspruch auf Zahlung von 481,78 Euro wegen der Betriebskostenabrechnung von 2019/2020. Einem etwaigen Nachforderungsanspruch steht jedenfalls § 556 III 3 BGB entgegen. Denn die Beklagten haben im Schriftsatz vom 30.09.2021 vorgetragen, dass sie von der Nebenkostenabrechnung erst im Juli 2021 durch den Schriftsatz der Klägerin vom 30.07.2021 Kenntnis erhalten haben und damit erst nach Ablauf der 12-Monats-Frist des § 556 III 2 BGB. Die insoweit beweispflichtige Klägerin hat keinen Beweis für einen früheren Zugang angeboten.
4. Rechtshängigkeitszinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gem. § 291 BGB stehen der Klägerin nur für die rückständigen Mieten für die Monate März 2017, April 2017, Mai 2017, Mai 2018, Oktober 2018 und Januar 2019 i.H.v. insgesamt 1.724,64 Euro zu. Der Beklagte zu 2) schuldet diese Zinsen ab dem 25.04.2021, da ihm die Klage ausweislich der Zustellungsurkunde am 24.04.2021 zugestellt wurde.
Die Beklagte zu 1) schuldet diese Zinsen erst ab dem 12.05.2021, da die Klage ihrer Prozessbevollmächtigten ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 11.05.2021 zugestellt wurde.
5. Die Entscheidung zur Räumungsfrist beruht auf § 721 I 1 ZPO. Für welche Dauer den Beklagten eine Räumungsfrist eingeräumt wird, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung aller widerstreitender Interessen im Einzelfall. In diesem Fall hat die Kammer eine Abwägung zwischen den berechtigten Interessen der Mieter sowie des Vermieters vorzunehmen. Hierbei wird in der Regel berücksichtigt, dass eine mögliche Obdachlosigkeit vermieden werden soll. Den Mietern soll mit der Räumungsfrist die Möglichkeit gegeben werden, eine angemessene Ersatzwohnung zu finden. Zugunsten der Klagepartei spricht vorliegend, der noch immer bestehende Mietrückstand in tenorierter Höhe und die Tatsache, dass die Gewährung einer Räumungsfrist bei einer außerordentlichen fristlosen Kündigung nur ausnahmsweise in Betracht kommt. Andererseits ist vorliegend die lange Dauer des Mietverhältnisses von 25 Jahren zu Gunsten der Mieter sowie die Tatsache, dass die Mieter die laufenden Mieten pünktlich entrichten, zu berücksichtigen. Nach umfassender Abwägung der Interessen der Parteien hält die Kammer vorliegend eine Räumungsfrist bis zum 31.01.2023 für ausreichend und angemessen.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92, 97 ZPO. Die Abweichung der Kostenentscheidung erster und zweiter Instanz beruht auf einer geringfügigen Streitwertänderung für das Berufungsverfahren im Hinblick auf die monatlich geschuldete Nettomiete auf Euro 432,33 (vgl. Seite 3 dieses Urteils) statt 442,20 Euro im Ersturteil.
7. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 7 und 10, 709, 711 ZPO.
8. Die Revision wurde nicht zugelassen, da der Rechtssache weder eine grundsätzliche Bedeutung zukommt, noch eine Entscheidung des Revisionsgerichts für die Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.
9. Der Streitwert von Euro 9.320,90 setzt sich zusammen aus dem Zahlungsantrag von Euro 4.132,94 zzgl. eines Betrags in Höhe der Jahresnettomiete (12 × 432,33 = 5.187,96) gemäß §§ 39, 41 II GKG.