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WEG-Beschlüsse auf Ein-Personenversammlung sind nichtig

AG Hamburg-St. Georg – Az.: 980a C 23/21 – Urteil vom 28.01.2022

1. Es wird festgestellt, dass der Beschluss der Eigentümerversammlung von 31.03.2021 zu TOP 1 nichtig ist.

2. Der Beschluss der Eigentümerversammlung vom 15.06.2021 zu TOP 6 wird für ungültig erklärt.

3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Nichtigkeit bzw. Gültigkeit von Beschlüssen von Versammlungen.

Der Kläger ist Mitglied der Beklagten und mit insgesamt 3.235/10.000stel Miteigentumsanteilen Eigentümer mehrerer Tiefgaragenplätze sowie der Wohnungen Nr. 14, 15, 16 und 17. Es gilt zwischen ihnen die notarielle Teilungserklärung vom 30.08.2002 nebst Gemeinschaftsordnung (GO) vom 16.10.2001 gemäß Anlage K1. Nach § 11 („Eigentümerversammlung“) Ziff. 5 GO bestimmt sich das Stimmrecht „nach dem WEG, wobei jedes Wohnungseigentum eine Stimme gewährt.“

Die Verwaltung der Beklagten versandte mit Schreiben vom 22.03.2021 (Anlage K2) eine „Einladung zur „Ein-Mann“ außerordentlichen Eigentümerversammlung“ am 31.03.2021. Darin heißt es u.a.:

„Aufgrund der Hausgeldrückstände [des Klägers] in Höhe von ca. 30.000,00 Euro ist die Eigentümergemeinschaft zahlungsunfähig. Um die laufenden Kosten bezahlen zu können und die Liquidität der Eigentümergemeinschaft wieder herzustellen ist es zwingend erforderlich, dass wir eine Sonderumlage in Höhe von 15.000,00 Euro bei allen Eigentümern anfordern. (……) Aufgrund der aktuellen Gegebenheiten im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie sind auch wir gezwungen, verschiedene Maßnahmen zum Schutz unserer Mitarbeiter, Kunden und Geschäftspartner einzuleiten und umzusetzen. Hiermit laden wir Sie zu der „Ein-Mann“ außerordentlichen Eigentümerversammlung am (……) 31.03.2021 (……) in unsere Büroräume (……) ein. Was bedeutet das nun für Sie: Die „Ein-Mann“ außerordentlich Eigentümerversammlung findet in den Büroräumen der [Verwaltung] unter Einhaltung der Hygienevorschriften statt. Die Eigentümer können aufgrund der aktuellen Situation den Verwalter mit entsprechenden Weisungen bevollmächtigen (……). Der Verwalter wird gemäß der in diesen Vollmachten durch die Eigentümer getroffenen Entscheidung an Stelle der Eigentümer abstimmen.“

Auf der Versammlung am 31.03.2021 wurde zu TOP 1 (Protokoll, Anlage K3) folgender „einstimmiger Beschluss“ gefasst:

„Der Verwalter wird beauftragt im Namen der Wohnungseigentümergemeinschaft eine Sonderumlage in Höhe v. 15.000,00 Euro nach Wohn-Garagenfläche per 15.04.2021 anzufordern, um die laufenden Kosten zu können (……).“

Mit Schreiben vom 31.05.2021 (Anlage K5) lud die Verwaltung der Beklagten zur ordentlichen Eigentümerversammlung am 15.06.2021. Dort wurde zu TOP 6 folgender Beschluss gefasst:

„Beschluss über die Installation einer einflügeligen Toranlage im Eingang …… zum Untergeschoss gemäß Angebot der Firma …… vom 02.11.2020 in Höhe von 3.046,24 Euro inkl. MwSt. (Anlage)

Es erfolgte folgender, einstimmiger Beschluss:

Auf der Grundlage des Angebotes der Firma …… vom 02.11.2020 in Höhe von ca. 3.046,24 Euro inkl. MwSt. sollen die dort ausgeführten Arbeiten schnellstmöglich beauftragt werden. Die Finanzierung erfolgt im Rahmen einer Sonderumlage in Höhe von 4.500,00 Euro, welche per 15.07.2021 bei allen Eigentümern/Gesamttausendstel angefordert wird und innerhalb von 10 Werktagen auf das Konto der Wohnungseigentümergemeinschaft zu bezahlen ist. Die höhere Sonderumlage ist nötig, da [der Kläger] Hausgeldrückstände in Höhe von 30.000,00 Euro hat und davon auszugehen ist, dass diese Sonderumlage nicht bezahlt wird.“

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll gemäß Anlage K6 Bezug genommen.

Mit seiner am 15.07.2021 bei Gericht per beA eingegangenen, der Beklagten am 18.08.2021 zugestellten und mit Schriftsatz vom 16.08.2021 – bei Gericht per beA am selben Tag eingegangen – begründeten Klage macht der Kläger geltend, dass der Beschluss v. 31.03.2021 zu TOP 1 nichtig bzw. für ungültig zu erklären sei und dass der Beschluss vom 15.06.2021 nicht den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung entspreche und daher ebenfalls für ungültig zu erklären sei.

Der Kläger bringt vor, dass aufgrund der Einladung zur „Ein-Mann“-Versammlung am 31.03.2021 und deren Durchführung zu Unrecht in den Kernbereich seiner mitgliedschaftlichen Rechte eingegriffen worden sei, weil er dadurch an seiner persönlichen Teilnahme und der Wahrnehmung seines Rede- und Antragsrechts gehindert worden sei. Der Beschluss zu TOP 1 sei daher nichtig.

Der Beschluss zu TOP 6 vom 15.06.2021 sei für ungültig zu erklären, weil er die Einladung zur Versammlung nicht erhalten habe. Ferner gehe er davon aus, dass an der Versammlung ein Nichteigentümer (Herr ……) – der schon am 22.08.2019 zum Beiratsmitglied gewählt worden sei, der aber mangels Vollzugs der Kaufverträge mit ihm, dem Kläger, noch nicht als Eigentümer im Grundbuch eingetragen sei – teilgenommen habe, wodurch der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit verletzt worden sei. Ferner habe die Verwaltung die Einladungsfrist von drei Wochen nicht eingehalten. Hätte er, der Kläger, an der Versammlung teilgenommen, hätte es aufgrund seiner Stimmenmehrheit keinen Mehrheitsbeschluss über den Toreinbau gegeben. Hinzu komme, dass die Verwaltung auch nicht die erforderliche Zahl von Vergleichsangeboten eingeholt habe und dass ihm das im Beschluss genannte Angebot der Fa. …… v. 02.11.2020 vorab nicht vorgelegen habe; dies sei der E-Mail der Verwaltung v. 13.07.2021 (Anlage K4) nicht beigefügt gewesen.

Der Kläger beantragt,

1. den in der außerordentlichen Eigentümerversammlung der Wohnungseigentümergemeinschaft …… in …… Hamburg vom 31.03.2021 zum Tagesordnungspunkt 1 gefassten Beschluss (Sonderumlage i.H.v. 15.000,00 Euro) für ungültig zu erklären bzw. festzustellen, dass der in der außerordentlichen Eigentümerversammlung der Wohnungseigentümergemeinschaft Steindamm 47/Brenner straße 16 in 2..0099 Hamburg vom 31.03.2021 zum Tagesordnungspunkt 1 gefasste Beschluss (Sonderumlage i.H.v. 15.000,00 Euro) nichtig ist;

2. den in der Eigentümerversammlung der Wohnungseigentümergemeinschaft …… in …… Hamburg vom 15.06.2021 zum Tagesordnungspunkt 6 gefassten Beschluss (Installation der einflügeligen Toranlage nebst Sonderumlage) für ungültig zu erklären.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie macht geltend, dass der Klageantrag zu 1) verfristet sei. Der Kläger habe der Verwaltung seine Adressänderung nicht von sich aus, wozu er verpflichtet gewesen wäre, mitgeteilt; ihm sei die Einladung zur Versammlung am 22.03.2021 zugesendet worden. Ferner handele der Kläger, der vorsätzlich keine Hausgelder mehr gezahlt habe, aus eigensüchtigen Motiven, wenn er geltend mache, dass er auf der Versammlung die übrigen Eigentümer umstimmen und von dem Beschluss einer Sonderumlage hätte abbringen wollen. Grundsätzlich sei eine „Ein-Mann“ Versammlung auch ein adäquates Mittel zur Minimierung der Risiken der COVID-19-Pandemie. Entsprechend gefasste Beschlüsse wären zwar anfechtbar (gewesen), seien aber nicht nichtig. Das Anliegen, die Versammlung durchzuführen, sei dringlich gewesen und es habe seinerzeit auch keine andere praktikable Möglichkeit bestanden, eine Eigentümerversammlung durchzuführen.

Sollte der Kläger auch die Einladung zur Versammlung zum 15.06.2021 – die am 31.05.2021 an alle Eigentümer versendet worden sei – nicht erhalten haben, lege das an seiner Nachlässigkeit, die Verwaltung nicht über seine neue Adresse informiert zu haben. Im Übrigen sei der Beschluss zu TOP 6 nicht zu beanstanden; das Angebot der Fa. …… sei angemessen und auch üblich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien im Verlauf des Rechtsstreits zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

1. Der Beschluss der Versammlung vom 31.03.2021 zu TOP 1 ist nichtig; seine Nichtigkeit ist auf Antrag des Klägers i.S.v. § 44 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 WEG festzustellen. Auf eine Verfristung, wie die Beklagte einwendet, kommt es bei dieser Klageart nicht an, weil die Fristen nach § 45 S. 1 WEG nur für die Anfechtungsklage, nicht aber für die Nichtigkeitsklage gelten (BGH, NJW 2016, 2177, Rn. 18 = ZMR 2016, 476 zu § 46 WEG a.F.; Hügel/Elzer, WEG, 3. Aufl. 2021, § 44, Rn. 176).

Die Nichtigkeit des in Rede stehenden Beschlusses zu TOP 1 folgt aus einem Verstoß gegen das individuelle Recht eines jeden Wohnungseigentümers auf persönliche Teilnahme an einer Eigentümerversammlung, das dem Kernbereich des Wohnungseigentumsrechts zuzuordnen ist.

Dazu hat das erkennende Gericht in seinem Urteil vom 10.12.2021 – 980 b C 12/21 – ausgeführt:

„Fundamentale Schranken für Eingriffe in die Rechte der Eigentümer ergeben sich nicht nur aus den gesetzlichen Bestimmungen der §§ 134, 138, 242 BGB, sondern auch aus den zum Kernbereich des Wohnungseigentumsrechts zählenden Vorschriften, wozu u.a. unentziehbare und unverzichtbare Individualrechte gehören (vgl. BGH, NJW 2019, 2083, Rn. 7 = ZMR 2019, 619). Zu diesem unantastbaren Kernbereich der Mitgliedschaft des Wohnungseigentümers zählt auch das Recht auf eine persönliche Teilnahme an einer Eigentümerversammlung (siehe etwa OLG Saarbrücken, ZMR 2004, 67; LG Karlsruhe, ZWE 2013, 36, 47; Hügel/Elzer, WEG, 3. Aufl. 2021, § 23, Rn. 137; Merle, in: Bärmann, WEG, 14. Aufl. 2018, § 23, Rn. 140 a). Ein dieses Mitgliedschaftsrecht einschränkender Beschluss ist nichtig (s. ausdrücklich etwa BGH, NJW 2015, 549, Rn. 15).

So liegt der Fall hier. Für die außerordentliche Eigentümerversammlung vom 11.03.2021, auf der der streitbehaftete Beschluss gefasst worden ist, ist ausweislich des Schreibens vom 16.02.2021 mit dem Zusatz eingeladen worden, dass „ein persönliches Erscheinen (……) aufgrund der aktuellen Pandemie-Situation nicht möglich“ sei und dass „die Vertretung (……) in diesem besonderen Fall ausschließlich durch den Verwalter erfolgen“ könne. Aus der Sicht eines verobjektivierten Empfängers in der Lage eines Wohnungseigentümers lassen diese Formulierungen einzig den Schluss darauf zu, dass eine persönliche Teilnahme an der Versammlung unmöglich war und die Ausübung des Teilhabe- und Stimmrechts „ausschließlich“ durch eine Bevollmächtigung des Verwalters erfolgen konnte. Darin ist eine Ausladung der Eigentümer und ein Eingriff in den unantastbaren Kernbereich des Wohnungseigentumsrechts zu sehen (so in ähnlichen Fällen AG Lemgo, ZWE 2020, 480 = ZMR 2021, 158; AG Kassel, ZWE 2021, 136 = ZMR 2021, 73; AG Hannover, ZMR 2021, 686; AG München, ZMR 2021, 159); es handelte sich dabei nicht lediglich um eine unverbindliche Empfehlung zur Vollmachtserteilung (vgl. dazu etwa AG Marburg, ZMR 2021, 620). Ob daraufhin gefasste Beschlüsse lediglich als anfechtbar, nicht aber als nichtig anzusehen sind (so AG Augsburg, Urt. v. 30.09.2021 – 31 C 2231/20 WEG, IMR 2021, 512), ist zweifelhaft, bedarf aber hier keiner Entscheidung, weil die Kläger die Anfechtungsfrist nach § 45 S. 1 Alt. 1 WEG sämtlichst – auch die Kläger zu 1) bis 3) nach ihrem noch vor Zustellung der Klage vorgenommenen Parteiwechsel (s. dazu AG Wiesbaden, ZWE 2021, 336 = ZMR 2021, 528) – gewahrt haben.

Eine Rechtfertigung dieses Eingriffs kommt nicht in Betracht. Die Verpflichtung zur Gewährleistung des „unantastbaren“ bzw. „unentziehbaren“ Rechts eines jeden Eigentümers auf persönliche Teilnahme an der Versammlung gilt absolut; die Rechtfertigung einer Beeinträchtigung dieses Rechts ist von vornherein grundsätzlich ausgeschlossen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht vor dem Hintergrund der – auch in der Einladung vom 16.02.2021 erwähnten – „aktuellen Pandemie-Situation“, also den Auswirkungen der COVID19-Pandemie bzw. Corona-Krise auf das öffentliche und privaten Leben seit Anfang des Jahres 2020 und den damit einhergehenden Beschränkungen für persönliche Kontakte aufgrund des Infektionsschutzgesetzes bzw. der Infektionsschutzverordnungen der Länder (hier: Hamburgische SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung in der jeweils gültigen Fassung). Es mag für die Wohnungseigentümergemeinschaften bzw. ihre Verwaltungen infolge dieser pandemiebedingten Beschränkungen gleichwohl das (dringende) Bedürfnis bestanden haben bzw. bestehen, interne Willensbildungen zu ermöglichen, um die ordnungsgemäße Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums – soweit diese nicht allein durch die Verwaltung im Rahmen der ihr eingeräumten Kompetenzen bewerkstelligt werden kann oder von der den Eigentümern eingeräumten Notgeschäftsführungskompetenz nach § 18 Abs. 3 WEG n.F. gedeckt ist – sicherzustellen (etwa im Hinblick auf dringende Sanierungsmaßnahmen). Der Gesetzgeber hat für die Bewältigung dieser Lage allerdings – auch für Wohnungseigentümergemeinschaften – Vorschriften geschaffen, und zwar in § 6 des Gesetzes über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (COVMG) vom 27.03.2020 – derzeit in Kraft bis zum 31.08.2022. Darin ist – lediglich – geregelt, dass der zuletzt bestellte Verwalter i.S.d. WEG bis zu seiner Abberufung oder bis zur Bestellung eines neuen Verwalters im Amt bleibt (Abs. 1) und dass der zuletzt von den Wohnungseigentümem beschlossene Wirtschaftsplan bis zum Beschluss eines neuen Wirtschaftsplans fortgilt (Abs. 2). Keine Regelungen getroffen worden sind – anders als bei Versammlungen von Vereinen nach § 5 Abs. 2, 2 a und 3 – für die Durchführung von Eigentümerversammlungen. Vor diesem Hintergrund können sich die Verwaltungen bzw. die Wohnungseigentümer im Rahmen der bestehenden Gesetze und Verordnungen zum Infektionsschutz einerseits und der wohnungseigentumsrechtlichen Grundsätze nur – und immerhin – aus dem rechtlichen „Baukasten“ für die Durchführung von Eigentümerversammlungen bedienen, wie er im Wohnungseigentumsgesetz in der seit 01.12.2020 geltenden Fassung vorgesehen ist.“

An diesen Grundsätzen ist festzuhalten. Sie führen auch im Streitfall zur Nichtigkeit des angegriffenen Beschlusses. Die Verwaltung hat die Eigentümer hier mit ihrem Schreiben vom 22.03.2021 zu einer „Ein-Mann“ Versammlung eingeladen und darauf hingewiesen, dass die Eigentümer den Verwalter mit entsprechenden Weisungen bevollmächtigen können und dass dieser „gemäß der in diesen Vollmachten durch die Eigentümer getroffenen Entscheidung an Stelle der Eigentümer abstimmen“ wird. Aus der Sicht eines verobjektivierten Empfängers in der Lage eines Wohnungseigentümers lassen diese Formulierungen einzig den Schluss darauf zu, dass eine persönliche Teilnahme der Eigentümer an der Versammlung unmöglich war und die Ausübung des Teilhabe- und Stimmrechts „ausschließlich“ durch eine Bevollmächtigung des Verwalters erfolgen konnte.

Sofern mittlerweile vertreten wird, dass Einladung und Durchführung einer sog. „Ein-Mann“-Versammlung lediglich zur Anfechtbarkeit, nicht aber zur Nichtigkeit der dort gefassten Beschlüsse führe (vgl. etwa AG Augsburg, Urt. v. 30.09.2021 – 31 C 2231/20 WEG, IMR 2021, 512; AG Kaufbeuren, Urt. V. 09.09.2021 – 5 C 34/21 WEG, IMR 2021, 1338), schließt sich das erkennende Gericht dieser Ansicht nicht an. Dahinstehen kann diese Frage hier – anders als in der Sache 980 b C 12/21 – nicht, weil der Kläger die Anfechtungsfrist nach § 45 S. 1 Alt. 1 WEG versäumt hat. Grund für die Annahme der bloßen Anfechtbarkeit sei – so das AG Augsburg (a.a.O.) und das AG Kaufbeuren (a.a.O.) nahezu wortgleich – vorallem, dass auch vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie kein „derart eklatanter Verstoß“ (gegen den Kernbereich der mitgliedschaftlichen Rechte der Eigentümer) vorliege, dass dieser zwingend die Nichtigkeit sämtlicher in einer Versammlung gefassten Beschlüsse zur Folge haben müsste. Trotz Pandemie und Versammlungsverboten gebe weiterhin ein grundsätzliches Bedürfnis der Eigentümer, ihre WEG-Angelegenheiten durch Beschlussfassung zu regeln und die bestehenden Alternativen – etwa der Verweis auf das Umlaufverfahren (§ 23 Abs. 3 S. 2 WEG n.F.) – seien nicht ausreichend. Deshalb könne dem berechtigten Anliegen der Eigentümer auf angemessene Selbstverwaltung durch Mehrheitsbeschluss trotz Corona-Pandemie auf der einen und dem ebenso berechtigten Anliegen der Eigentümer, dass Mehrheitsbeschlüsse nur nach ordnungsgemäßer Durchführung einer Eigentümerversammlung mit entsprechenden Diskussions- und Abstimmungsmöglichkeiten wirksam gefasst werden können, auf der anderen Seite nur dadurch sinnvoll Rechnung getragen werden, indem die Beschlüsse nicht als nichtig angesehen werden dürfen, sondern nur als anfechtbar; denn wenn alle Eigentümer mit dem Ergebnis einverstanden seien und kein Eigentümer die in einer solchen Versammlung gefassten Beschlüsse anfechte, bestehe auch kein Grund, warum die gefassten Beschlüsse nicht in Bestandskraft erwachsen sollten. Diese Erwägungen greifen nach Ansicht des erkennenden Gerichts allerdings zu kurz: Die Beschlussnichtigkeit hängt grundsätzlich – und auch in den Fällen von sog. „Ein-Mann“- bzw. „Ein-Frau“-Versammlungen – nicht davon ab, ob einzelne Eigentümer die gefassten Beschlüsse angefochten haben oder nicht, sondern ob die angegriffene Willensbildung der Eigentümer für sich genommen in den Kernbereich der mitgliedschaftlichen Rechte der Eigentümer unberechtigt eingreift oder nicht. Das folgt der Regelung in § 23 Abs. 4 S. 1 WEG, wonach ein Beschluss, der gegen eine Rechtsvorschrift verstößt, auf deren Einhaltung rechtswirksam nicht verzichtet werden kann, nichtig ist – während ein (anfechtbarer) Beschluss nach § 23 Abs. 4 S. 2 WEG gültig ist, solange er nicht durch rechtskräftiges Urteil (etwa wegen einer Anfechtungsklage i.S.v. § 44 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 WEG) für ungültig erklärt ist. Zudem stehen – wie bereits gezeigt (s.o.) – ausreichende rechtliche Möglichkeiten im Regelungsgefüge des Wohnungseigentumsgesetzes zur Verfügung, um die Geschicke einer Gemeinschaft weiterhin zu lenken. Ferner ermöglicht die bereits seit dem 01.12.2020 geltende Regelung in § 23 Abs. 1 S. 2 WEG den Eigentümern auch die Ein- und Durchführung einer teilvirtuellen Versammlung (sog. Hybrid-Versammlung), weswegen dem Anliegen, dass die Eigentümer ihre Teilnahme- und Stimmrechte in einer Versammlung ausüben können, Rechnung getragen werden könnte. Werden aber alle Eigentümer – wie im Streitfall – gezielt von der persönlichen Teilnahme an der Versammlung ausgeschlossen bzw. auf die Bevollmächtigung (nur) des Verwalters verwiesen, wird in den Kernbereich ihrer mitgliedschaftlichen Rechte ohne Rechtfertigung eingegriffen. Insoweit ist im Übrigen zu bedenken, dass eine Beschränkung der Vollmachtserteilung nur auf die Verwaltung auch das Recht die Eigentümer, sich – im Rahmen der bestehenden Regelungen, etwa auch vereinbarten Beschränkungen – den eigenen Vertreter selbst aussuchen zu dürfen, tangiert; im Streitfall wurde den Eigentümern stattdessen ein einzelner Vertreter aufgezwungen. Zu bedenken ist ferner, dass nicht jeder Eigentümer ausgerechnet die Verwaltung als vertrauensvollen Vertreter ansieht, wenn es zuvor schon – wie auch hier – zu Unstimmigkeiten gekommen ist.

2. Der Beschluss der Versammlung vom 15.06.2021 zum TOP 6 widerspricht den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums und ist für ungültig zu erklären.

Der Kläger hat innerhalb der Anfechtungsbegründungsfrist (§ 45 S. 1 Alt. 2 WEG) zu Recht eingewendet, dass die Eigentümer bei der Beschlussfassung das ihnen gemäß §§ 18 Abs. 1, 19 Abs. 1 und 2 Nr. 2 WEG zustehende Ermessen unterschritten haben. Sie haben sich, was der Kläger mit seiner Anfechtungsklage im Kern geltend macht, keine ausreichende Tatsachengrundlage für ihre Entscheidung betreffend die Vornahme der beschlossenen Maßnahme (Installation des Tors) verschafft. Es ist seit langem anerkannt – und daran hat sich auch durch die Novellierung des Wohnungseigentumsgesetzes mit Wirkung zum 01.12.2020 nichts geändert -, dass vor einer Beschlussfassung mehrere Alternativangebote einzuholen sind (s. Gericht, ZMR 2021, 616; Urt. v. 05.11.2021 – 980 a C 13/21 WEG). Hintergrund dafür war und ist, dass die Eigentümer dem Gebot der Wirtschaftlichkeit folgend keine überteuerten Aufträge erteilen sollen und eine technisch einwandfreie Lösung wählen, die eine dauerhafte Beseitigung vorhandener Mängel und Schäden verspricht (so schon BayObLG, NZM 2000, 512, 513). Bis in jüngere Zeit hinein hat sich quasi als „Gewohnheitsrecht“ durchgesetzt, dass vorab mehrere Alternativ- oder Konkurrenzangebote einzuholen sind (so etwa LG Hamburg, ZMR 2020, 681; LG Dortmund, ZWE 2017, 96). Die Anzahl der einzuholenden Alternativangebote ist nicht starr festgelegt. Im Zusammenhang mit der Bestellung eines Verwalters hat der BGH darauf abgestellt, dass die Eigentümer selbst festlegen können, wieviele Angebote eingeholt werden; ihr Beurteilungsspielraum sei nur überschritten, wenn der Zweck solcher Alternativangebote verfehlt wird, nämlich den Eigentümern die Stärken und Schwächen der Leistungsangebote aufzuzeigen (vgl. ZWE 2012, 427 = ZMR 2012, 885; zur neuen Rechtslage nach § 18 WEG n.F. s. Hügel/Elzer, WEG, 3. Aufl. 2021, § 18, Rn. 32). Jedenfalls war hier die Einholung von – unstreitig – nur einem Angebot ermessensfehlerhaft, weil nicht ersichtlich ist, dass und wie der vorgenannte Zweck durch die Eigentümer erfüllt werden konnte. Es kommt daher im Streitfall auch nicht darauf an, ob – wie die Beklagte geltend gemacht hat – das Angebot der Fa. Koch vom 02.11.2020 „angemessen und üblich“ gewesen ist oder nicht.

Dahinstehen kann nach alledem, ob der Beschluss auch deswegen für ungültig zu erklären wäre, weil das Gebot der Nichtöffentlichkeit der Versammlung verletzt worden ist; insoweit beruht der entsprechende Sachvortrag des Klägers auch lediglich auf bloßen Vermutungen und erfolgt ersichtlich ins Blaue hinein, da keinerlei Anhaltspunkte für die Anwesenheit eines unberechtigten Dritten auf der Versammlung am 15.06.2021 bestehen. Gleiches gilt für die Frage, ob der Kläger bewusst von der Versammlung mangels Zuleitung einer Einladung ausgeschlossen worden ist; die Verwaltung durfte sich insoweit auf die Regelung in § 11 Ziff. 3 GO berufen, wonach es für die Ordnungsmäßigkeit der Einberufung genügt, wenn die Absendung an die Anschrift erfolgt, „die dem Verwalter von dem Eigentümer zuletzt mitgeteilt worden ist“ – vom Kläger ist vorliegend auch nicht vorgetragen worden, wann er der Verwaltung seinen Umzug nach Spanien mitgeteilt hat.

Jedenfalls wäre der Beschluss zu TOP 6 aber auch deswegen für ungültig zu erklären, weil die Verwaltung die Einladungsfrist nach § 24 Abs. 4 S. 2 WEG – drei Wochen – nicht eingehalten hat. Unstreitig datiert das Einladungsschreiben der Verwaltung erst vom 31.05.2021 und soll (nach dem bestrittenen Vortrag der Beklagten) am selben Tag an alle Eigentümer versendet worden sein. Zu diesem Zeitpunkt war die Frist zur Einladung zur Versammlung am 15.06.2021 aber bereits abgelaufen. Dieser Ladungsmangel ist auch kausal geworden. Die Beklagte hat die entsprechende Vermutung hier nicht entkräftet; aufgrund der Stimmenverhältnisse in der Gemeinschaft – der Kläger ist Mehrheitseigentümer – ist nicht ausgeschlossen, dass das protokollierte Abstimmungsergebnis bei einer rechtzeitigen Einladung der Eigentümer anders ausgefallen wäre – unabhängig davon, ob der Kläger – wofür nach Maßgabe von § 25 Abs. 4 WEG indes auch nichts spricht – bei der Abstimmung mit seinem Stimmrecht ausgeschlossen gewesen wäre oder nicht.

3. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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