Eine Pächterin nutzte jahrelang Bunkeranlagen, obwohl ein Räumungstitel aus dem Jahr 2017 ihre sofortige Räumung forderte und sie monatlich 750 Euro zahlte. Doch obwohl der Eigentümer die Nutzung jahrelang duldete, konnte er den alten Räumungstitel nun überraschend doch vollstrecken.
Übersicht
- Das Urteil in 30 Sekunden
- Die Fakten im Blick
- Der Fall vor Gericht
- Warum musste ein Gericht klären, ob ein jahrelang geduldeter Räumungstitel noch vollstreckbar ist?
- Weshalb entschied das Amtsgericht zunächst zugunsten der Pächterin?
- Warum hob das Oberlandesgericht Celle diese Entscheidung auf?
- Wieso fehlte laut OLG das entscheidende Vertrauen für eine Verwirkung?
- Aus welchen grundsätzlichen Erwägungen lehnte das Gericht die Verwirkung des Räumungsanspruchs ab?
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Das Urteil in der Praxis
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Was bedeutet Verwirkung für meinen Räumungsanspruch?
- Kann mein jahrelang geduldeter Räumungsanspruch plötzlich verwirken?
- Muss ich meine Räumungstitel sofort vollstrecken, um Verwirkung zu vermeiden?
- Wie kann ich mich als Mieter gegen einen alten Räumungstitel wehren?
- Reicht die bloße Duldung meiner Nutzung für eine Verwirkung aus?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil 7 U 10/25 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Urteil in 30 Sekunden
- Das Problem: Ein Grundstückseigentümer und eine Pächterin stritten sich um die Räumung von Bunkern. Die Pächterin sollte die Flächen nach einem gerichtlichen Vergleich räumen, blieb aber jahrelang.
- Die Rechtsfrage: Durfte ein Eigentümer einen alten Räumungsvergleich nach jahrelanger Duldung noch durchsetzen?
- Die Antwort: Ja, der Eigentümer durfte den Räumungsvergleich durchsetzen. Der Anspruch ging nicht verloren, weil die Pächterin von den Bauplänen des Eigentümers wusste.
- Die Bedeutung: Ein gerichtlicher Räumungsanspruch bleibt bestehen, selbst wenn die Räumung über Jahre geduldet wurde. Eine bloße Duldung genügt nicht, um ihn aufzuheben, besonders wenn klare Pläne für die Nutzung des Grundstücks bekannt sind.
Die Fakten im Blick
- Gericht: Oberlandesgericht Celle
- Datum: 16.06.2025
- Aktenzeichen: 7 U 10/25
- Verfahren: Berufungsverfahren
- Rechtsbereiche: Zwangsvollstreckungsrecht, Pachtrecht, Landwirtschaftsrecht
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Eine ehemalige Pächterin von Lagerräumen. Sie wollte verhindern, dass eine frühere Räumungsvereinbarung gegen sie vollstreckt wird.
- Beklagte: Der Eigentümer der Lagerräume. Er wollte die Räumung der Bunker durchsetzen.
Worum ging es genau?
- Sachverhalt: Eine Pächterin sollte Bunker räumen, nutzte sie aber weiter und zahlte dafür. Der Eigentümer hatte die Räumung jahrelang nicht durchgesetzt, da er andere Nutzungspläne für das Grundstück hatte.
Welche Rechtsfrage war entscheidend?
- Kernfrage: Durfte der Eigentümer die Räumung der Bunker noch erzwingen, obwohl er die jahrelange Weiternutzung duldet und Zahlungen dafür angenommen hatte?
Entscheidung des Gerichts:
- Urteil im Ergebnis: Die Berufung des Beklagten hatte Erfolg; die Klage der Klägerin wurde abgewiesen.
- Zentrale Begründung: Das Gericht stellte fest, dass kein neuer Pachtvertrag zustande kam und die Pächterin aufgrund der bekannten Windradpläne des Eigentümers nicht darauf vertrauen durfte, dass die Räumung dauerhaft unterbleiben würde.
- Konsequenzen für die Parteien: Die Klägerin muss die Räume räumen, die Prozesskosten tragen und kann die Zwangsvollstreckung nicht mehr verhindern.
Der Fall vor Gericht
Warum musste ein Gericht klären, ob ein jahrelang geduldeter Räumungstitel noch vollstreckbar ist?
Ein gerichtlicher Vergleich ist eine bindende Abmachung, die Klarheit schaffen soll. Doch was geschieht, wenn die Realität jahrelang von dieser Abmachung abweicht? Genau diese Frage führte zu einem Rechtsstreit, der vor dem Oberlandesgericht (OLG) Celle landete. Im Zentrum des Konflikts standen eine Pächterin, die in ehemaligen Bunkern einen Pilzzuchtbetrieb führte, und der Eigentümer des Grundstücks. Bereits am 4. April 2017 hatten beide Parteien vor dem Amtsgericht Nienburg einen Räumungsvergleich geschlossen. Dies ist eine gerichtlich protokollierte Einigung, die wie ein Urteil wirkt. Darin verpflichtete sich die Pächterin, die Bunker bis spätestens zum 30. September 2018 zu räumen.

Doch die Frist verstrich, und die Pächterin blieb. Sie nutzte die Bunker weiter für ihre Pilzzucht und überwies dem Eigentümer monatlich 750 Euro, die sie selbst als „Pacht“ bezeichnete. Der Eigentümer unternahm über Jahre hinweg keine Schritte, die Räumung zwangsweise durchzusetzen. Stattdessen duldete er die Nutzung, genehmigte 2020 sogar die Installation einer Solaranlage und sprach mit der Pächterin über mögliche Ersatzräumlichkeiten. Erst mit einem Schreiben vom 20. Dezember 2022 setzte der Eigentümer eine letzte Räumungsfrist bis Ende 2023 und drohte mit der Zwangsvollstreckung. Die Pächterin wehrte sich dagegen und zog vor Gericht.
Weshalb entschied das Amtsgericht zunächst zugunsten der Pächterin?
Die Pächterin erhob vor dem Amtsgericht Nienburg eine sogenannte Vollstreckungsgegenklage. Mit dieser Klage kann sich ein Schuldner gegen die Zwangsvollstreckung aus einem Urteil oder Vergleich wehren, wenn nach dem ursprünglichen Titel neue Gründe entstanden sind, die dem Anspruch des Gläubigers entgegenstehen. Die Pächterin argumentierte, der Räumungsanspruch des Eigentümers sei verwirkt.
Der Rechtsgrundsatz der Verwirkung, der aus dem Prinzip von Treu und Glauben (§ 242 BGB) abgeleitet wird, besagt, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden darf, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind:
- Das Zeitmoment: Der Berechtigte hat sein Recht über einen längeren Zeitraum nicht geltend gemacht.
- Das Umstandsmoment: Der Verpflichtete durfte aufgrund des gesamten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen, dass dieser sein Recht auch in Zukunft nicht mehr ausüben wird.
Im Klartext bedeutet das: Wer zu lange untätig bleibt und damit den Eindruck erweckt, er habe kein Interesse mehr an seinem Recht, kann es später nicht plötzlich doch noch einfordern.
Das Amtsgericht Nienburg folgte dieser Argumentation. Es sah das Zeitmoment als erfüllt an, da zwischen der verstrichenen Räumungsfrist (September 2018) und der erneuten Aufforderung (Dezember 2022) mehr als vier Jahre lagen. Auch das Umstandsmoment bejahte das Gericht. Die jahrelange Duldung der Nutzung, die widerspruchslose Annahme der monatlichen Zahlungen und insbesondere die Erlaubnis zur Errichtung einer Solaranlage hätten bei der Pächterin das berechtigte Vertrauen geweckt, dass der Eigentümer den alten Räumungsvergleich nicht mehr durchsetzen würde. Folglich gab das Amtsgericht der Klage statt und erklärte die Zwangsvollstreckung für unzulässig.
Warum hob das Oberlandesgericht Celle diese Entscheidung auf?
Der Eigentümer war mit dem Urteil des Amtsgerichts nicht einverstanden und legte Berufung beim Oberlandesgericht Celle ein. Der dort zuständige Landwirtschaftssenat prüfte den Fall vollständig neu und kam zu einem gegenteiligen Ergebnis. Er hob die Entscheidung der Vorinstanz auf und wies die Klage der Pächterin ab. Der Eigentümer darf seinen Räumungsanspruch nun also doch durchsetzen.
Die Richter des OLG begründeten ihre Entscheidung in mehreren Schritten. Zunächst stellten sie fest, dass die Pächterin den Beweis für ihre Hauptbehauptung, es sei 2019 mündlich ein neuer Pachtvertrag geschlossen worden, nicht erbringen konnte. An diese Tatsachenfeststellung des Amtsgerichts war das OLG gebunden. Ohne einen neuen Vertrag waren die monatlichen Zahlungen der Pächterin rechtlich nicht als Pacht, sondern als Nutzungsentschädigung für die widerrechtliche Weiternutzung zu werten. Damit stand fest: Es gab nur das alte, faktisch geduldete Nutzungsverhältnis und den weiterhin existierenden Räumungstitel von 2017. Die zentrale Frage war somit, ob dieser Titel allein durch Zeitablauf und Duldung seine Kraft verloren hatte.
Wieso fehlte laut OLG das entscheidende Vertrauen für eine Verwirkung?
Das OLG Celle verneinte die Verwirkung des Räumungsanspruchs, weil das entscheidende Umstandsmoment fehlte. Nach Ansicht der Richter konnte die Pächterin zu keinem Zeitpunkt berechtigt darauf vertrauen, dass der Eigentümer dauerhaft auf die Räumung verzichten würde. Der Grund dafür lag in den offenkundigen Plänen des Eigentümers für das Grundstück.
Dieser hatte bereits 2019 einen Vertrag mit einem Projektierer geschlossen, um auf dem Gelände Windräder zu errichten. Spätestens seit dem Sommer 2021 war die Pächterin über diese Pläne im Bilde, da sie an entsprechenden Gesprächen teilgenommen hatte. Wer aber weiß, dass der Eigentümer das Grundstück für ein großes wirtschaftliches Projekt benötigt, kann nicht ernsthaft annehmen, dieser werde seine Pläne aufgeben und eine dauerhafte Weiternutzung dulden.
Das Verhalten des Eigentümers – die Duldung, die Erlaubnis für die Solaranlage und sogar das Angebot alternativer Bunker – wurde vom OLG anders bewertet als vom Amtsgericht. Es signalisierte nach Auffassung der Celler Richter keinen endgültigen Verzicht, sondern lediglich ein Entgegenkommen für eine Übergangszeit. Es zeigte, dass der Eigentümer die Nutzung durch die Pächterin nicht grundsätzlich ablehnte, diese aber dem übergeordneten Ziel des Windradprojekts weichen musste. Das Wissen der Pächterin um diesen Nutzungswandel zerstörte jede Grundlage für ein schutzwürdiges Vertrauen. Ein bloßer Zeitablauf von einigen Jahren reicht für eine Verwirkung allein nicht aus, wenn die Umstände klar gegen einen Verzichtswillen des Berechtigten sprechen.
Aus welchen grundsätzlichen Erwägungen lehnte das Gericht die Verwirkung des Räumungsanspruchs ab?
Über den konkreten Fall hinaus führte das OLG Celle gewichtige rechtliche Bedenken gegen die Annahme einer Verwirkung in einer solchen Konstellation an. Eine „isolierte Verwirkung“ – also der Verlust des Räumungsanspruchs, ohne dass gleichzeitig ein neuer Vertrag entsteht – würde zu einem rechtlich unhaltbaren Zustand führen.
Die Richter erklärten, dass ein solcher Zustand das Eigentumsrecht massiv aushöhlen würde. Der Eigentümer hätte zwar noch das Eigentum an seiner Immobilie, könnte aber nicht mehr darüber verfügen. Er wäre gefangen:
- Der alte Räumungstitel wäre wertlos, weil er als verwirkt gilt.
- Ein neuer Räumungstitel könnte nicht erlangt werden, da es keinen neuen, kündbaren Vertrag gibt.
Im Ergebnis würde dies zu einer dauerhaften Trennung von Eigentum und Besitz führen. Der Pächter könnte auf unbestimmte Zeit bleiben, ohne dass der Eigentümer eine rechtliche Handhabe hätte, sein Grundstück wieder in Besitz zu nehmen. Um diesen Eingriff in das Eigentumsrecht zu vermeiden, stellte der Senat klar: Ein rechtskräftiger Räumungstitel kann seinen Wert nur dann verlieren, wenn die Parteien einen neuen Pacht- oder Mietvertrag geschlossen haben. Dieser kann auch stillschweigend (konkludent) zustande kommen, erfordert aber einen erkennbaren Willen beider Seiten, sich erneut rechtlich zu binden. Bloße Duldung und die Entgegennahme einer Nutzungsentschädigung reichen dafür nicht aus. Da im vorliegenden Fall ein neuer Vertragsschluss nicht nachweisbar war und das Vertrauen der Pächterin aufgrund ihres Wissens um die Windradpläne nicht schutzwürdig war, blieb der Räumungsvergleich von 2017 in vollem Umfang wirksam.
Die Urteilslogik
Ein gerichtlich festgelegter Räumungsanspruch bleibt bestehen, auch wenn dessen Durchsetzung lange geduldet wurde, sofern die Umstände keinen schutzwürdigen Verzicht erkennen lassen.
- Vertrauen ist entscheidend für die Verwirkung: Ein Recht verwirkt nur dann, wenn der Berechtigte es über längere Zeit nicht ausübt und der Verpflichtete aufgrund klarer Umstände darauf vertrauen darf, dass das Recht endgültig aufgegeben ist.
- Wissen des Verpflichteten verhindert Vertrauensschutz: Wer über die zukünftigen Nutzungspläne des Eigentümers Bescheid weiß, kann nicht schutzwürdig darauf vertrauen, dass dieser dauerhaft auf seine Rechte verzichtet.
- Eigentumsrecht erfordert klaren Rechtsgrund: Ein rechtskräftiger Räumungstitel bleibt bestehen, solange die Parteien keinen neuen Vertrag schließen, da bloße Duldung und Nutzungsentschädigung das Eigentumsrecht nicht dauerhaft beschneiden dürfen.
Die Rechtsprechung schützt das Eigentumsrecht, indem sie klare Grenzen für den Verlust gerichtlich festgestellter Ansprüche zieht.
Benötigen Sie Hilfe?
Haben Sie Fragen zur Durchsetzbarkeit eines Räumungstitels nach langjähriger Duldung der Nutzung? Erhalten Sie eine erste Einschätzung Ihrer Situation.
Das Urteil in der Praxis
Dieses OLG-Urteil ist ein klares Bollwerk gegen die Aushöhlung des Eigentumsrechts durch bloße Duldung. Es stellt unmissverständlich klar, dass ein rechtskräftiger Räumungstitel nicht einfach durch Zeitablauf und stillschweigende Hinnahme seinen Wert verliert. Die Celler Richter ziehen eine rote Linie: Wer um die Eigentümerpläne weiß, kann sich nicht auf Verwirkung berufen, nur weil eine vorübergehende Duldung erfolgte. Dies verhindert eine rechtlich absurde Situation, in der Eigentümer ihre Liegenschaften auf Dauer nicht mehr nutzen können, ohne dass je ein neuer Vertrag geschlossen wurde. Für jeden Immobilienbesitzer ist diese Klarstellung Gold wert.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was bedeutet Verwirkung für meinen Räumungsanspruch?
Ihr Räumungsanspruch kann schlicht verfallen – das nennen Juristen Verwirkung. Dieses Prinzip besagt, dass Sie Ihr Recht verlieren, wenn Sie es über längere Zeit nicht durchsetzen und Ihr Gegenüber aufgrund Ihres Verhaltens berechtigt darauf vertrauen durfte, dass Sie es auch zukünftig nicht mehr einfordern. Es ist wie ein altes Versprechen, das so lange nicht eingefordert wird, bis der andere annimmt, es sei vergessen.
Juristen leiten die Verwirkung vom Prinzip von Treu und Glauben ab, verankert in § 242 BGB. Dieser Gedanke der Fairness schützt den, der sich auf eine scheinbare Untätigkeit verlassen hat. Es braucht stets zwei Zutaten: Erstens, Sie haben Ihr Recht lange nicht genutzt. Zweitens, Ihr Gegenüber durfte aufgrund Ihres Verhaltens ernsthaft annehmen, Sie würden es nie wieder einfordern.
Ein aktueller Fall vor dem Oberlandesgericht Celle macht das deutlich: Ein Eigentümer hatte einen vollstreckbaren Räumungstitel gegen eine Pächterin, duldete aber jahrelang ihre Pilzzucht. Das Amtsgericht erklärte den Räumungsanspruch zunächst für verwirkt. Klingt logisch? Das Oberlandesgericht sah das anders. Der Grund: Die Pächterin wusste, dass der Eigentümer Windräder auf dem Grundstück plante. Wer über solche konkreten Nutzungsabsichten informiert ist, kann nicht ernsthaft darauf vertrauen, dass ein Räumungsanspruch dauerhaft ad acta gelegt wird. Die bloße Duldung war hier nur ein Übergangs-Entgegenkommen. Gerichte fürchten, dass eine Verwirkung ohne neuen Vertrag das Eigentumsrecht aushöhlt.
Wer seinen Räumungsanspruch durchsetzen will, muss seine Rechte aktiv wahren und darf kein falsches Vertrauen schaffen.
Kann mein jahrelang geduldeter Räumungsanspruch plötzlich verwirken?
Ihr jahrelang geduldeter Räumungsanspruch kann tatsächlich verwirken, doch allein der Zeitablauf genügt nicht. Juristen nennen das Verwirkung: Zum Zeitmoment muss ein Umstandsmoment hinzukommen. Der Schuldner muss schutzwürdig darauf vertrauen, dass der Anspruch endgültig nicht mehr durchgesetzt wird.
Die Regel lautet: Ein Recht kann verwirken, wenn der Berechtigte es über lange Zeit nicht einfordert und gleichzeitig ein schutzwürdiges Vertrauen beim Gegenüber entsteht. Gerichte nennen das Zeit- und Umstandsmoment. Das Problem? Nur wer den anderen in Sicherheit wiegt, verliert seinen Anspruch.
Ein Gericht klärte diesen Punkt kürzlich: Ein Eigentümer duldete jahrelang die Pilzzucht in seinen Bunkern, forderte die Räumung nicht. Das Amtsgericht sah den Räumungsanspruch zunächst als verwirkt an. Das Oberlandesgericht Celle kassierte diese Entscheidung. Der Grund? Die Pächterin wusste von den Windradplänen des Eigentümers. Wer solche Großprojekte kennt, kann nicht ernsthaft auf einen dauerhaften Verzicht hoffen. Eine wichtige Klarstellung der Richter: Bloße Duldung und die Annahme einer Nutzungsentschädigung begründen keinen neuen Vertrag. Ein Räumungstitel wird nur dann wertlos, wenn Parteien sich stillschweigend auf eine neue Vereinbarung geeinigt haben. Ohne diese fehlt das entscheidende Vertrauen.
Prüfen Sie: Gab es neben der Duldung echten Vertrauensschutz auf endgültigen Verzicht?
Muss ich meine Räumungstitel sofort vollstrecken, um Verwirkung zu vermeiden?
Nein, ein Räumungstitel muss nicht zwangsläufig sofort vollstreckt werden, um dessen Verwirkung zu verhindern. Entscheidend ist vielmehr, dass Sie als Berechtigter unmissverständlich deutlich machen, Ihren Räumungsanspruch weiterhin zu verfolgen und keinen dauerhaften Verzicht beabsichtigen. Bloßes Zuwarten über Jahre kann jedoch schnell falsch interpretiert werden.
Juristen nennen Verwirkung einen Rechtsgrundsatz, der aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) entsteht. Zwei Dinge sind dafür nötig: Ein Zeitmoment (lange Untätigkeit) und ein Umstandsmoment. Letzteres bedeutet: Der Schuldner durfte aufgrund Ihres Verhaltens darauf vertrauen, dass Sie Ihr Recht nicht mehr ausüben werden. Gerichte prüfen genau, ob dieses Vertrauen wirklich bestand.
Das Oberlandesgericht Celle entschied in einem aufsehenerregenden Fall einer Pilzzüchterin, die jahrelang in ehemaligen Bunkern lebte, obwohl ein Räumungstitel existierte. Der Eigentümer duldete die Nutzung sogar, erlaubte später die Installation einer Solaranlage. Klingt nach Verwirkung? Keineswegs, urteilte das OLG. Der Grund: Die Pächterin wusste von konkreten Windradplänen des Eigentümers für das Gelände. Dieses Wissen zerstörte jegliches Vertrauen auf einen dauerhaften Verzicht. Selbst lange Duldung signalisierte hier lediglich eine Übergangsphase, keinen generellen Verzicht auf den Räumungsanspruch.
Die Regel lautet: Ein rechtskräftiger Räumungstitel verliert seine Wirkung nicht einfach durch Zeitablauf. Nur wenn ein neuer Miet- oder Pachtvertrag, selbst stillschweigend, zwischen den Parteien entsteht, wird der alte Titel hinfällig. Wer also seinen Besitz zurück will, muss seine Absicht klar kommunizieren.
Wie kann ich mich als Mieter gegen einen alten Räumungstitel wehren?
Ein alter Räumungstitel bedeutet nicht das Ende. Als Mieter können Sie sich mit einer Vollstreckungsgegenklage wehren. Das Gericht prüft dann neue Einwände, allen voran die Verwirkung des Räumungsanspruchs durch den Vermieter. Dies ist relevant, wenn dieser jahrelang untätig blieb und Sie auf seinen Verzicht vertrauen durften. Der ursprüngliche Anspruch könnte erloschen sein.
Warum sollten Sie überhaupt noch kämpfen? Juristen nennen das eine Vollstreckungsgegenklage. Stellen Sie sich vor, ein Gegner hat einen vermeintlich klaren Vorteil, doch Sie legen einen neuen Beweis für Ihre Unschuld vor. Genau darum geht es: Sie argumentieren, dass der ursprüngliche Räumungsanspruch nicht mehr durchsetzbar ist, weil sich die Umstände geändert haben. Ein oft erfolgreicher Einwand ist die Verwirkung. Dafür müssen zwei Bedingungen erfüllt sein: Erstens hat der Vermieter sein Recht über lange Zeit nicht geltend gemacht (Zeitmoment). Zweitens durften Sie als Mieter aufgrund seines Verhaltens darauf vertrauen, dass er seinen Anspruch auch in Zukunft nicht mehr ausüben wird (Umstandsmoment).
Ein aktuelles Urteil des OLG Celle zeigt jedoch die Tücken. Dort hatte eine Pächterin jahrelang eine Pilzzucht in Bunkern betrieben, obwohl ein alter Räumungstitel existierte. Der Eigentümer duldete dies, nahm Geld an und erlaubte sogar eine Solaranlage. Das Amtsgericht sah die Verwirkung als gegeben an. Doch die Pächterin wusste von Windradplänen des Eigentümers für das Grundstück. Dieses Wissen zerstörte ihr Vertrauen. Die Gerichte entschieden: Wer um die wahren Absichten des Eigentümers weiß, kann sich nicht auf Verwirkung berufen. Duldung ist eben nicht gleich Verzicht auf einen Räumungstitel.
Wer gegen einen alten Räumungstitel vorgehen muss, sollte umgehend einen Anwalt für Mietrecht konsultieren und alle Fakten zusammentragen.
Reicht die bloße Duldung meiner Nutzung für eine Verwirkung aus?
Die bloße Duldung Ihrer Nutzung durch den Eigentümer reicht in der Regel nicht aus, um einen Rechtsanspruch gänzlich zu verwirken. Ein Recht verliert seine Gültigkeit nur, wenn der Berechtigte es über lange Zeit nicht geltend macht und Sie als Verpflichteter darauf vertrauen durften, er würde es nie wieder einfordern. Dieses Vertrauen muss jedoch schutzwürdig sein.
Nicht jeder, der die Augen schließt, schläft. Manchmal beobachtet er nur stillschweigend. Die Regel lautet: Damit ein Recht tatsächlich verwirkt ist, braucht es neben dem reinen Zeitablauf immer ein klares Umstandsmoment. Hier muss Ihr schutzwürdiges Vertrauen entstehen, der Berechtigte verzichte endgültig auf sein Recht.
Das Oberlandesgericht Celle bestätigte das kürzlich eindrucksvoll. Im Fall einer Pächterin, die jahrelang in ehemaligen Bunkern geduldet wurde, hob das Gericht die Annahme der Verwirkung auf. Ihr Wissen um die Windradpläne des Eigentümers für das Grundstück zerstörte jegliche Basis für schutzwürdiges Vertrauen. Klingt harmlos? Vor Gericht zählt jedes Detail, besonders wenn es um das Wissen der Beteiligten geht.
Prüfen Sie deshalb genau, welche Umstände neben der Duldung Ihr Vertrauen wirklich begründet haben.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Konkludent
Konkludent bedeutet in der Rechtsprache, dass eine Willenserklärung – also eine Absichtserklärung – nicht ausdrücklich gesagt oder geschrieben, sondern durch schlüssiges Handeln der Beteiligten zum Ausdruck gebracht wird. Das Recht erkennt solche stillschweigenden Vereinbarungen an, um der Realität des Alltags gerecht zu werden, wo nicht alles formalisiert wird. Es ermöglicht eine Vertragsbildung, selbst wenn keine expliziten Worte fallen, sofern das Verhalten eindeutig ist.
Beispiel: Ein neuer Pachtvertrag hätte auch konkludent zustande kommen können, doch das OLG verneinte dies, da die bloße Duldung keine eindeutige Willenserklärung zur Neuvermietung war.
Nutzungsentschädigung
Nutzungsentschädigung ist die Zahlung, die jemand für die Nutzung einer Sache leistet, für die er keinen gültigen Vertrag mehr hat oder nie hatte, aber dennoch nutzt. Damit möchte das Gesetz verhindern, dass jemand unberechtigt auf Kosten eines anderen dessen Eigentum verwendet. Sie soll den Eigentümer für den Wert der vorenthaltenen Nutzung entschädigen, ohne dass ein Mietverhältnis begründet wird.
Beispiel: Die monatlichen 750 Euro, die die Pächterin dem Eigentümer überwies, wurden vom OLG als Nutzungsentschädigung und nicht als Pacht gewertet, da kein neuer Vertrag bestand.
Räumungsvergleich
Ein Räumungsvergleich ist eine vor Gericht protokollierte Vereinbarung, die sofort vollstreckbar ist und wie ein gerichtliches Urteil wirkt. Diese Form des Vergleichs schafft Rechtsklarheit und erspart den Parteien oft langwierige Prozesse zur Durchsetzung einer Räumung. Sein Zweck ist es, schnell eine verbindliche Lösung für die Beendigung eines Miet- oder Pachtverhältnisses herbeizuführen.
Beispiel: Der Eigentümer versuchte, seinen Räumungsvergleich aus dem Jahr 2017 gegen die Pächterin durchzusetzen, um sein Grundstück für den Windradpark nutzen zu können.
Verwirkung
Juristen nennen es Verwirkung, wenn ein Recht verloren geht, weil es zu lange nicht ausgeübt wurde und der Schuldner darauf vertraute, es werde nie mehr eingefordert. Dieses Prinzip aus Treu und Glauben schützt jemanden, der sich auf die Untätigkeit des Berechtigten verlassen durfte. Es soll verhindern, dass alte Ansprüche plötzlich wieder aufleben und so die Rechtssicherheit untergraben wird.
Beispiel: Im vorliegenden Fall behauptete die Pächterin, der Räumungsanspruch des Eigentümers sei verwirkt, da er jahrelang die Nutzung duldete.
Vollstreckungsgegenklage
Eine Vollstreckungsgegenklage ist ein juristisches Werkzeug, mit dem ein Schuldner sich gegen die Zwangsvollstreckung aus einem bereits existierenden Urteil oder gerichtlichen Vergleich wehren kann. Diese Klageart dient dazu, neue Umstände oder Einwände geltend zu machen, die erst nach Erlass des ursprünglichen Titels entstanden sind und dessen Durchsetzung nun entgegenstehen. Das Gesetz ermöglicht hier eine Korrektur, wenn sich die Lage erheblich geändert hat.
Beispiel: Die Pächterin erhob eine Vollstreckungsgegenklage, um die Zwangsvollstreckung aus dem alten Räumungsvergleich zu stoppen und argumentierte mit der Verwirkung des Anspruchs.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- Verwirkung und der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB)
Diese Regel verhindert, dass jemand ein Recht ausübt, wenn er über längere Zeit untätig war und damit den Eindruck erweckt hat, er werde sein Recht nicht mehr geltend machen.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Pächterin argumentierte, der Eigentümer habe seinen Räumungsanspruch verwirkt, weil er jahrelang die Weiternutzung duldete und damit den Anschein erweckte, er wolle sein Recht nicht mehr durchsetzen. Das OLG verneinte dies, da die Pächterin aufgrund der bekannten Windradpläne kein schutzwürdiges Vertrauen in einen endgültigen Verzicht des Eigentümers haben konnte.
- Schutz des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 GG)
Dieses Grundrecht schützt das Eigentum einer Person und stellt sicher, dass sie es im Rahmen der Gesetze frei nutzen und darüber verfügen kann.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Das OLG betonte, dass eine „isolierte Verwirkung“ des Räumungstitels ohne gleichzeitigen neuen Vertrag das Eigentumsrecht des Eigentümers massiv aushöhlen würde, da er zwar Eigentümer bliebe, sein Grundstück aber nicht mehr nutzen oder zurückerlangen könnte; dies war ein entscheidender Grund, die Verwirkung abzulehnen.
- Vollstreckungsgegenklage (§ 767 ZPO)
Diese Klage ermöglicht es einem Schuldner, die Zwangsvollstreckung aus einem Urteil oder Vergleich abzuwehren, wenn nach dessen Entstehung neue Gründe aufgetreten sind, die dem Anspruch entgegenstehen.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Pächterin nutzte die Vollstreckungsgegenklage, um sich gegen die drohende Zwangsvollstreckung aus dem Räumungsvergleich zu wehren, indem sie geltend machte, der Räumungsanspruch sei durch Verwirkung oder einen neuen Pachtvertrag erloschen.
- Gerichtlicher Vergleich als Vollstreckungstitel (§ 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO)
Ein gerichtlicher Vergleich ist eine gerichtlich protokollierte Einigung zwischen Parteien, die die gleiche Rechtskraft wie ein Urteil hat und unmittelbar zur Zwangsvollstreckung genutzt werden kann.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Räumungsvergleich von 2017 war ein solcher gerichtlicher Titel, der dem Eigentümer das Recht gab, die Zwangsräumung durchzusetzen. Die zentrale Frage war, ob dieser Titel trotz seiner ursprünglichen Bindungswirkung durch das jahrelange Verhalten der Parteien seine Vollstreckbarkeit verloren hatte.
- Konkludenter Vertragsschluss (§§ 145 ff. BGB)
Ein Vertrag kann nicht nur ausdrücklich, sondern auch stillschweigend durch das Verhalten der beteiligten Parteien zustande kommen, wenn dieses Verhalten eindeutig den beidseitigen Willen zeigt, eine rechtliche Bindung einzugehen.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Das OLG prüfte, ob durch die jahrelange Duldung der Nutzung und die Entgegennahme der Zahlungen stillschweigend ein neuer Pachtvertrag entstanden war, verneinte dies jedoch, da die bloße Duldung und die Annahme einer Nutzungsentschädigung keinen ausreichenden Rechtsbindungswillen für einen neuen Vertrag belegten.
Das vorliegende Urteil
OLG Celle – Az.: 7 U 10/25 – Urteil vom 16.06.2025
* Der vollständige Urteilstext wurde ausgeblendet, um die Lesbarkeit dieses Artikels zu verbessern. Klicken Sie auf den folgenden Link, um den vollständigen Text einzublenden.
