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Mietminderung bei Baustelle auf Nachbargrundstück?

Hohes Hürden für Mieter: Berliner Gericht zur Mietminderung bei Baustellenlärm

Im Kern geht es in diesem Fall um die Klage einer Mieterin gegen ihre Vermieterin auf Mietminderung wegen erheblicher Beeinträchtigungen durch eine Baustelle auf dem benachbarten Grundstück, welche das Landgericht Berlin zurückgewiesen hat, da die Beeinträchtigungen nicht als wesentlich im Sinne des § 906 BGB angesehen wurden und somit keine Grundlage für eine Mietminderung bieten.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 64 S 319/21 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Die Klägerin, eine Mieterin, verlangte eine Mietminderung aufgrund von Lärm- und Staubbelästigungen durch Baumaßnahmen auf dem Nachbargrundstück, was die Nutzung ihrer Wohnung, insbesondere das Lüften und die Nutzung des Balkons, erheblich einschränkte.
  • Das Landgericht Berlin wies die Klage ab, da nicht bewiesen wurde, dass die Beeinträchtigungen wesentlich im Sinne des § 906 BGB waren und somit keine Mietminderung rechtfertigten. Die Berufung der Klägerin wurde zurückgewiesen, und sie muss die Kosten des Verfahrens tragen.
  • Das Urteil stützt sich auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach baustellenbedingte Störungen nur dann einen Mangel darstellen, wenn der Vermieter diese hätte unterbinden können oder ihm Ausgleichsansprüche zustehen würden.
  • Die Klägerin konnte nicht schlüssig darlegen, dass die Beeinträchtigungen über das sozialadäquate Maß hinausgingen. Zudem wurden die Bauarbeiten als ortsüblich und die Lärmbelastungen als nicht wesentlich im Sinne des § 906 BGB eingestuft.
  • Die Revision wurde zugelassen, da das Urteil Fragen zur Einheitlichkeit der Rechtsprechung aufwirft, insbesondere zur Gewichtung und Bedeutung der Kriterien des § 906 BGB.

Lärmende Baustellen und ihre Folgen für Mieter

Lärmbelästigungen und andere Beeinträchtigungen durch benachbarte Baustellen können für Mieter eine erhebliche Nutzungseinschränkung ihrer Wohnung bedeuten. Häufig stellt sich die Frage, ob Mieter in solchen Fällen ihre Mietzahlungen mindern dürfen.

Eine Mietminderung wegen Baulärms vom Nachbargrundstück kommt durchaus in Betracht, ist aber an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. Dabei sind mehrere Faktoren wie die Intensität und Dauer der Belästigungen von Bedeutung. Letztlich muss eine wesentliche Beeinträchtigung der Gebrauchstauglichkeit der Mietsache vorliegen.

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➜ Der Fall im Detail


Mietminderung bei Baustellenlärm: Ein Berliner Fall

Im Zentrum dieses Rechtsstreits steht die Klage einer Mieterin gegen ihre Vermieterin bezüglich einer Mietminderung aufgrund erheblicher Beeinträchtigungen durch Baumaßnahmen auf einem angrenzenden Grundstück. Der Fall, der vor dem Landgericht Berlin II unter dem Aktenzeichen 64 S 319/21 verhandelt wurde, beleuchtet die komplexe Interaktion zwischen Mieterrechten und den Grenzen von Mietminderungsansprüchen bei extern verursachten Störungen. Die Mieterin sah sich durch den Lärm und Staub der Baustelle in der Nutzung ihrer Wohnung so stark eingeschränkt, dass sie eine Mietminderung von 35% für den Zeitraum vom 15. April 2020 bis 14. Oktober 2022 geltend machte, was einem Betrag von 6.373,50 Euro entspricht.

Die Entscheidung des Landgerichts Berlin

Das Gericht wies die Berufung der Klägerin zurück und folgte damit der vorinstanzlichen Entscheidung des Amtsgerichts Charlottenburg, welche die Klage bereits abgewiesen hatte. Die Begründung des Landgerichts stützt sich maßgeblich auf die fehlende Schlüssigkeit des Vortrags der Klägerin bezüglich der Wesentlichkeit der Beeinträchtigungen nach § 906 BGB. Besonders betont wurde die Notwendigkeit für Mieter, detailliert darzulegen, inwiefern die Nutzung der Wohnung durch extern verursachte Immissionen beeinträchtigt wird, und dass diese Beeinträchtigungen das Maß des Sozialadäquaten überschreiten.

Juristische Abwägungen und Beweislast

Das Gericht orientierte sich an der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Frage der Mietminderung bei baustellenbedingten Störungen. Entscheidend war, ob die Störungen vom Vermieter abgewehrt werden können oder ob diesem Ausgleichsansprüche gegen den Verursacher zustehen. Die Kammer sah es nicht als erwiesen an, dass die Baumaßnahmen zu wesentlichen Beeinträchtigungen im Sinne des § 906 BGB geführt hätten, die eine Mietminderung rechtfertigen würden.

Auswirkungen und Bedeutung für Mieter und Vermieter

Die Entscheidung unterstreicht die hohen Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Mieters bei Mietminderungsbegehren aufgrund externer Baustellen. Für Vermieter bestätigt das Urteil die begrenzte Verantwortlichkeit für von Dritten verursachte Beeinträchtigungen. Zugleich wirft der Fall Licht auf die Notwendigkeit klarer gesetzlicher Regelungen und präziserer Richtlinien, um die Rechte und Pflichten von Mietern und Vermietern in solchen Konstellationen ausgewogen zu gestalten.

Revision zugelassen

Interessanterweise ließ das Landgericht Berlin die Revision zum Bundesgerichtshof zu, was die Bedeutung des Falles für die weitere juristische Auseinandersetzung mit der Thematik der Mietminderung bei externen Störungen unterstreicht. Diese Entscheidung ermöglicht eine höchstrichterliche Bewertung und könnte dazu beitragen, die Rechtslage in ähnlichen Fällen zu präzisieren.

✔ Häufige Fragen – FAQ

Welche Voraussetzungen müssen für eine Mietminderung wegen Baustellenlärm erfüllt sein?

Für eine erfolgreiche Mietminderung wegen Baustellenlärm müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt sein. Diese Kriterien sind im deutschen Mietrecht festgelegt und durch die Rechtsprechung, insbesondere durch Urteile des Bundesgerichtshofs (BGH), präzisiert worden. Die wesentlichen Voraussetzungen umfassen:

  • Wesentliche Beeinträchtigung der Gebrauchstauglichkeit: Der Mieter muss darlegen und beweisen, dass die Störung durch Baustellenlärm zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Gebrauchstauglichkeit seiner Wohnung führt. Eine Beeinträchtigung ist dann als wesentlich anzusehen, wenn sie die Wohnqualität erheblich mindert und über das übliche Maß hinausgeht. Dabei spielen Faktoren wie die Lautstärke, Dauer und Häufigkeit des Lärms eine Rolle.
  • Nachweis der Beeinträchtigung: Der Mieter trägt die Beweislast für die Beeinträchtigung durch den Baulärm. Dies kann durch Lärmprotokolle, Zeugenaussagen oder andere geeignete Beweismittel erfolgen. Ein Lärmprotokoll sollte Angaben über Datum, Uhrzeit, Art und Dauer der Lärmbelästigung enthalten.
  • Keine vorherige Kenntnis: Eine Mietminderung ist in der Regel ausgeschlossen, wenn der Mieter bei Vertragsabschluss bereits von der Baustelle und dem damit verbundenen Lärm wusste oder wissen musste. In solchen Fällen wird angenommen, dass der Mieter den Lärm bei der Anmietung der Wohnung in Kauf genommen hat.
  • Keine Abwehr- oder Entschädigungsansprüche des Vermieters: Wenn der Vermieter die Lärmimmissionen ohne eigene Abwehr- oder Entschädigungsmöglichkeiten hinnehmen muss, besteht grundsätzlich kein Anspruch auf Mietminderung. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Lärm von einer öffentlichen Baustelle stammt, auf die der Vermieter keinen Einfluss hat.
  • Mängelanzeige: Der Mieter muss den Mangel, also die Lärmbelästigung, dem Vermieter unverzüglich anzeigen und ihm die Möglichkeit zur Abhilfe geben. Erst wenn der Vermieter nicht reagiert oder keine Abhilfe schaffen kann, kommt eine Mietminderung in Betracht.

Diese Voraussetzungen stellen sicher, dass Mietminderungen wegen Baulärms auf einer soliden rechtlichen Grundlage erfolgen und sowohl die Interessen der Mieter als auch die der Vermieter angemessen berücksichtigt werden.

Wie wird die Höhe der Mietminderung bei Baustellenlärm bestimmt?

Die Höhe der Mietminderung bei Baustellenlärm wird durch eine Vielzahl von Faktoren bestimmt, die im Einzelfall zu betrachten sind. Es gibt keine pauschalen Sätze oder festen Prozentsätze, die automatisch auf jede Situation anwendbar sind. Stattdessen müssen die spezifischen Umstände jeder einzelnen Beeinträchtigung berücksichtigt werden. Zu den relevanten Faktoren gehören insbesondere die Intensität und Dauer des Lärms, die Tageszeit, zu der der Lärm auftritt, und inwiefern der Lärm die Nutzung der Wohnung beeinträchtigt.

  • Intensität des Lärms: Die Lautstärke und die Art des Lärms spielen eine wesentliche Rolle bei der Bestimmung der Mietminderungshöhe. Je lauter und störender der Lärm, desto höher kann die Mietminderung ausfallen.
  • Dauer und Häufigkeit: Auch die Dauer der Lärmbelästigung ist entscheidend. Lang andauernder oder wiederkehrender Lärm kann eine höhere Mietminderung rechtfertigen als ein einmaliges Ereignis.
  • Tageszeit: Lärm, der während der Ruhezeiten, insbesondere nachts, auftritt, wird in der Regel als störender empfunden und kann daher eine höhere Mietminderung begründen.
  • Beeinträchtigung der Wohnnutzung: Entscheidend ist, inwieweit der Lärm die vertragsgemäße Nutzung der Wohnung beeinträchtigt. Ist beispielsweise das Arbeiten von zu Hause aus oder die Nachtruhe erheblich gestört, kann dies eine höhere Mietminderung rechtfertigen.

Die Rechtsprechung hat in der Vergangenheit unterschiedliche Mietminderungsquoten für vergleichbare Fälle festgelegt, die als Orientierung dienen können, jedoch immer den individuellen Fall berücksichtigen müssen. Beispielsweise wurde in einem Fall eine Mietminderung von 25% bei erheblichem Baulärm durch Bauarbeiten auf dem Nachbargrundstück als angemessen erachtet.

In einem anderen Fall wurde eine Mietminderung von 20% bei unerträglichem Baulärm, auch bei Abwesenheit des Mieters, als gerechtfertigt angesehen. Es ist wichtig zu betonen, dass die Höhe der Mietminderung immer einzelfallabhängig ist und durch die konkreten Umstände des Einzelfalls bestimmt wird. Mieter sollten daher, bevor sie eine Mietminderung vornehmen, die spezifischen Umstände dokumentieren und idealerweise rechtlichen Rat einholen, um die angemessene Höhe der Mietminderung zu bestimmen.

Kann der Vermieter gegen die Mietminderung wegen Baustellenlärm vorgehen?

Ein Vermieter hat verschiedene Möglichkeiten, auf eine Mietminderung wegen Baustellenlärm zu reagieren. Die Reaktion hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere davon, ob die Mietminderung berechtigt ist und ob der Vermieter Einfluss auf die Lärmquelle hat.

  • Überprüfung der Berechtigung: Zunächst sollte der Vermieter prüfen, ob die Mietminderung des Mieters berechtigt ist. Dazu gehört die Überprüfung, ob der Lärm tatsächlich eine wesentliche Beeinträchtigung der Wohnnutzung darstellt und ob der Mieter die Mängelanzeige korrekt vorgenommen hat.
  • Kommunikation mit dem Mieter: Der Vermieter kann das Gespräch mit dem Mieter suchen, um die Situation zu klären und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Dies kann auch dazu beitragen, Missverständnisse auszuräumen und eine einvernehmliche Lösung zu finden.
  • Abhilfe schaffen: Wenn möglich, kann der Vermieter Maßnahmen ergreifen, um die Lärmbelästigung zu reduzieren. Dies könnte beispielsweise das Aufstellen von Schallschutzmaßnahmen oder das Aushandeln von Ruhezeiten mit den Verantwortlichen der Baustelle umfassen.
  • Rechtliche Schritte: Falls der Vermieter der Ansicht ist, dass die Mietminderung unberechtigt ist, kann er rechtliche Schritte einleiten. Dies kann die Aufforderung zur Nachzahlung der geminderten Miete oder im Extremfall die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens umfassen.
  • Eigene Ansprüche geltend machen: Wenn der Vermieter durch die Baustelle selbst beeinträchtigt wird und diese nicht in seinem Verantwortungsbereich liegt, kann er versuchen, eigene Ansprüche gegen den Verursacher des Lärms geltend zu machen. Dies könnte beispielsweise Schadensersatzansprüche oder Unterlassungsansprüche umfassen.

Es ist wichtig, dass der Vermieter bei der Reaktion auf eine Mietminderung wegen Baustellenlärm sorgfältig vorgeht und die rechtlichen Rahmenbedingungen beachtet. In vielen Fällen kann eine außergerichtliche Einigung die beste Lösung sein, um langwierige und kostspielige Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden. Sollte es dennoch zu einem Rechtsstreit kommen, ist es ratsam, dass der Vermieter sich rechtlich beraten lässt, um seine Position und seine Rechte effektiv zu verteidigen.

Welche Beweise sind für eine erfolgreiche Mietminderung wegen Baustellenlärm erforderlich?

Für eine erfolgreiche Mietminderung wegen Baustellenlärm müssen Mieter nachweisen, dass der Lärm eine wesentliche Beeinträchtigung der Gebrauchstauglichkeit ihrer Wohnung darstellt. Es ist jedoch nicht zwingend erforderlich, ein detailliertes Lärmprotokoll zu führen oder Schallmessungen durchzuführen. Entscheidend ist, dass der Mieter die Symptome des Mangels, also die Art und Weise der Beeinträchtigung durch den Lärm, beschreibt. Folgende Beweismittel können relevant sein:

  • Beschreibung der Beeinträchtigung: Mieter müssen die Art des Lärms, die Tageszeiten des Auftretens und die Zeiträume der Lärmbelästigung beschreiben. Eine detaillierte und nachvollziehbare Darstellung der Lärmbelästigung ist erforderlich, um die Mietminderung zu begründen.
  • Zeugenaussagen: Zeugen können die Lärmbelästigung bestätigen und somit als Beweismittel dienen. Dies können Nachbarn oder andere Bewohner des Hauses sein.
  • Lärmprotokoll: Obwohl kein minutiöses Lärmprotokoll erforderlich ist, kann es hilfreich sein, die Lärmbelästigungen zu dokumentieren. Ein Lärmprotokoll sollte Informationen über die Art des Lärms, die Dauer, die Uhrzeiten und die Häufigkeit der Störungen enthalten.
  • Sachverständigengutachten oder objektive Lärmmessung: In manchen Fällen kann es sinnvoll sein, ein Sachverständigengutachten einzuholen oder eine objektive Lärmmessung durchzuführen, um die Intensität des Lärms zu belegen.

Es ist wichtig, dass Mieter den Mangel, also die Lärmbelästigung, dem Vermieter unverzüglich anzeigen und ihm die Möglichkeit zur Abhilfe geben. Erst wenn der Vermieter nicht reagiert oder keine Abhilfe schaffen kann, kommt eine Mietminderung in Betracht. Die Höhe der Mietminderung hängt von der Art und dem Umfang der Belastung ab und muss im Einzelfall bestimmt werden. Bei eher geringem Baulärm ist eine Mietminderung von fünf Prozent realistisch, bei lautem unablässigen Lärm mit viel Dreck und Staub sind bis zu 35 Prozent Minderung der Miete möglich.

§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils

  • § 536 BGB Mietminderung bei Sach- und Rechtsmängeln: Dieser Paragraph regelt, dass der Mieter bei Mängeln, die den Gebrauch der Mietsache erheblich mindern, berechtigt ist, die Miete zu mindern. Im Kontext des Falls ist dieser Paragraph zentral, da er die rechtliche Grundlage für die Mietminderung wegen Baustellenlärm auf dem Nachbargrundstück bildet.
  • § 906 BGB Zuführung unwägbarer Stoffe: Dieser Paragraph thematisiert, inwiefern Emissionen (wie Lärm und Staub von Baustellen) auf das Nachbargrundstück zugeführt werden dürfen und welche Ansprüche daraus entstehen können. Der Bezug zum Thema liegt in der Abwägung, ob und inwieweit die Beeinträchtigungen durch die Baustelle als „wesentlich“ einzustufen sind und welche Duldungspflichten bestehen.
  • Zivilprozessordnung (ZPO) §§ 511, 517, 519, 520: Diese Paragraphen regeln die Berufung im zivilrechtlichen Verfahren, einschließlich der Form- und Fristvorschriften. Sie sind relevant, da die Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Berufung eingelegt hat und das Landgericht diese nach Prüfung der formalen und inhaltlichen Voraussetzungen als unbegründet zurückgewiesen hat.
  • Ergänzende Vertragsauslegung im Mietrecht: Obwohl kein spezifischer Paragraph, ist dieses rechtliche Prinzip wesentlich für die Entscheidung des Falls. Es betrifft die Interpretation des Mietvertrags hinsichtlich nicht ausdrücklich geregelter Situationen, wie z.B. der Frage, ob und in welchem Umfang Baustellenlärm als Mangel der Mietsache zu sehen ist.
  • AVV Baulärm (Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Schutz gegen Baulärm): Diese Richtlinie legt Schutzmaßnahmen und Grenzwerte für Lärmemissionen von Baustellen fest. Sie ist für den Fall relevant, da sie Kriterien für die Beurteilung bietet, ob die Lärmbelastung durch die Baustelle unzumutbar war.
  • § 543 Abs. 2 ZPO Revision: Dieser Paragraph ermöglicht unter bestimmten Voraussetzungen die Revision des Urteils beim Bundesgerichtshof. Die Zulassung der Revision durch das Landgericht unterstreicht die grundsätzliche Bedeutung des Falles für die Rechtsprechung zum Mietrecht und zu Mietminderungen bei extern verursachten Beeinträchtigungen.


Das vorliegende Urteil

LG Berlin II – Az.: 64 S 319/21 – Urteil vom 08.02.2024

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg vom 17. November 2021 – 211 C 98/21 – wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Streithelferin der Beklagten zu tragen.

Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die jeweilige Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision der Klägerin wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin als Mieterin einer Wohnung macht gegen die Beklagte als Vermieterin Mietminderung geltend, weil sie den Nutzen der Wohnung durch den Betrieb einer Baustelle auf dem Nachbargrundstück für erheblich beeinträchtigt hielt.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes einschließlich der im ersten Rechtszug zur Verhandlung gestellten Sachanträge wird zunächst auf die tatsächlichen Feststellungen des angegriffenen Urteils Bezug genommen, wobei klarzustellen ist, dass der Abriss der Bestandsgebäude bereits im Zeitraum ab 2019 stattfand und nicht Gegenstand der Klage ist; die Beklagte gestand insoweit eine Mietminderung von 10% zu.

Das Amtsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin habe nicht schlüssig dargetan, dass der Nutzen der Wohnung im Zeitraum ab 15. April 2020 durch die Baustelle über das nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ersatzlos hinzunehmende Maß hinaus beeinträchtigt gewesen sei. Die Klägerin habe zur konkreten Beeinträchtigung des Wohnungsnutzens nicht ausreichend vorgetragen, sondern im Wesentlichen bloß geltend gemacht, dass sie die Wohnung nur in Baupausen habe lüften können. Soweit sie die Unbenutzbarkeit des Balkons wegen Lärm und Staub behauptet habe, sei das unschlüssig, weil unklar bleibe, wo sich der Balkon im Verhältnis zur Baustelle auf dem Nachbargrundstück befinde.

Gegen das ihr am 24. November 2021 zugestellte Urteile wendet sich die Klägerin mit ihrer am 8. Dezember 2021 eingelegten und am 24. Januar 2022 begründeten Berufung.

Sie macht geltend, dass sie unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ausreichend zu den Auswirkungen der Baumaßnahmen vorgetragen habe; es sei daher nun Sache des Gerichts, in die Beweisaufnahme einzutreten und sich davon zu überzeugen, ob ein Mangel vorliege oder nicht.

Die Kammer hat die Klägerin zunächst mit Beschluss vom 20. Juni 2022 darauf hingewiesen, dass sie die Berufung durch einstimmigen Beschluss als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen beabsichtige. Die Klägerin habe nicht schlüssig dargetan, dass von der Baustelle wesentliche Beeinträchtigungen im Sinne des § 906 BGB ausgingen. Die Klägerin hat daraufhin noch einmal auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verwiesen und geltend gemacht, dass die Kammer die geltend gemachte Wesentlichkeit der Beeinträchtigungen nicht nach Lage der Akten, sondern erst auf Grundlage einer Beweisaufnahme beurteilen könne.

Die Klägerin trägt zum Ablauf der Baumaßnahmen stichpunktartig wie folgt vor:

15. April 2020

Beginn der Errichtung mehrerer Gebäude auf dem Nachbargrundstück; Planierung des 60 m x 90 m großen Geländes mit schweren Maschinen; Ausheben von Baugruben und Wegstemmen von Mauerresten; ca. 15-fach täglich Schuttabtransport mittels LKW, die nicht abgedeckt werden. Die Baustelle beginne 10 m rechts (bei Sicht auf das Gebäude) von der Haustür, auf der gleichen Straßenseite

Mai 2020 bis Juni 2020

es würden Stahlträger in die Baugruben gerammt; Drehbohrgeräte mit Dieselgestank würden bis Mitte Juni 2020 genutzt; Ausschachten werde fortgesetzt, Quietschen der Ketten und Piepsen beim Rückwärtsfahren, hupende LKW; Betonmischfahrzeuge täglich auf der Straße vor der Wohnung

Juli 2020

Wegstemmen, polterndes Aufladen und Abtransport alter Betonfundamente

August 2020

Zuschnitt von Brettern für die Verschalung mittels Kettensägen; weiterhin Erdarbeiten und -transport

September 2020

ausgegossene Gründungspfähle würden mit Trennschleifern und Stemmbohrern auf einheitliche Höhe gebracht; im mittleren Fundament würden wieder Mauerreste weggehämmert und abtransportiert

Oktober 2020

kurze Baupause bis Ende Oktober 2020, dann weiter Zerschlagung alter Mauerreste und Erdarbeiten

November 2020 bis 11. Februar 2021

Fortsetzung dieser Maßnahmen, außer in der Baupause vom 20. Dezember 2020 bis 15. Januar 2021

12. Februar 2021 bis Frühsommer 2021

Errichtung Rohbau und parallel weitere Erdarbeiten; Aufbau zweier Kräne, krachendes Einschlagen von Bolzen; Sandverdichtung in Baugrube mittels Rüttler

Februar 2021 bis März 2021

Zuschnitt per Flex und Verlegung von Eisengittergeflecht für Bodenplatte des zentralen Wirtschaftshofs; am 17. März 2021, 6.15 h bis nach 21.00 h Betonarbeiten unter Einsatz Flügelglätter

April 2021

Maurerarbeiten; kreischender Lärm durch Steintrennmaschinen, auch Ostersamstag; regelmäßig Samstagarbeit 7h bis 13h Mai 2021 Verschärfung der Lärmbelastung, da Straße aufgerissen werde, um Fernwärmeanschluss herzustellen; Dieselgeruch und starke Staubentwicklung durch Betonfräsen; Staub auf Fensterbänken Bauarbeiter brüllten laut, um sich zu verständigen; hörten laut Musik, insbesondere samstags

Sommer 2021

Fertigwände und andere Fertigbauteile würden per LKW angeliefert, laufende Motoren, pp.

Juli 2021

Bagger brächten Sand von Lagerstelle Ecke A., ständig Verkehr vor Wohnung und Balkon

Oktober 2021

Aufbau der Gerüste; Geschepper beim Abladen, Hämmern beim Aufbau; Gebrüll der Arbeiter nun näher auf Gerüsten; ab da Schabegeräusche durch Putzarbeiten; Arbeiter brüllen über Radios und Baulärm hinweg

November 2021 bis Dezember 2021

Lärm durch Schließung von Fensteröffnungen in der Brandmauer zum Nachbargrundstück im Haus; durchgehend Steinschneider und Baumaschinen

Mai 2022

Abbau Gerüst; laut, und Abtransport

Oktober 2022 bis November 2022

Rüttlereinsatz, zwecks Verdichtung und Bepflanzung

Zu den Auswirkungen der Baumaßnahme trägt die Klägerin stichpunktartig wie folgt vor:

– Lüften könne sie seit einem Jahr nur noch in den Baupausen; ihren Balkon könne sie de facto nicht mehr nutzen, auch wegen Schmutz; dies habe während des Corona-Lockdowns besonders schwer gewogen. Die Nichtnutzbarkeit des Balkons und die stark eingeschränkte Lüftungsmöglichkeit für die Wohnung stellten wesentliche Beeinträchtigungen dar.

– Pflanzentöpfe auf einer Blumenbank bewegten sich und Geschirr klirre in Schränken durch Rammarbeiten in Mai und Juni 2020.

– Die Klägerin spüre während der Sandverdichtung in der Baugrube mittels Rüttler Erschütterungen im ganzen Körper.

– Mehrere Mieter unterzeichnen im März 2021 eine „Petition“ an das Bezirksamt, da der Lärm verbunden mit dem Lockdown eine unzumutbare Belastung darstelle und zu Gesundheitsschäden führe

– Seit Beginn der Bauarbeiten seien drei Mietparteien ausgezogen, um der Dauerbelastung zu entgehen

– 10% Mietminderung sei viel zu wenig, da eine solche Quote schon allein für die bloße Beeinträchtigung des Balkons anzusetzen sei

Mit Schriftsatz vom 27.04.2023 hat die Beklagte der Streithelferin den Streit verkündet, welche dem Streit auf Seiten der Beklagten beigetreten ist.

Die Klägerin hat zunächst angekündigt, den erstinstanzlichen Feststellungsantrag uneingeschränkt weiter zu verfolgen. In der mündlichen Verhandlung am 13. Dezember 2023 hat sie ihr Begehren umgestellt und beantragt nunmehr sinngemäß,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin den auf den Zeitraum 15. April 2020 bis 14. Oktober 2022 entfallenden Minderungsbetrag von 35% der Bruttowarmmiete in Höhe von 6.373,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13. Dezember 2023 zu zahlen.

Die Beklagte und ihre Streithelferin beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil. Wesentliche Störungen seien nicht dargetan und hätte es auch nicht gegeben. Weder die Steintrenngeräte noch die Motorsägen hätten eingehaust werden können, da diese jeweils unmittelbar am Einsatzort benötigt worden seien und sich die Bauzeit andernfalls insgesamt unzumutbar verlängert hätte.

Die Kammer hat Beweis erhoben über Ausmaß und Auswirkungen der Baumaßnahmen durch Vernehmung der Zeugen G., Sch. – und B. Wegen der Einzelheiten und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 15. Februar 2023 verwiesen (Bl. 107 ff. d. A.).

II.

1. Die Berufung ist zulässig, insbesondere statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 511, 517, 519, 520 ZPO.

2. Sie ist jedoch nicht begründet. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat das Amtsgericht die Klage zu Recht abgewiesen. Die Kammer hat sich nicht die Überzeugung verschaffen können, dass die Baumaßnahmen zu im Sinne des § 906 BGB wesentlichen Beeinträchtigungen geführt hätten, die die Beklagte gemäß § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB hätte unterbinden können oder gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB nur gegen eine angemessene Ausgleichszahlung hätte dulden müssen.

Die Kammer folgt im Ausgangspunkt den Vorgaben des VIII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs, die sie im Hinweisbeschluss vom 20. Juni 2022 wie folgt zusammengefasst hat:

„Die Parteien haben mit dem Mietvertrag keine Vereinbarungen über Umwelteinflüsse und das zulässige Maß der auf die Wohnung einwirkenden Lärmimmissionen getroffen; es gibt insbesondere weder eine ausdrückliche noch konkludente Beschaffenheitsvereinbarung der Parteien dahin, dass das Mietobjekt im Verlaufe des Mietverhältnisses niemals höheren Immissionen als zu Vertragsbeginn ausgesetzt sein dürfe.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH – VIII ZR 31/18 -, Urteil v. 29.04.2020, GE 2020, 865; BGH – VIII ZR 197/14 -, GE 2015, 849), ergibt sich im Wege ergänzender Vertragsauslegung, dass benachbarte baustellenbedingte Störungen des Mietgebrauchs nur insoweit einen Mangel darstellen und zur Mietminderung nach § 536 Abs. 1 BGB führen, als der Vermieter die Störungen nach § 906 Abs. 1 BGB hätte unterbinden können oder ihm gegen den Nachbarn Ausgleichsansprüche nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB erwachsen.

Dies darzulegen und zu beweisen obliegt dem Mieter (vgl. BGH – VIII ZR 31/18 -, Urteil vom 29.04.2020, GE 2020, 865, Rn. 81). Die Wesentlichkeit einer Beeinträchtigung nach § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB dient dazu, „sozialadäquate“ Belästigungen im nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis von „über eine bloße Belästigung hinausgehenden, körperliches Unbehagen hervorrufenden und deshalb wesentlichen Beeinträchtigungen“ abzugrenzen (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 82).

Der Mieter muss daher bei wiederkehrenden Beeinträchtigungen beschreiben, um welche Art von Beeinträchtigungen es geht und zu welchen Tageszeiten, über welche Zeitdauer und in welcher Frequenz diese ungefähr auftreten sowie ferner dartun, dass es sich bei den geltend gemachten Immissionen um wesentliche Beeinträchtigungen im Sinne des § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB handelt (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 84).“

Das Landgericht Hamburg beschreibt die sich daraus für einen Mieter ergebende Darlegungslast wie folgt (LG Hamburg – 311 S 5/22 -, Urt. v. 13.01.2023, ZMR 2023, 637 f., Rn. 7):

„Die Darlegungs- und Beweislast verteilt sich nach den im Wohnraummietrecht geltenden Grundsätzen nach Verantwortungsbereichen. Deshalb hat der Mieter darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen, dass die von ihm angemietete Wohnung aufgrund der benachbarten Baustelle Geräusch- und Schmutzimmissionen ausgesetzt ist, welche die Gebrauchstauglichkeit der Wohnung unmittelbar (erheblich) beeinträchtigen, und dass es sich dabei um eine wesentliche Beeinträchtigung i. S. d. § 906 Abs. 1 S. 1 BGB handelt (BGH, NZM 2020, 598 Rn. 64 ff., beck-online; NZM 2022, 178 Rn. 40, beck-online). Insoweit ist es weder erforderlich, dass der Mieter Lärmprotokolle führt noch, dass er das Ergebnis einer Messung des von den Bauarbeiten ausgehenden Schalldruckpegels in Dezibel (dB) vorlegt. Der Mieter genügt seiner Darlegungslast vielmehr bereits mit einer Beschreibung, aus der sich ergibt, um welche Art von Beeinträchtigung es geht und zu welchen Tageszeiten, über welche Zeitdauer und in welcher Frequenz diese ungefähr auftreten, soweit sich daraus der Rückschluss auf eine i. S. d. § 906 Abs. 1 S. 1 BGB wesentliche Beeinträchtigung ergibt. Ausreichend ist die Beschreibung dieser Beeinträchtigungen nach den für das streitgegenständliche Bauvorhaben üblichen Bauphasen (BGH, NZM 2020, 598, Rn. 83-85, beck-online; NZM 2022, 178, Rn. 41/42, beck-online).“

a) Ebenso wie das Landgericht Hamburg in seinem Fall hat die Kammer vorliegend nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme keinen Zweifel daran, dass der nach dem Mietvertrag vorgesehene und gewöhnlich gewährte Nutzen der Mietwohnung auf Grund der von der Baustelle ausgehenden Störungen jedenfalls bis zum Abschluss der Rohbauarbeiten Ende Oktober 2021 außerhalb der Baupausen mehr als nur unerheblich beeinträchtigt war.

Der von der Klägerin geschilderte und von den Zeugen bestätigte Staub sowie vor allem der Lärm, verursacht insbesondere durch die Rammarbeiten im Mai und Juni 2020, durch das maschinelle Wegstemmen massiver Betonfundamente ab Juli 2020, durch den Einsatz von Steintrennmaschinen ab April 2021 sowie auch durch den intensiven Schwerlastverkehr auf der sonst eher ruhigen Anliegerstraße vor dem von der Klägerin genutzten Balkon, bedingte zur Überzeugung der Kammer, dass die Klägerin die Wohnung während des Baubetriebs tagsüber nicht lüften und sich während dieser Zeiten auf dem Balkon nicht mehr zu Erholungszwecken aufhalten konnte. Der Nutzen der Wohnung war durch den Lärm auch im Übrigen mehr als unerheblich eingeschränkt. Die Zeugen haben übereinstimmend und gut nachvollziehbar geschildert, dass Telefonate oder persönliche Gespräche innerhalb ihrer jeweiligen Wohnungen nur erschwert möglich waren und eine gegenseitige Verständigung lautes Rufen erforderte. Die Kammer geht daher davon aus, dass es auch in der Wohnung der Klägerin allenfalls eingeschränkt möglich war, beispielsweise im Homeoffice zu arbeiten, da die Baugeräusche insbesondere einer aktiven Teilnahme an Telefon- oder Videokonferenzen entgegenstanden.

b) Anders als das Landgericht Hamburg in seinem Fall und vorliegend die Klägerin vermag die Kammer allerdings nicht festzustellen, dass es sich bei diesen mehr als unerheblichen Beeinträchtigungen des gewöhnlichen Nutzens der Mietsache zugleich um ausgleichspflichtige wesentliche Nutzungsbeeinträchtigungen im Sinne des § 906 BGB handelte.

Nach Vorgabe des VIII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes soll ein Vermieter nämlich nicht schon für jede mehr als unerhebliche Beeinträchtigung des bis zu der Veränderung der äußeren Umstände gewohnten Nutzens der Mietsache einzustehen haben, sondern nur für solche Umfeldveränderungen, die er selber nach Maßgabe des § 906 BGB abwehren kann oder nur gegen Ausgleichszahlung hinnehmen muss; die Freiheit von dahinter zurückbleibenden Einwirkungen auf das Grundstück, die ein Grundstückseigentümer ausgleichslos hinnehmen muss, sind danach gar nicht Gegenstand des vertraglichen Leistungsversprechens des Vermieters und der Gewährleistung. Die ursprüngliche dagegen stehende Erwägung der Kammer, dass das Risiko einer nach Mietvertragsschluss – auch zufällig – eintretenden Verringerung des Nutzens der Mietsache grundsätzlich der Risikosphäre des Vermieters zuzuordnen sei (LG Berlin – 18 S 211/16 -, Urt. v. 07.06.2017, GE 2017, 1550 f., Rn. 10), hat der Bundesgerichtshof unter Hinweis darauf verworfen, dass es sich bei einer durch Dritte verursachten Nutzungsbeeinträchtigung aus Sicht beider Vertragsparteien um ein unabwendbares Ereignis handeln könne, für das ein Vermieter erkennbar keine Haftung übernehmen wolle und billigerweise auch nicht übernehmen müsse. Auf den Hinweis der Kammer, dass die Konturierung des Mangelbegriffs am Maßstab des § 906 BGB (so BGH – VIII ZR 258/19 -, Urt. v. 24.11.2021, GE 2022, 93 ff., Rn. 31) darauf hinauslaufe, dem Mieter während der Laufzeit des Mietverhältnisses das Risiko einer vom Vermieter als Eigentümer entschädigungslos hinzunehmenden Wohnwertverschlechterung allein zuzuweisen, statt ihn bloß „an der jeweiligen Situationsgebundenheit des Mietgrundstücks“ – anteilig – teilhaben zu lassen (LG Berlin, a. a. O.), ist der Senat dabei nicht eingegangen.

Nun führt zwar der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 24. November 2021 aus, ein Mieter müsse zur Darlegung der Wesentlichkeit einer Beeinträchtigung letztlich nicht mehr darlegen und beweisen als im Falle nicht mehr sozialadäquater Lärmstörungen aus einer Nachbarwohnung (BGH – VIII ZR 258/19 -, Urt. v. 24.11.2021, GE 2022, 93 ff., Rn. 40 f.); und im damaligen Fall hielt es der Bundesgerichtshof für den Eintritt in die Beweisaufnahme über die Wesentlichkeit der Beeinträchtigungen zunächst gar für ausreichend, dass die Mieter unter Beschreibung der Bauphasen vorgetragen hatten, sie hätten die Wohnungsfenster tagsüber nicht mehr öffnen und trotz geschlossener Fenster in der Mehrzahl der Zimmer keine Unterhaltungen mehr führen können (BGH, a. a. O., Rn. 44). Die Kammer geht gleichwohl davon aus, dass an die Wesentlichkeit einer Beeinträchtigung, auch soweit sie im Rahmen des § 536 BGB zur Konturierung des Mangelbegriffs zu prüfen ist, der selbe in der Rechtsprechung des V. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes entwickelte strenge Maßstab anzulegen ist, der bei der unmittelbaren Anwendung des § 906 BGB im Nachbarschaftsrecht gilt; andernfalls liefe das Kriterium nicht nur weitgehend leer, sondern sähe der Vermieter sich mietvertraglichen Gewährleistungsansprüchen nach §§ 536, 536a BGB ausgesetzt, ohne erfolgreich gegen den Grundstücksnachbarn als Verursacher der Störungen vorgehen und diesen gegebenenfalls in Regress nehmen zu können.

Wie der bereits im Urteil der Kammer zu 18 S 211/16 zitierte Fall „Porta Nigra“ (BGH – V ZR 204/73 -, Urt. v. 26.09.1975, ZMR 1977, 19 ff.) exemplarisch verdeutlicht, muss selbst die durch nachbarliche Baumaßnahmen bedingte Unbenutzbarkeit einer zum Betrieb eines Cafés verpachteten Freifläche keine nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ausgleichspflichtige wesentliche Beeinträchtigung darstellen, wenn die Baumaßnahme ortsüblich und dem Grundstückseigentümer wegen seines mittelbaren Interesses an ihrer Durchführung zumutbar ist. Für einen strengen Prüfungsmaßstab spricht vorliegend auch das besondere öffentliche Interesse am Bau neuer Wohnungen. Würde die Wesentlichkeit der Beeinträchtigungen vorschnell bejaht oder den Grundstücksnachbarn auch schon für duldungspflichtige Beeinträchtigungen ein Ausgleichsanspruch zuerkannt, die einem Sonderopfer in Form eines enteignungsgleichen Eingriffs noch nicht nahekommen, müsste jeder Bauherr erhebliche Beträge für die Entschädigung sämtlicher Anlieger des Baugrundstücks einkalkulieren und würde sich der Bau neuer Wohnungen drastisch verteuern.

Aus den im Einzelnen bereits mit dem Hinweisbeschluss vom 20. Juni 2022 aufgezeigten Gründen vermag die Kammer danach auch unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme nicht festzustellen, dass von der Baustelle wesentliche Beeinträchtigungen ausgingen, die die Beklagte nach § 906 BGB hätte unterbinden können oder die ihr nur gegen Ausgleichszahlung zuzumuten waren. Die Neubebauung des Nachbargrundstücks als solche stellt sich, solange sie nicht öfter als alle 50 Jahre stattfindet, auch der konkreten erheblichen Ausmaße nach als ortsübliche Nutzung des Grundstücks dar, die die Beklagte ausweislich der der Streithelferin erteilten Baugenehmigung nicht hätte unterbinden können und die sie entschädigungslos hinzunehmen hatte. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass sich die durch das Bauvorhaben verursachten Störungen nicht mehr im ortsüblichen Rahmen gehalten hätten, namentlich die Vorgaben der AVV Baulärm verletzt hätten. Jedenfalls in zeitlicher Hinsicht ist dies unstreitig, da in der AVV Baulärm als Nachtzeit die Zeit von 20:00 Uhr bis 7:00 Uhr definiert ist und die Klägerin nicht bewiesen hat, dass auf der Baustelle – außer an einem einzigen Tag, als eine Betonplatte errichtet wurde – morgens vor 7:00 Uhr oder abends nach 20:00 Uhr gearbeitet wurde. Auf Grundlage des Vortrages der Klägerin und der Zeugenaussagen ist auch nicht erkennbar, dass der Immissionsrichtwert (tagsüber) von 55 dB(A), den die AVV Baulärm für Gebiete vorsieht, in denen vorwiegend Wohnungen untergebracht sind, überschritten worden sei. Soweit die Klägerin bemängelt, dass die Steintrenngeräte zur Schalldämmung hätten eingehaust werden müssen, aber stattdessen überall auf der Baustelle mobil benutzt worden seien, haben die Beklagte und ihre Streithelferin auf die Unüblichkeit einer solchen Maßnahme sowie darauf verwiesen, dass sich die Baumaßnahme im Falle der Nutzung einer einzigen zentralen, eingehausten Steintrennmaschine insgesamt erheblich verlängert und auch verteuert hätte. Die Kammer hält dies für schlüssig und geht davon aus, dass es der Streithelferin der Beklagten in ihrer Eigenschaft als Bauherrin jedenfalls im Sinne des § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB wirtschaftlich nicht zuzumuten gewesen wäre, nur eine einzige zentrale Steintrennmaschine mit einer Schutzumhausung vorzusehen. Die Beeinträchtigungen sind ihrer Intensität und ihrer Dauer nach insgesamt auch nicht derart gewichtig, dass ihre Duldung einem Sonderopfer in Form eines enteignungsgleichen Eingriffs nahe käme und deswegen nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB eine Ausgleichszahlung erforderten. Das gilt auch unter Berücksichtigung des an und für sich überflüssigen Lärms durch Bauarbeiter, die sich nach Vortrag der Klägerin und von den Zeugen bestätigt teils laut rufend verständigt und Musik gehört hätten; denn letztlich handelt es sich auch dabei um eine für einen Bauherrn praktisch nicht zu unterbindende Begleiterscheinung eines solchen Bauvorhabens, die einen Härteausgleich zu Gunsten des Grundstücksnachbarn nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht erfordert.

3. Die Kostenentscheidung folgt §§ 97 Abs. 1, 101 Abs. 1 ZPO.

Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Kammer lässt gemäß § 543 Abs. 2 ZPO die Revision der Klägerin zu, da dies zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung erforderlich erscheint. Die Kammer misst den für die Konturierung des Mangelbegriffs herangezogenen Kriterien des § 906 BGB augenscheinlich eine andere Gewichtung und Bedeutung bei als beispielsweise das Landgericht Hamburg in seiner oben zitierten Entscheidung vom 13. Januar 2023 (LG Hamburg – 311 S 5/22 -, Urt. v. 13.01.2023, ZMR 2023, 637 f.).

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